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Kleine alte Glocke

18.09.2022

Die kleine alte Glocke, die im Zwielicht
des öden Kirchturmschachtes
abseits ins Vergessen dämmert hin,
hört die große, die wappenprangende,
junge Schwester, fühlt ergriffen schon
ihr Schwingen in der verzückten Lüfte Gischt.

Es ist die Abendstunde, da frommer Sinn
sich niederkniet auf des Geläutes erhabene Schwelle,
ergebener Mund gesalbt sich fühlt
vom Tau des Hochgebets,
und leise bebt sie mit, die kleine alte Glocke,
taumelt von erinnerungstrunkener Luft gewiegt,
wie einst, da am hohen Feiertage vor den Schwestern
sie den Erstling, den hellen Morgenton gebar.

Nun aber scheut vor dem Zittern sie zurück,
das wie nährender Odem
in Blumenstengeln bis zur Krone
sonnenerregter Knospenspitzen drängt,
glühender Andacht Wehen, dem ein Sirren
Antwort gibt im Gewölke junger Schwalben,
die hier unter Fenstersimsen nisten,
und sie flattern auf, ins Freie hinzugleiten
auf den Wogen bronzenen Klanges.
Sie aber faßt ein Grausen
vor des Klöppels neu erwachter Lust,
daß er ihr den grauen Schoß betöre,
kleine alte Glocke
mit dem unvernarbbaren Riß
in der schmalen Hüfte,
scheppernd, allzu kläglich
wäre ihr müder Nachgesang.

Alter Dichter, lege dich abseits ins Gras,
humple nicht länger durchs wildernde Dickicht
schattendurchgitterter Strophen,
wo dir unverhofft der Lerchen
aufgebrachtes Zwitschern
in einer Ode blauenden
Azur steigt.

Lieg nur starr, schau nur ungerührt
in deinen grauen Abendhimmel,
wo noch eine weiße Wolke steht,
zögernd wie ein Liebeswort,
allzu frühe Flocke,
die auf der warmen Lippe dahinschmilzt.

Wache, Dichter, bis die Wolke
unterm Anhauch
der unausweichlichen,
der hohen Nacht
in rötlichen Schaumes
brokatene Stickereien übergeht,
Blumenkringel, Blütenflaum,
Federn aus Nestern,
die jäh der Ruf des Kranichs,
der herbstliche, verwaiste,
langsam auf den leeren Schrein
deines Traumes niedersinken.

 

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