Fußstapfen im Schnee
Gnomische Verse und Sentenzen
Die Ameise kriecht unter deinem Fuß hervor.
Du hast sie angesehen. Sie dich nicht.
Nur du weißt von deinem und ihrem Leben.
Sie wackelt ihres Wegs nach Haus.
Und du? Dein Wissen führt dich
in die Obdachlosigkeit des Für-sich-Seins,
du schläfst auf Blättern der Sprache,
zusammengekehrt für eine Nacht.
*
Die Rose schenkt dir ihren Duft.
Doch weiß sieʼs nicht.
Du schenkst mir gern dein Lächeln.
So hab ich Duft genug.
*
Die blaue Luft des Traums
durchpflügt von Kranichschreien.
*
Fußspuren im Schnee,
Schicksalsschrift,
wie bald verweht.
*
Die Dichtung des Vates berührt sich mit dem Lesen der Haruspices in den Eingeweiden, der Auguren im Vogelflug, der Priesterinnen im Rauschen der Eichen von Dodona und dem Gurren der Tauben, nur liest der Vates der Moderne im Kompost der Gärten und im Abfall der Städte, im Wirbeln der Zeitungsfetzen, im Rauschen der Abflußrohre und im Schweigen von Anger und Brachfeld.
*
„Warum ist dein Rucksack so schwer?“
„Darin trage ich die Steine all der Klagen!“
„Soll man dereinst daraus ein Mal errichten
auf deinem Grab?“
*
„Die Kröte hat den Augenblick höchster Wachheit,
wenn ihre Zunge nach der Fliege schnellt.“
„Und du?“
„Wenn ich in den glimmenden Abgrund des Auges
der Schicksalskröte blicke, bevor sie zuschnappt.“
*
Schicksals Stimme, wenn du im Rauschen
des Wassers deinen Namen rufen hörst.
*
Zwischen all den vorüberquellenden Wolken
der Worte reißt immer wieder unverhofft
das Blau der ewigen Stille auf.
*
Es hilft dir nicht, den Fußstapfen eines anderen im Schnee zu folgen, denn jener ist hier fremd wie du und hat sich wie du verirrt.
*
Sobald du nicht mehr keuchend
auf das scheinbar nahe Ziel losrennst,
das immer ferner, immer kleiner wird,
je mehr du es zu erreichen suchst,
hörst du, der schon lange sang,
den Vogel am Wegesrand.
*
Nur wenn du innehältst,
übertönt das Knirschen
deiner Schritte im Schnee
nicht der Lüfte hohes Sausen.
*
Der Gecko, der blitzschnell
die Zunge ausrollt und schlingt
das Insekt in sich hinein,
was sieht er wohl in ihm,
wenn nicht den Schatten
eines etwas, seiner selbst.
*
Die Löwin, die das Zebra reißt,
weiß nicht, was ein Zebra ist,
weiß nicht, was es bedeutet,
ein Löwe auf der Jagd zu sein.
*
Fußspuren im Schnee,
hier ging vor kurzem jemand –
so sehen wir Vergangenheit,
und Zukunft, wenn wir fragen
wie weit er heute kommen mag.
*
Ästhetisch sind wir nackt – auch wenn wir unsere Blöße im Kostüm buntfiedriger Metaphern verstecken.
*
Auch wenn man ihm das Maul stopft, er bleibt immer ein homo loquens.
*
Die Wahrheit wie Fußspuren im Schnee schlicht auszudrücken, ist nicht Sache eines schlichten Charakters.
*
Die Einfachheit des Ausdrucks
ist Ausdruck der Einfalt des Geistes –
Selbstüberwindung, wenn einer
das Gestöber der Flocken,
die seine Lippen zu allem Möglichen
kitzeln, lächelnd durchschreitet.
*
Die ersten Prägungen wie das fiat lux oder daß der Geist Gottes über den Wassern schwebte, sind Monumente des erwachten Menschen, unauslöschlich beinahe wie gekerbte Hölzer oder die in Stein gehauenen Inschriften, als wäre der Menschengeist selbst mit ihnen gekerbt und geritzt worden.
*
Als leuchtete der Engel des Todes
in die Krypta der Seele und wie alte Fresken,
die allzu jähem Licht ausgesetzt verblassen,
verschwimmen nach und nach die Engramme
des Erinnerns, geliebte Gesichter, gefürchtete,
und nur im dunkelsten Winkel bleiben einige
erhalten, Rätselsprüche und obszöne Bilder.
*
Sich selber gerecht zu werden, Großtat
des heroischen Geistes, der sich einmeißelt
in den Fries der Götter und Helden,
ob nun wie ein Fackelträger gelehnt
an des Dionysos Schulter oder als Hündchen,
das zu seinen Füßen kauert und geifert.
*
Das Leben abarbeiten und durchbuchstabieren
wie eine Bilderfibel, Lektion für Lektion,
und nur nicht an der letzten scheitern,
die nichts ist als die Umkehrung der ersten.
*
Wer gegen den Schneesturm ansteigt,
muß sich krümmen und schief gehen,
im Flockenwirbel wird alles unsichtbar,
nur noch die Einsamkeit des Ausgesetzten
und die verlöschende Spur der Sonne,
das schneller schlagende Herz.
*
Nicht mehr wissen, sind es Flocken Schnees,
sind es verwehte Blüten, und dabei singen,
nicht mit Kehle und Lungen, mit dem Blut
des Herzens, das schon wie aus ferner Quelle rinnt.
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