Die Wespen der Metaphysik und des Nihilismus
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Diejenigen, die von Wespen umschwirrt und heimgesucht werden, mit den Armen fuchteln und mit der Hand durch die Luft fegen, wirken auf den entfernten Beobachter, der die lästigen Angreifer nicht wahrnimmt, wie von Sinnen.
Die Wespe der Metaphysik sticht fatalerweise bevorzugt Allergiker.
Die Gestochenen beginnen in einer Art Geheimsprache zu reden, zu ihrem stehenden Vokabular gehören Wörter wie „alle Dinge“, „Welt“, „Seele“ und „Gott“.
Einer, den sie gestochen hat, glaubt etwa, Gott sehe alles, auch seine eigenen Gedanken, oder sehe alles voraus, auch seine eigenen Taten, oder sei in allem und zugleich nirgendwo.
Sie reden über alles, nur nicht über die Art und Weise, wie sie reden, zum Beispiel über alles. Denn die sprachlichen Ausdrücke „alles“, „alle Dinge“, „alle Zahlen“ oder „alle Tatsachen“ sind kein Teil der Welt, sondern eine Weise, über sie zu reden.
Wir können fragen, wie viele Bücher sich in diesem Zimmer befinden, und haben wir sie gezählt, fragen, ob das alle sind.
Wir können uns nicht auf alle Dinge in diesem Zimmer beziehen. Denn diese gibt es nicht.
Es gibt keine unendliche Menge von Zahlen, sondern beispielsweise eine beliebige Reihe von natürlichen Zahlen, die wir mittels der Addition von 1 beliebig fortsetzen können.
Wir kommen mit dem Zählen der Reihe nicht ans Ende. Das heißt nicht, dass wir in der Ewigkeit ans Ende kämen oder dass die unendliche Reihe der Zahlen oder alle Dinge in einer außerzeitlichen Dimension existierten.
Zwischen zwei Zahlen tut sich kein metaphysischer Abgrund auf, weil wir ihre Differenz immer weiter teilen können, ohne an ein Ende zu kommen.
Achilleus würde die Schildkröte niemals einholen, wäre die zurückgelegte Strecke ein ins unendliche teilbares Zahlenkontinuum. Aber er läuft nicht auf dem Zahlenstrahl, sondern auf einer Ereignislinie der Raum-Zeit.
Die Menge der reellen Zahlen ist nicht unendlicher oder mächtiger als die Menge der natürlichen Zahlen, weil Mengen dieser Art bilden (geschweige denn sich vorstellen) zu wollen widersinnig ist.
Warum ist eine Stunde vergangen, seit Romeo auf seine Julia gewartet hat, wo man doch die Stunde in Minuten, die Minuten in Sekunden, die Sekunden in Millisekunden, die Millisekunden in Mikrosekunden, die Mikrosekunden in Nanosekunden usw. einteilen kann.
Hätte Aristoteles Gott fragen können, ob morgen die Seeschlacht zwischen den Athenern und den Spartanern stattfindet?
Könnte ein außerzeitlicher Gott meine Gedanken an mein gestriges Erlebnis oder mein morgiges Vorhaben lesen?
Gehören alle Tatsachen und Ereignisse der von uns durchlebten Vergangenheit zur Identität unseres Selbst und könnte, wenn uns dies überfordert, Gott sie alle überblicken?
Aber wenn alle Tatsachen, dann auch ihre Negationen, denn eine Tatsache ist die Negation der Tatsache, die nicht eingetreten ist. Wenn alle Ereignisse, dann auch alle, die hätten am folgenden Tag eintreten können, denn von jedem Ereignis zweigen verschiedene Linien virtueller Ereignisse ab. Wenn alle diese, dann auch alle Ereignisse, die am nächstfolgenden Tag hätten eintreten können usw.
Wenn ich hermeneutisch skrupulös, um eine Textstelle im „Gottesstaat“ des Augustinus zu beleuchten, alle parallelen Stellen in diesem Werk heranziehe, muss ich auch die relevanten Textstellen im Gesamtwerk des Autors zur weiteren Vertiefung abgleichen, doch da sich Augustinus vielfach auf die Bibel und viele andere antike Autoren, Dichter und Theologen bezieht, muss ich auch die Vulgata und die Werke all jener Autoren konsultieren. Und diese Autoren nehmen wieder Bezug auf ihre Vorgänger und Zeitgenossen. Diese Art der Haarspalterei und Erbsenzählerei, die sich als Hermeneutik missversteht, fände erst ein Ende, wenn Gott sich meiner erbarmte und mir seinen Geist einflößte. So dass ich besser daran täte, gleich zu Beginn im Gebet den Heiligen Geist um Erleuchtung anzurufen, was sicher ganz im Sinne des Augustinus wäre.
Der Satz: „Alle sinnvollen Sätze stellen mögliche oder tatsächliche Sachverhalte da“ ist nicht vollständig, denn er enthält sich selbst nicht.
Oder der Satz, dass alle sinnvollen Sätze mögliche oder tatsächliche Sachverhalte darstellen, stellt einen Sachverhalt dar. Aber dann könnte er nicht sagen, was er zu sagen vermeint, denn er spricht nicht von sich selbst.
Ludwig sieht seinen Schwestern und Brüdern ähnlich. Aber dass er ein Wittgenstein ist, ist keine Sache der Ähnlichkeit.
Sehen die Noten dem gesungenen Lied ähnlich? In gewisser Weise. Doch wenn wir einen Ton höher oder tiefer singen als von der Partitur angegeben sagen wir nicht, dass unsere Interpretation den Noten nicht ähnlich war, sondern dass wir nicht korrekt oder dass wir falsch gesungen haben.
Wenn jemand sagt, die rote Rose sei lilafarben, lassen wir das nicht durchgehen, auch wenn die Farbwerte Rot und Lila eine gewisse Ähnlichkeit haben, sondern korrigieren den Seheindruck. Wir vermuten, der Betreffende habe entweder den Gebrauch der Farbbegriffe nicht richtig gelernt oder sei fehlsichtig.
Je heftiger wir die Wespe verscheuchen, umso angriffslustiger kehrt sie zurück.
Wenn wir nicht wissen, ob ein Satz wahr ist, können wir daraus nicht schließen, dass er falsch ist.
Weil wir grundlegende Wahrheiten oder triviale Evidenzen, wie dass ich weiß, was du mit deiner Warnung oder Bitte sagen willst, nicht begründen oder aus letzten Gründen ableiten können, müssen wir den Unterschied zwischen wahren und falschen Annahmen nicht über Bord werfen und uns in einen fidelen oder depressiven Relativismus flüchten.
Aus dem Scheitern des ontologischen Gottesbeweises können wir nicht auf die Nichtexistenz Gottes schließen, aus der Unverständlichkeit metaphysischer Rede über Gott, die Welt und die Seele nicht auf die Sinnlosigkeit religiöser Weltsichten und ritueller Weltzugänge.
Aus dem Scheitern des Versuchs, die Mathematik auf die Logik zu gründen, folgt nicht, dass mathematische Beweise sinnlos sind.
Die Wespen des Nihilismus, einer revolutionären Abart der Metaphysik, stechen fatalerweise Allergiker, die sich Befreier und Wohltäter der Menschheit nennen. Die Gestochenen reden in einem erhabenen Jargon des Moralismus und Egalitarismus, dessen konsequente, oft zu großen Volksfesten ausufernde Anwendung zur Verkürzung um den Kopf oder dessen autonomen geistigen Inhalt der moralisch gleich Behandelten führt.
Dem Sieg der Pöbelherrschaft über die Aristokratie folgt die Zersetzung des Bonmots in der Phrase, des Aperçus in der Schlagzeile.
Die schüchternen Begabten werden Redenschreiber für die machthungrigen Dummen.
Wer Schönheit und Ordnung für ein Ideal repressiver Erziehung hält, darf sich zum Künstler berufen fühlen.
Wer die Nike von Samothrake für eine exquisite Parfummarke hält, töpfert oder meißelt ungeschlachte Frauentorsi, die sich mit dem speckigen Firnis des Feminismus überzogen noch besser verkaufen.
Der Wind ist nicht mysteriös und kein Noumenon, weil wir ihn nicht sehen, riechen oder schmecken und nur seine Wirkungen wahrnehmen, wenn Blätter zittern und rauschen oder uns der Hut vom Kopf gefegt wird.
Wolken sind keine vagen Dinge, weil ihr Umriss nicht wie ein menschliches Profil heraussticht und sie sich im blauen Nirgendwo auflösen.
Wie viele Tropfen machen den Regen? Erst fallen ein paar Tropfen, und wir sagen, es beginnt zu regnen. Dann schüttet es wie aus Eimern. Ähnlich dem, was wir vermuten und was wir mit Gewissheit behaupten.
Auf der gewundenen Linie kommt man schneller ans Ziel.
Die große Mauer scheint unüberwindlich. Doch einer findet die schmale Geheimtür.
Wenn alle schlafen, schleicht er unbemerkt von dannen.
Manche malen auf die Mauer, die ihren Horizont versperrt, und nennen es Kunst.
Wie viele Tropfen braucht es, damit wir von einer Lache sprechen? Mit solchen Grübeleien die Sterbenszeit vertun.
Irgendeine geometrische Figur auf der Fläche oder im Raum können wir aus Linien konstruieren, die sich schneiden oder berühren. Wir müssen nicht wissen, woraus die Linien bestehen, ob sie Bleistiftkratzer auf dem Papier sind oder Bündel von koordinierten Zahlen.
Ähnlich ist es mit Wörtern und Sätzen.
Der Sinn der Konstruktion eines beliebigen Dreiecks kann der Nachweis sein, dass wir es als die Hälfte eines regelmäßigen Vierecks konstruieren können. Der Sinn der Konstruktion eines rechtwinkligen Dreiecks kann der Nachweis sein, dass wir es als die Hälfte eines Quadrats konstruieren können. Die Hälften der Flächeninhalte der konstruierten Rechtecke entsprechen den Flächeninhalten des jeweiligen Dreiecks.
Können wir den Sinn der Konstruktion von Sätzen auf ähnliche Weise bestimmen?
Wir können den Inhalt des Satzes „Peter ist ein Junggeselle“ aus dem Inhalt des Satzes „Peter ist unverheiratet“ bestimmen.
Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied: Wir können sehen, daß der Flächeninhalt des rechtwinkligen Dreiecks die Hälfte des Flächeninhalts des Quadrats ausmacht. Doch wir können nicht sehen, dass der Inhalt des Satzes „Peter ist ein Junggeselle“ derselbe ist wie der Inhalt des Satzes „Peter ist unverheiratet“, es sei denn, wir wissen, dass die Ausdrücke „Junggeselle“ und „unverheirateter Mann“ bedeutungsgleich sind.
Daraus ersehen wir, dass die sprachliche Bedeutung nicht auf die Bedeutung von Mustern oder logischen Definitionen oder formalen und allgemeingültigen Regeln zurückgeführt werden kann. Wir können sie nicht aus einem gegebenen Set von Annahmen wie den Axiomen der Geometrie ableiten, sondern müssen sie lebenspraktisch in der Einübung von zunächst einfachen, dann immer komplizierteren Sprachhandlungen erlernen.
Eine Maschine kann die Sätze „Peter ist ein Junggeselle“ und „Peter ist ein unverheirateter Mann“ regelförmig füreinander austauschen, wenn wir sie mit der Information gefüttert haben, dass die beiden Prädikate „Junggeselle“ und „unverheirateter Mann“ bedeutungsgleich sind. Sie könnte uns ohne diesen Input bei fortgesetzter Verwendung der beiden Sätzen nicht fragen: „Handelt es sich dabei um DASSELBE?“
Die Maschine kann es nicht lernen, wie wir es lernen würden, wenn uns Peter bei einer Gelegenheit als unverheirateter Mann vorgestellt würde, bei anderer Gelegenheit als Peter, der allein lebt, und den man ein anderes Mal gesprächsweise als „jenen Junggesellen Peter“ erwähnte.
Im Unterschied zum lernunwilligen Roboter lernen wir, zwei unterschiedliche Prädikate in verschiedenen Kontexten in derselben Bedeutung zu verwenden.
Comments are closed.