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Gegen Hegel

04.09.2020

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Der Hund, der vor der Villa in seiner Hütte döst oder nach Mücken schnappt, führt ein sinnvolleres Leben als ihr Bewohner, der dort am Ende der Geschichte an Langeweile dahinsiecht.

„An sich“ und „Für sich“, Subjekt und Objekt, Ich und Nicht-Ich – Begriffsfetische, die den klaren Sinn verstellen, Talmi-Begriffe, die das Denken blenden.

„Im anderen bei sich sein“ – so definiert Hegel, was er dialektisch unter Liebe versteht; Liebe, die doch der Bund der Liebenden unter dem Versprechen darstellt, einander gut zu sein, und deren Scheitern nicht sich darin manifestiert, daß einer sich im anderen verliert, sondern er den anderen durch Eigensucht und Selbstherrlichkeit von sich wieder abstößt.

Der von Descartes geerbte Irrtum Hegels beruht auf der Annahme, was wir unter „ich“ verstehen, sei eine Form des Wissens.

Der Geist ist kein Buch der Erinnerung. Wer sollte es lesen?

Man wird seiner selbst inne an den Affekten von Zorn und Ekel, wenn der Nachbar mit einem Schabernack getrieben hat; man fragt sich, ob man etwas Falsches gesagt, sich im Ton vergriffen hat, wenn das Gegenüber die Brauen hochzieht.

„Ich“ bezieht sich nicht auf einen Gegenstand der Welt, es ist referentiell leer.

Wenn einer von sich erzählt: „Ich bin gestern im Park gewesen“, berichtet er nicht über für andere unzugängliche Gegenstände seines Bewußtseins oder seiner Erinnerung, sondern bezieht sich auf das, was der andere mit den Worten wiedergeben kann: „Ich habe N. N. gestern im Park gesehen.“

Es ist ein Wunder zu sehen, daß der Dichter Hölderlin anders als der Denker sich im Dickicht der idealistischen Dialektik nicht vollends verstrickte, sondern am goldenen Faden Ariadnes, einer Verkörperung Diotimas, aus dem Labyrinth ans Licht des apollinischen Tages zurückgefunden hat.

Hölderlin ist groß trotz Fichte und Hegel.

Wir gewinnen keine Klarheit über die Beziehungen, die sich in der Verwendung der Personalpronomina der ersten und zweiten Person bekunden, mittels Analyse des Bewußtseins, sondern durch sorgfältige Beschreibung ihres alltäglichen Sprachgebrauchs.

„Ich verspreche dir, es nicht zu tun“ ist Ausdruck des Akts selber, ist das Versprechen. Die Handlung erfordert die Anwesenheit der Personen und muß ernst gemeint sein, das heißt, die Bedingung der Aufrichtigkeit des Meinens erfüllen. Der Sinn des Gesagten ist erfüllt, wenn das Versprechen eingehalten wurde. „Er versprach ihr, es nicht zu tun“ ist eine Bericht über diese Sprachhandlung, über deren Erfüllungsbedingungen damit nichts mitgeteilt wird.

Es sind tausend Ranken von Frage und Antwort, Hören und Schweigen, Versprechen und Tun, Geben und Nehmen, die das Geflecht der interpersonalen Beziehungen bilden.

Unsere Beziehungen sind in Schalen oder Gestalten von Geschichten und Erzählungen eingefaßt. Semantische Indikatoren dieses narrativen Gehalts unseres alltäglichen Lebensvollzugs sind mittels Konjunktionen gebildete Satzgefüge, so wenn wir etwa sagen: „Obwohl ich ihr das Versprechen gegeben hatte, war ich nicht entschlossen, mutig, willens, es einzulösen.“ – „Wenn ich geahnt hätte, daß mein Geschenk sie in Verlegenheit bringen würde, hätte ich es ihr nicht gegeben.“ – „Weil ich das Versprochene hielt, war sie erleichtert und beruhigt.“

Nicht mittels Analyse des Bewußtseins, sondern in der geschickten Verwendung von Bildern und Metaphern erschließen wir uns den Sinn unserer Lebensvollzüge. So dienen uns beispielsweise Bilder der Auszehrung und des Dahinsiechens zur Erfassung und Beschreibung parasitärer Beziehungen; Metaphern der Jahreszeiten zur Beschreibung des Erblühens, der Reife und des Welkens einer Liebe, einer Freundschaft.

Aus dem Grund der Begegnung tauchen mythische Masken und Formen auf, Medusa und Gorgo, Gaia und Aphrodite, Satyr und Pan, Ares und Eros, auch wenn uns ihre Umrisse verschwommen bleiben und wir sie nicht einmal benennen können, bezeugt sich ihre Anwesenheit im Funkeln der Blicke, in Anmut und Starre der Haltung, in der Beleuchtung und Stimmung wechselnder Nähe und Ferne.

Der leichtsinnige idealistische Glaube an die spontane Höherentwicklung des geistigen und sittlichen Lebens zergeht vor den Klippen und Abgründen der Erfahrung.

Die Mannigfaltigkeit unseres Erlebens schießt nicht in den harten und glänzenden Kristall des Begriffs zusammen.

Und wäre es so: Was anders mit dem begrifflichen Gehäuse anfangen, als es gleich einer leeren Muschel ins Licht halten und nach einem kurzen Zögern des Staunens wieder zurück ins Element werfen?

Wir springen nicht durch Widersprüche in die Höhe gepeitscht, wie Hegel annahm, von der sinnlichen Gewißheit über die Wahrnehmung zum Selbstbewußtsein; denn in der leisesten Empfindung, im kaum merklichen Fühlen, in der halben Anonymität wetterfühliger Stimmung sind wir schon ganz da.

Wie, von Widersprüchen gepeitscht die Stufen der Erfahrung hinanspringen? Vor Antinomien indes erstarren wir in Ratlosigkeit, Kontradiktionen lassen uns wie gelähmt in den Sumpf des Widersinns hinabsinken.

Die Vergötzung der Leistung in der Arbeit des Begriffs zeugt von der Erniedrigung des kleinen Hofmeisters.

Wir setzen kein Wahrnehmungsbild aus der Addition und Synthese unserer Empfindungen und Sinnesdaten zusammen; sondern wir finden den vermißten Schlüssel in der Tasche, pflücken den Apfel vom Zweig, erfreuen uns am Lächeln des Freundes.

Unsere Wahrnehmungen sind in den Kreislauf unserer Handlungen und Lebensvollzüge eingebunden; wir starren nicht auf die Flamme im Herd, nicht auf die stummen Dinge wie der untätige Denker im Lehnstuhl. Wir zünden das Scheit an, wir plaudern über dies und das.

Im Vollzug des Tuns und Redens erschließen wir uns, was wir fühlen und sehen.

Hätten, wie Hegel wähnte, die Welt, das Leben, die Geschichte einen theoretisch erschließbaren Sinn, hätten wir ihn gründlich verfehlt, wären wir längst verloren.

In Napoleon einen großen Mann sehen, das tat Goethe auch; doch auch die heroische Verkörperung des Weltgeistes, das grenzt an Schabernack. In Preußens Staat die nationale Größe der Deutschen zu gewahren, das taten nicht mindere Köpfe; aber den Gipfel und Endpunkt der Weltgeschichte, das mutet engstirnig an, ja geistlos.

Die Idee, daß dialektisch der Gipfel und die Vollendung der Geschichte erreicht seien, findet ihre grausame Verifikation in den Straflagern der klassenlosen Endzeit-Gesellschaft, die unter den selbsternannten Geschäftsführern des Weltgeistes auf den absoluten Begriff gebracht worden ist.

Marx ist der Götze auf dem blutigen Altar des hegelschen Weltgerichts, Lenin und Stalin die Opferpriester.

Geschichte – das gibt es eigentlich nur im Plural.

Tausende Würmer, sprich Ausleger und Nachbeter, nährt noch immer der schon zerfallene Kadaver.

Zwei Fehlbildungen, die Suche nach dem Allgemeinbegriff als wahrer Bedeutung, und der Glaube, das Ich sei eine Art Spiegel seiner selbst, das sokratisch-platonische und das kartesische Mißverständnis, vereinigen sich bei Hegel zum Monstrum des dialektischen Begriffs.

Nirgends war die Arroganz der kleinen Dozenten größer, nirgends die Atmosphäre giftiger als im universitären Dunstkreis und den doktrinären Zirkeln des Hegelianismus und seiner Derivate des Marxismus und Neomarxismus.

Ähnlich wie der Psychoanalytiker Einwände gegen seine Theorie als neurotische Widerstände diagnostiziert und denunziert, relegiert der Hegelianer universitärer oder parteilich-marxistische Provenienz Kritik am Werk des Meisters auf niedere Stufen der Selbstentfaltung des Begriffs oder verunglimpft sie schlicht als falsches Bewußtsein.

Das hegelianisch fundierte Urteil, sich nicht auf der Höhe des Weltgeistes zu bewegen, sondern unbelehrbar am falschen Bewußtsein zu haften, war für Abertausende ein Todesurteil.

Unsere Definitionen brechen ab, zwischen Gedanke und Tat lauert die Unableitbarkeit der Entscheidung, der Strom des Lebens mündet nicht an einer einzigen Stelle, sondern verzweigt sich in ein unübersehbares Delta.

Biographien zeigen nur in Extremfällen ein dramatisches Muster, manchmal fluten und ebben sie wie die Wogen des Epos, meist ähneln sie den trostlosen Rinnsalen bruchstückhafter Tagebucheinträge.

Die Weltgeschichte als dramatische Biographie eines Weltgeistes zu verfassen – das ist bizarrer und verworrener als der Traum eines shakespeareschen Narren.

Die Chronologie bildet keine Wertskala, als wäre der letzte Schrei immer der maßgebende.

Der Begriff Hegels verzehrt die Substanz des Mythos und der Kunst, der Religion und der Dichtung, er läßt nur einen leeren Spiegel vor einem leeren Spiegel zurück.

In Wahrheit leuchtet die Blume des Worts jäh am Abgrund des Schweigens, bleibt unerfüllbar, unaufhebbar die Lücke zwischen dem eigenen und dem fremden Schatten, legt der Tod das Blatt mit der unentzifferten Schrift auf den Mund des Toten.

Der Glanz des Gipfelschnees rötet sich unterm Hauch der Abenddämmerung, als glühten noch Rosen göttlicher Einsamkeit.

 

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