Fremdeln
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Wenn du den Hausflur putzt, machst du es sorgfältig und mit beherztem Aufwand an Hygiene; läßt du ihn putzen, keimt das Mißtrauen, denn wer im Auftrag putzt, wird es wohl tun, doch so lala, ohne unnötig ins Schwitzen zu kommen.
Gehört, wer für dich putzt, einem fremden Stamm an, steigt das Mißtrauen exponentiell mit dem Grade seiner Fremdheit.
Wer genötigt ist, seine Kinder von dahergelaufenen Fremden beaufsichtigen oder schulisch unterweisen zu lassen, darf sich nicht wundern, wenn sie eines Tages hinter seinem Rücken eine lange Nase drehen.
Erpreßte Dankbarkeit erzeugt Groll.
Die chassidischen Gemeinden wie die in New York oder Ost-Jerusalem leben rassisch und religiös rein nach den Büchern Mose und dem Talmud. Sie hausen daselbst kulturell, rituell und sprachlich aufs Dichteste abgeschlossen von ihrer Umwelt. Denjenigen, der gemäß der neudeutschen Ideologie der Grenzöffnung und Völkervermischung forderte, daß sie ihre kulturellen Mauern niederreißen, um sich dem ungehemmten Zustrom fremder Völker und Kulturträger auszusetzen, könnte man mit Recht einen Antisemiten schelten.
Die römischen Eliten haben sich trotz der Widerstände altkonservativer Kreise wie des Kreises um Cato mehr und mehr der ihnen überlegen scheinenden Kultur der Griechen geöffnet; so haben sie ihre adligen Zöglinge von ehemaligen griechischen Sklaven erziehen lassen. Die großen Schriftsteller der Klassik wie Cicero, Horaz und Vergil waren zweisprachig, jedenfalls lasen sie Homer, Demosthenes, Sappho und Kallimachos im Original. Dennoch ist die altrömische Kultur nicht untergegangen, das beweisen die Fortdauer der alten Staatskulte und der Widerhall der alten Götter im Amalgam mit den neuen, wie des Faunus in Pan, des Bacchus in Dionysos oder der Venus in Aphrodite.
Die Schwäche, Fragilität und Porosität der deutschen Nationalkultur ist tief angelegt; so bereits in der Tatsache, daß die altgermanischen Götter und Kulte nur in Spuren und schwachen Relikten die staatlich verordnete Christianisierung überdauerten.
Bruchlinien im deutschen Nationalcharakter zeigen sich in der Entwicklung einer neulateinischen Dichtung an den süddeutschen Höfen, am Kampf um die Orientierung des Rechts (römisches Recht oder überkommenes germanische Landrecht), an der neuheidnischen an Hellas orientierten Dichtung der Goethe und Hölderlin und schließlich dem neuheidnischen, Walhall beschwörenden Musikdrama Wagners.
Die philologisch und hermeneutisch ausgerichtete Schulung des protestantischen Theologen im Kielwasser Luthers und Melanchthons, die rhetorisch und literarisch ausgerichtet Schulung des katholischen Theologen im Zuge der von den Jesuiten vollzogenen Gegenreformation.
Calderon und das Jesuitendrama, wie es noch in den allegorischen Schauspielen Hugo von Hofmannsthals ein kurzes Nachleben fand.
Die Zerschlagung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation durch Napoleon und die Folge der kulturellen und militärischen Konfrontation zwischen Berlin und Wien. Die Alternative zwischen kleindeutscher und großdeutscher Reichsgründung und die fatale Entscheidung für die großdeutsche in Folge der Ereignisse ab 1933.
Nur Torheit zieht eine gerade Linie von Preußen zur Naziherrschaft, von Bismarck zu Hitler, hat dieser doch die großdeutsche Lösung durchgesetzt, die Bismarck mit seinem nüchternen Sinn für Proportionen und die Balance der Mächte verhindern wollte.
Wälzt man den großen Felsbrocken um, schaut man in ein Gewimmel von Würmern, ein Geranke von Trieben, ein Geglimmer von Mineralien und Säften; so ist es auch mit den große Begriffen, wenn man sie umdreht, Begriffen wie Subjekt, Liebe oder Sprache.
Die Flachen und die Seichten, die Kindischen und die Weibischen wollen und verstehen nur, was sie mittels Sensation und Marktschreierei aus der Lethargie reißt; so auch in der Kunst.
Der Künstler, der eine moralische und politische Botschaft verkündet, verbirgt sich und anderen seinen Mangel an künstlerischer Substanz.
Sie hasten atemlos zum Quell der Aufmerksamkeit und hoffen sie durch das Brüllen, Stöhnen und Psalmodieren von Reizwörtern und Jargonbegriffen für den Augenblick blitzender Scheinwerfer zu ergattern.
Sie rotten sich unter der Flagge und dem Emblem einer Idee zusammen; aber was ihrer Menge Dichte, Ladung und Spannung verleiht, sind nicht hehre Begriffe wie Gleichheit, Weltoffenheit oder Alles für alle, sondern Selbstgefälligkeit, Dünkel, Hochmut und der solidarische Argwohn gegen jene, die abseits stehen und stoisch lächeln oder kynisch spotten, jene, die fremdeln.
Jene, die fremdeln, gelten als Gefahr, machen sie doch spürbar, daß die Bekenntnisse hohl und die moralischen Vorgaben erpresserisch sind.
Die eigentlich Fremden sind jene, die sich dem Jargon verweigern; schon das Schweigen macht verdächtig, wer aber die falschen Begriffe benutzt, gilt als unheilbarer Träger eines geistigen Virus.
Man erstellt eine Liste von Begriffen, die für obsolet, antiquiert oder gefährlich gelten, Begriffen wie Volk, Nation, Nationalcharakter, Rasse, natürliches Geschlecht, Monogamie, Keuschheit, Treue, Schönheit, Ehre, Vaterlandsliebe, Fraulichkeit, Männlichkeit, weibliche Hingabe, männliche Tapferkeit, Heldentum und tausend andere. Wer mehr als zwei davon gebraucht, gilt als verdächtig, wer mehr als drei, für kriminell, wer mehr als vier, ist schon verurteilt.
Die Richter in Kafkas Prozeß hatten in ihre Unterlagen bei Gericht pornographische Bilder geschmuggelt; die Richter der medialen Aufsichtsbehörde benutzen dreist und schamlos Listen von Begriffen, die für pornographisch gelten und diejenigen, die sie benutzen, vom Diskurs der aufgeklärten Menschheit ausschließen.
Nach dem mosaischen Bericht war „Es werde Licht!“ das erste Schöpfungswort. War der Verfasser der Priesterschrift, gewiß ein gelehrter Mann, skotophob, ja nigrophob und misogyn, da die Erde, die Mutter, noch in Dunkel gehüllt war?
Das Licht des ersten Tages im biblischen Schöpfungsbericht greift verwandelnd das Wort des Neuen Testaments auf: „Ich bin das Licht der Welt.“ Als Lumen Christi fand es sein Spiegelbild in der Liturgie der Osternacht. Ein fratzenhafter Dämon aus dem dunklen Erdteil bläst es aus.
Wir sprechen von hellen Köpfen, lichtvollen Erwägungen, Geistesblitzen, der Morgenröte der Vernunft, dem Seelenfunken, der Mondnacht des Gefühls, dem lichten Horizont des Kommenden – unsere erhabensten und gewöhnlichsten Metaphern zum Ausdruck ethischer und ästhetischer Werte schöpfen von Anbeginn aus der Polarität von Licht und Dunkelheit, Helle und Zwielicht, apollinischer Klarheit und dionysischer Nacht. Wann kommen die Sprachpolizisten und räumen hier auf, wie sie es bei der ebenso ursprünglichen Polarität der natürlichen Geschlechter schon getan haben?
Der neue Sprachenkrieg um die Metaphorik des Lichts und die mit ihr innig verflochtene Idee der Schönheit seit den Tagen des Perikles ist auch ein Ausdruck für den Überlebenskampf oder die Resignation der weißen Rasse angesichts der steigenden Flut der dunklen.
Nicht mehr die Fremdwörter, sondern deutsche Allerweltsbegriffe der inkriminierten Art sind nunmehr die Juden der Sprache.
Schon wer zweifelt, gilt als Judas und Verräter.
Wer das Augenscheinliche nicht leugnet, gilt für blind.
Wer das Fiktive und seltsam Konstruierte empirisch bestätigt, zählt unter die Koryphäen der Wissenschaft.
Die neue deutsche Wissenschaft macht Voraussagen, die in Frage zu stellen oder empirisch falsifizieren zu wollen, als strafwürdiges Unterfangen betrachtet wird.
Sie haben ein kafkaeskes System amtlicher Kulturförderung etabliert, und jene, die das Hohelied auf die Moral ihrer Gönner anstimmen oder ihr zumindest durch Stillschweigen akklamieren, zehren vom Gnadenbrot.
Der Aspirant auf ein Habilitationsstipendium, der Martin Heidegger öffentlich zum Naziverbrecher stempelt, erhält den Zuschlag; jener der über Heidegger forschen will, geht leer aus.
Wer sein Gedicht mit floralen Metaphern ziert und den nüchtern-profanen Sinn mittels Reimen berauscht, wird bald als Holocaustleugner entlarvt.
Wer die Liebe Dantes zu Beatrice für die einzig sublime Schwelle hält, über die man seine Dichtung betritt, gilt für homophob.
Wer in Benns Gedichten nicht den Ausdruck verachteter, gefürchteter und überwältigter Weiblichkeit findet, gilt für frauenfeindlich.
Wer in Hölderlins Diotima eine mythische Gestalt und nicht die Bürgersfrau Susette Gontard erblickt, die eigentliche Schreiberin seiner Gedichte, verliert den Boden im Gender-Diskurs der Pseudo-Forschung. Wohl ihm, ist dieser Boden doch verschmutzt und stinkt vom Unrat der Halbbildung.
Das fremdelnde Kind versteckt sich zurecht hinter dem Rücken der Eltern, wenn ihm unvertraute Gestalten nahen. Wem heute die übergriffigen Fratzen des Zeitgeistes aufs Fell rücken, muß ins Niemandsland einer neuen Unbehaustheit flüchten. Mag er es als sein Kythera fingieren, als seine Insel der namenlos Seligen bedichten.
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