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Eschatologische Brocken

11.07.2020

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Die reizenden Speiseattrappen in den Auslagen japanischer Restaurants kannst du nicht essen. Doch die synthetischen Attrappen und sinnlosen Wortballungen, die als Dichtung auf dem Markt kursieren, sie sollen dich nähren.

Die Grenze des Sagbaren ist der Unsinn, die Inkonsistenz. Manche, von allen guten Geistern verlassen, überschreiten sie mit triumphierendem Grinsen, manche stolpern unbesehen darüber und ihr hilfloses Strampeln im Morast des Unfruchtbaren macht ein klägliches Bild.

Frauen verderben den Staat, höhere Töchter die Poesie.

Banale Gedanken, Provinzpossen und Zoten unter der Rubrik „Vermischtes“, versteckt hinter wüstem Gestrüpp dorniger Metaphern, bebrillte Mädchen, schamhaft versteckt oder albern kichernd unter künstlich angefeuchteten Ranken, aufgeklaubt aus dem Lexikon poetischer Wendungen.

Scharlatanerie und Schaumschlägerei scheinen erblich zu sein. Jedenfalls lesen wir in einem Gedicht des ältlichen Mädchens, das in diesem Jahr mit dem höchsten deutschen Preis für Dichtung ausgezeichnet wird, von „toten, selbstvergessenen Mäusen“, eine Wortgrimasse, die uns vor jeder weiteren Lektüre in den Werken der Dekorierten abschreckt, will sagen, bewahrt; fraglos, daß Tote nicht selbstvergessen, ihrer selbst Vergessene nicht tot sein können; doch den feinsinnigen Juroren aus Darmstadt gilt solche inkonsistente Sprachfäulnis wohl für einen Ausweis bacchischer Anhauchung – auch wenn sie nur dem papiernen Gekröse müde malmender Talmi-Mänaden gleichkommt.

Anders ist das in sich hart Gefügte und dunkel Gefaltete zu sagen, wie daß die Erfahrung des Heiligen beides umfasse, ein Fascinosum und ein Tremendum; hier wird der Begriff des Heiligen vertieft und ins Zwielicht seiner inneren Polarität getaucht.

Die bäurische Zunge, wie sie in der alten Komödie sabbert und sabbelt, begnügt sich mit dem rauhen Relief schlichter Geschmackswerte; die urbane verfeinert sie um immer weitere Nuancen, wie die Etikettierungen der römischen Weinsorten bei Horaz und Martial belegen. – Am Ende dieser sich ins Verstiegene und Absonderliche windenden Ranke der Sublimierung und des Raffinements ergreift den überfeinerten Geschmack Überdruß und Ekel, Ennui und taedium vitae, er verfinstert sich stoisch, schiebt die mit exotischen Früchten verblendete Torte mit saurer Miene vom Tisch und sucht die wässrigen Wonnen frugaler Genügsamkeit oder imaginierte Ausfahrten nach einem Kythera paradiesisch schlichten Hirtenlebens.

Erst gräbt der Stichel scharfe, pointierte Linien und kolossale Fugen; dann reiht er Ornamente um die Amphoren und Krüge fetter Öle und edler Weine und der geschmackssichere Pinsel zaubert Symposien festlicher Menschen darunter; schließlich will sich das verwöhnte Auge an geschwungenen Linien, lächelnden Falten, zitternden Wimpern der Dinge ergötzen. – Am Ende senken sich die müden Lider und verhüllen die üppigen Formen wollüstigen Fleisches und die grellen Lüste des Tages in einer Dämmerung, in der die mystische Kerze mit den Schatten einsamer, intimer, ermattender Gesten Endzeit spielt.

Früh ist es die Mutter der Kinder, und ihr Erzeuger nur ein weiteres großes Kind, das die Kleinen umhegt, beschützt, verköstigt; dann sehen wir auf römischen Grabmalen Mann und Frau seelenvoll Schulter an Schulter, Hand in Hand, zwischen sich nur leisen Abschieds Dankeshauch; schließlich effeminiert sich der Mann, bewundert sich im Spiegel, schminkt sich, tänzelt, singt schmachtende Lieder. Am Ende flieht er angewidert und sein Selbst hassend Haus und Herd, kleidet sich in ein härenes Gewand und murmelt in der Wüste der Einsamkeit monotone Litaneien vor einem Schreckensbildnis göttlicher Leiden.

Die unbehauenen Brocken und monströsen hölzernen Götzen der Frühe; magische Halbedelsteine, Fetische, Amulette; die singende Flamme der Haine, die süßlichen Wolken von Weihrauch und dampfendem Opferblut. Dann blendet das enigmatische Lächeln der archaischen Koren, kühlen den sehnsüchtigen Blick die Wasserspiele im durchsichtigen Gefält der olympischen Götter, berücken die üppigen Knospen des Eros und die wogenden Locken der Aphrodite. Am Ende der Schauer der aufgestapelten Schädel in den Katakomben und die schlichte Liebesgeste des guten Hirten.

Erst die grobe Skala, einfache Distinktionen der Wahrnehmung zwischen hell und dunkel, warm und kalt, hart und weich, süß und bitter; dann parasitieren und fruchten an ihnen die frühen Metaphern für Leben und Tod, Freude und Trauer, Glück und Elend, Heiterkeit und Schwermut: der Acker der Worte und Bilder, auf dem die Dichtung sät und erntet, ausgesetzt den Sagen und Pollen des Winds, gefurcht von den Wettern und Blitzen der Offenbarung, dörrend unter dem Schweigen der Himmlischen.

Wie die Fiktion einer adamitischen Sprache oder einer gleichsam osmotisch-halbbewußten Kollektivverständigung sich aus der Warte des Turmes zu Babel ergibt, so auch das Wort Herders von der Poesie als der Muttersprache der Menschheit als Projektion aus der Mannigfaltigkeit der Stimmen aller Völker und Zeiten.

Ein anderes Licht strahlt die mediterrane Sonne Homers, ein anderes der Mond über dem nördlichen Moor eines Keats, das Zwielicht in den Augen der Asen.

Anders duftet die Zeder des Hohen Lieds, anders die Myrthe des Horaz, der purpurne Apfel des Paris mundet einer Göttin, das karge Brot Trakls dem fremden Wanderer; anders rauscht der Quell der Hippokrene, anders der verborgene Born eines Novalis und Brentano.

Gedichte werden von den Stimmen der Völker in den Himmel der Heimat getragen. – Die sich anbahnende Welt des globalen Staats ohne Völker und heimatliche Atmosphären wird keine Dichtung mehr hervorbringen.

Mögen grell bemalte Nackte in gefiederten Masken da und dort in einer Steppe oder einem Urwald noch ums Feuer springen und ihre ekstatischen Gesänge anstimmen, hierzulande wurden die aus der Heimaterde gesproßten geheimnisvoll duftenden Knospen des Volkslieds längst vom dumpfen Tritt industriell konfektionierter Schlager niedergetrampelt und von Bonbon-Knebeln marktkonform verabreichter Pop-Schnulzen erstickt.

Gedichte von Baudelaire und Verlaine sind, was hinter ihrer Übersetzung an Duft, Aroma, Klang- und Farbenspiel in die Dämmerung des Unübersetzbaren zurücksinkt.

Je fortschrittlicher, komfortabler, lärmender das zivilisierte Leben, umso dumpfer, geistloser, nuancenärmer der sprachliche Ausdruck seiner intellektuellen Fürsprecher und Repräsentanten.

Massenhafte Abtreibung embryonaler Keimlinge von Esprit, Feinsinn, Divinationsvermögen, intuitiver Kraft.

Didaktik der Verblödung, Pädagogik der Infantilisierung, Schule des Konformismus, Herrschaft der Phrase, die als verführerische Schlange von Egalität lispelt, deren Biß aber das Gift der Abstumpfung und betäubender Gleichgültigkeit verabreicht.

Die Fahne der Menschenwürde aufgepflanzt auf dem stinkenden Verwesungsdung des Erhabenen und Edlen, müde herabwehend im Fäulniswind der Selbstverachtung.

Organisierter Argwohn und Hetze gegen alles, was im Fühlen, Denken, Sprechen den gekrümmten Rücken des Amts- und Zeitungsdeutsch radebrechenden Journalisten und speichelleckerischen sogenannten Kulturschaffenden, also Kulturzertrümmerers und Wahrheitsikonoklasten, überragt.

Wenn sie nichts anzuklagen, zu verschreien, zu verdammen haben, wissen sie nichts Eigenes zu sagen.

Was ihnen vor Augen liegt, unscheinbare Veilchen des sonnigen Augenblicks, Knospen eines leuchtenden Kairos, sie sehen es nicht, verdeckt es doch ihr eigener Schatten.

Die der Natur mit welterneuernden Heilsprogrammen auf die Sprünge in ein biederes Schrebergarten-Paradies zahn- und hodenloser Halbaffen helfen wollen, verleugnen ihre eigne, blind für die schicksalhafte und geschichtsmächtige Wahrheit des Geschlechts, der Rasse, der Herkunft, der Begabung und des Genies.

Im Augenblick der Entscheidung zwischen Wahrheit und Lüge, Lebendigem und Abgelebtem, Größe und Niedertracht, Flamme und Asche vermitteln zu wollen, welch ein widerwärtiges Zeichen von Mittelmäßigkeit, Feigheit und diskurs-, sprich geschwätzvernarrtem Plebejertum.

Was bleibt, wenn die kulturelle Substanz eines Volkes aufgezehrt, die Flamme seiner geistigen Überlieferung erloschen ist? Einzelne ziehen sich in die Höhlen ihrer einsamen Grübeleien über das Verlorene zurück, andere werfen den Büttel hin und verzechen ihre Rente, zeigt sich im fahlen Nebel des Horizontes doch nicht wie in der Wende des römischen Reiches das Licht eines neuen Aufbruchs, eines neuen Mythos, eines neuen Gottes.

 

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