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Es zeigt sich

20.08.2018

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

„Das Ereignis ist sagend.“ Martin Heidegger

Es zeigt sich und was sich zeigt, können wir sagen.

Auf die Ähnlichkeit der Gesichtsbildung von Peter und seinem Bruder Paul oder auf die Tatsache, dass Peter Paul ähnlich sieht, kannst du nicht zeigen.

Du kannst nur darauf hinweisen, indem du ausrufst: „Schau, wie ähnlich sie sich sehen!“

Freilich, auf die Tatsache, dass Peter größer ist als sein Bruder Paul, kannst du ebensowenig zeigen. Doch könntest du Maß nehmen und dann sagen: „Peter ist um 10 cm größer als Paul.“

Welches Maß der Ähnlichkeit legen wir zugrunde, wenn du sagst: „Peter sieht Paul ähnlicher als Paul seiner Schwester Carla“?

Wenn Peter seinem Bruder Paul ähnlicher sieht als Paul seiner Schwester Carla, schließt das nicht aus, dass Peter seiner Schwester Carla ähnlicher sieht als seinem Bruder Paul.

Dagegen gilt: Wenn Peter größer ist als sein Bruder Paul und Paul größer als seine Schwester Carla, ist Peter größer als seine Schwester Carla. Oder Carla ist die kleinste von allen Geschwistern.

Von den vier Geschwistern sieht Peter seinem Onkel am ähnlichsten.

Von den vier Geschwistern ist Peter der größte.

Auf den Maßstab, mit dem wir die Größe messen, können wir zeigen. Auf den Maßstab, anhand dessen wir die Ähnlichkeit einschätzen, können wir nicht zeigen.

Der Maßstab, mit dem wir die Größe messen, hat selbst eine konventionell festgelegte starre Größe.

Der Maßstab, mit dem wir etwas messen, hat die Dimension des Gemessenen. Der Längenmaßstab hat die Dimension der Länge, der Raummaßstab, beispielsweise ein Quader von 1 ccm, die Dimension des Raumes, der Zeitmaßstab, beispielsweise eine Sand- oder Sonnenuhr, die Dimension der Zeit, denn wir sagen, es sei eine Stunde vergangen, wenn so viel Sandkörner durch die Sanduhr gefallen sind, dass sie den Glasbehälter bis zur Markierung von 1 Std. aufgefüllt haben oder dass die schmale Schattenlinie auf der Scheibe der Sonnenuhr um 60 Bogenminuten vorangerückt ist.

Welche Dimension könnte ein Maßstab haben, anhand dessen wir die Ähnlichkeit zweier Gesichter beurteilen?

Wir können nicht auf die Größe oder eine Dimension wie die Länge und den Raum oder die Zeit zeigen.

Die Begriffe Größe, Länge, Raum und Zeit benennen nichts in dem Sinne, wie wir mittels Namen auf die anhand dieser Dimensionen gemessenen Dinge hinweisen.

Wir zeigen auf diese rote Rose, aber können nicht auf die Röte oder die Dimension der Farbigkeit zeigen.

Wir können sagen, diese Rose habe eine ähnliche Röte wie jene Dahlie. Aber wir können auf diese Ähnlichkeit nicht zeigen.

Haben wir ein inneres oder mentales Bild unseres Freundes Peter im Kopf, unter dem sein Name „Peter“ wie ein Etikett angebracht ist, und wenn Peter uns auf der Straße begegnet, vergleichen wir (traumhaft schnell) das innere Bild mit dem gegenwärtigen visuellen Bild, sodass wir unseren Freund Peter auf Anhieb erkennen? Doch woher sollen wir wissen, dass das mentale Bild, das wir in diesem Moment aus dem Gedächtnis holen, das richtige Bild von Peter und nicht von seinem ihm ähnlich sehenden Bruder Paul ist?

Auch wenn wir plötzlich an seinen Bruder Paul denken, wenn Peter uns auf der Straße begegnet, sprechen wir ihn mit seinem richtigen Namen an.

Wir können auf einen Strauß von acht Rosen zeigen und der Blumenverkäuferin damit bedeuten, dass wir sie kaufen möchten. Aber wir können nicht auf die Zahl 8 zeigen und sagen: „So viele Rosen möchte ich.“

Haben wir innere oder mentale Bilder der Zahlen im Kopf, wenn wir beispielsweise 2 x 4 = 8 rechnen? Und 11 x 11 = 121? Und wenn wir stark im Kopfrechnen sind, innere oder mentale Bilder der Zahlen, wenn wir 121 x 121 ausrechnen?

Vergleichen wir die Farbe der Rose vor unseren Augen mit einem mentalen Vorstellungsbild eines Farbmusters, um sagen zu können, sie sei weiß oder rot?

Woher sollen wir wissen, dass unser Vorstellungsbild des Farbmusters korrekt ist?

Wir sehen und sagen, dass Peter seinem Bruder Paul ähnlich sieht. Doch repräsentiert dieser relationale Ausdruck eine Tatsache der Art, wie wir annehmen, dass die wahre Aussage, dass es regnet, eine Tatsache repräsentiert?

Wenn unsere Aussage, dass Peter seinem Bruder Paul ähnlich sieht, keine Tatsache repräsentiert wie die Tatsache, dass es regnet oder der Mond der einzige Erdtrabant ist, dann auch keinen Gedanken im Sinne der abendländischen Tradition des Denkens von Aristoteles über Frege bis zum frühen Wittgenstein.

Dass Peter seinem Bruder Paul ähnlich sieht, können wir nicht durch einen Gedanken und ein inneres Bild oder das Modell eines möglichen Sachverhalts wie das Modell des Verkehrsunfalls vor Gericht an der bestimmten Straßenkreuzung vor einem Monat repräsentieren. Es wäre absurd zu fragen, wem das innere Bild ähnlich sehen mag, denn es gibt kein mentales oder reales Bild der Ähnlichkeit, sondern nur ein Bild, das einem anderen ähnlich ist, während es sinnvoll ist zu fragen, ob das Modell des Verkehrsunfalls die Sachlage richtig wiedergibt.

In welchem Sinne sollen wir, wenn wir sehen, dass es regnet, den Gedanken fassen und haben, dass es regnet, um die wahre Aussage aussprechen zu können, dass es regnet?

Wir sehen ja, dass es regnet, und sagen es.

Wir sagen es gleichsam ohne nachzudenken.

Es zeigt sich und was sich zeigt, können wir sagen.

Der Mythos des Gedankens (sprich Logos, sprich Ratio) schmilzt wie der Schnee und die verhüllte Landschaft wird sichtbar.

Wir müssen sehen, wie wir den Ausdruck „denken“ oder „Gedanke“ verwenden, um den Schatten des Denkens und des Gedankens zu lichten.

„Hast du daran gedacht, den Regenschirm mitzunehmen“ heißt so viel wie: „Du hast doch nicht vergessen, den Regenschirm mitzunehmen?“

Dass du den Regenschirm vergessen hast, zeigt sich, wenn du in deiner Tasche nachschaust und ihn nicht findest.

„Als er Peter erblickte, dachte er gleich an dessen Bruder Paul“ heißt so viel wie: „Als er Peter erblickte, erinnerte er sich an Paul.“

Und die Erinnerung an Paul ist, wie bemerkt, nicht ein mentales Bild von Paul, denn wäre dem so, hätten wir kein Kriterium dafür, dass es nicht ein Bild von Hans sein könnte.

„Er spielte mit dem Gedanken zu verreisen“ heißt so viel wie: „Er hegte die Absicht zu verreisen“. Und wenn er die Absicht nicht verwirklichte, verwarf er sie, negierte aber nicht einen Gedanken an eine Reise. Dass er die Absicht hat zu verreisen, zeigt sich in dem Umstand, dass er seinen Koffer packt und zum Bahnhof fährt.

„Er dachte nicht daran, aus Rücksicht auf ihr Leiden seine vorwurfsvolle Tirade zu beenden“ heißt so viel wie: „Er nahm keine Rücksicht auf sie und redete weiter auf sie ein.“ Dass er keine Rücksicht nimmt, zeigt sich darin, dass er ihr trotz aller Anzeichen ihres Unwohlseins mit seinem Redeschwall in den Ohren liegt.

Oftmals ist demnach der Ausdruck „denken“ redundant und kann einfach durch das eigentliche Prädikat des Satzes ersetzt werden.

„Die Gedanken, die Wittgenstein vortrug, schienen zunächst trivial, hatten aber einen vertrackten Nebensinn.“ Hier können wir „Gedanken“ durch „Sätze“ oder „Aussagen“ ersetzen.

Der Sinn der Aussage „Der Morgenstern ist der Abendstern“ ist der Gedanke, dass der Morgenstern und der Abendstern denselben Stern, die Venus, bedeuten.

Das heißt aber, dass wir in allen Sätzen, ohne ihren Wahrheitswert zu ändern, den Ausdruck „Morgenstern“ durch den Ausdruck „Abendstern“ ersetzen können. Der Gedanke der Identität wird abgelöst durch die Regel der Substitution sprachlicher Ausdrücke.

Der Paranoiker leidet unter dem zwanghaft sich aufdrängenden Gedanken, das Essen sei vergiftet.

Das heißt nichts anderes, als dass der Kranke glaubt, das Essen sei vergiftet.

Wir können in vielen Fällen den unterstellten mentalen Zustand, etwas zu glauben, wie in diesem Fall den Glauben des Kranken, dass die Nahrung vergiftet sei, durch die Beschreibung des Verhaltens auflösen: Der Kranke meidet das Essen, er riecht daran und schiebt es beiseite oder sein Verdacht tritt einfach dadurch zutage, dass er die Nahrung als giftig bezeichnet.

Dass der Paranoiker glaubt, er werde verfolgt oder sein Essen vergiftet, zeigt sich, und würde es sich nicht zeigen, würden wir ihm nicht unterstellen zu glauben, dass man nach seinem Leben trachte.

Wenn seine Freundin krank ist, muss ihr Freund oft an sie denken. Wie zeigt sich dies? Nun, der Freund spricht vielleicht den Namen seiner Freundin selbstvergessen vor sich hin, er liest in ihren alten Briefen, schaut sich immer wieder ihre Fotos an, er küsst ein Porträtfoto seiner Freundin oder streichelt halbbewusst den Schal, den sie bei ihrem letzten Besuch liegen gelassen hat.

Aber ist die Folgerung, dass Sokrates sterblich ist, wenn alle Menschen sterblich sind und er ein Mensch ist, nicht ein Gedanke par excellence? Wir können ihn indes durch einen schlichten Kalkül ersetzen, indem wir die Regel „Was für alle Elemente einer abzählbaren Menge gilt, gilt für jedes einzelne Element“ formalisieren oder den Gedanken durch einen einfachen Algorithmus ersetzen. Den Algorithmus kann man auf einem primitiven Abakus durch Hin- und Herschieben von bunten Holzkügelchen darstellen und dabei an sonst etwas denken.

Wenn du der Verkäuferin mit dem Finger das Brötchen bezeichnest, das du kaufen willst, und deine Geste mit den Worten begleitest „das Mohnbrötchen“, zeigst du dabei, wenn auch nur indirekt, (auf) deinen Wunsch, dieses Brötchen zu kaufen?

Nein, du zeigst nicht auf deinen mentalen Zustand, sondern dein Wunsch zeigt sich in dem, was du tust.

Du könntest das Mohnbrötchen im Auftrag deines Freundes kaufen, der den Wunsch geäußert hat, eines zum Frühstuck zu essen. Dann drückt deine Geste und deine Äußerung nicht deinen Wunsch aus, sondern die Absicht, solch ein Brötchen zu kaufen.

Die Verkäuferin versteht deine Absicht, wenn du auf das Brötchen zeigst. Aber hast du dabei auch auf deine Absicht gezeigt?

Nein, deine Absicht zeigt sich und wird in dem offenkundig, was du tust.

Du könntest auf das Mohnbrötchen zeigen und dabei weder den Wunsch noch die Absicht haben, es zu kaufen, weil du noch ziemlich verschlafen und zerstreut eigentlich ein Rosinenbrötchen kaufen wolltest, aber in deiner Zerstreutheit auf ein Mohnbrötchen gedeutet hast, was du erst auf dem Nachhauseweg bemerkst.

Daraus ersehen wir, dass die Zeigegeste und der sprachliche Ausdruck, der sie vertritt, kein Bild und keine Repräsentation eines Gedankens oder eines mentalen Zustandes sein muss, um zu gelingen, das heißt, auf etwas zu zeigen oder etwas zu benennen.

Indes, die gesamte abendländische Tradition der Sprachphilosophie von Aristoteles (De interpretatione) über Frege (Der Gedanke) bis Wittgenstein (Tractatus logico-philosophicus) geht von der Grundannahme aus, der sinnvolle sprachliche Ausdruck sei ein Bild des Gedankens und der Gedanke ein Bild einer Sache oder einer Tatsache.

Wir können den Gedanken durch die Beschreibung dessen ersetzen, was wir mit Gesten und Worten tun, ohne auf innere Bilder, mentale Zustände oder Repräsentationen zurückgreifen zu müssen. In dem, was wir auf diese Weise tun, zeigt sich, was wir denken und meinen.

 

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