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Die Tür war nur angelehnt

02.07.2023

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Wer herausragt, zieht scheele Blicke auf sich. – Guillotiniert man die exzellenten Orchideen und Rosen, bleibt, der uns auf Dauer anödet, der bieder-niedere Rasen.

Die Krone kann einer nur tragen; sie allen erbberechtigten Brüdern vermachen zu wollen hieße, sie in Stücke zerschlagen zu müssen.

Wenn alle – o Reich der Liebe – gleich zu gleich auf Augenhöhe gestellt werden, sind alle gleichermaßen gedemütigt, düpiert und gelackmeiert.

Wer effeminiert die scharfe Schneide des Verstandes fürchtet, versteckt sich hinter süßlichen Grimassen und verständnisheischendem Gefuchtel.

Dichters Ehre – sich nicht von tätowierten Brillenschlangen ins Gedicht zischen zu lassen.

Am Nullpunkt des Denkens und Sagens spalten und gabeln sich Ja und Nein, Wahr und Falsch, Sein und Nichtsein, Leben und Tod.

Am Nullpunkt des Denkens lösen sich die Bilder auf.

„Das Leben ist ein Gefängnis.“ – „Das Leben ist ein Geschenk.“ – Aber der noch nicht Existente kann weder in Ketten geschlagen noch beschenkt werden.

Die Seele ist kein Schatten des Körpers. – Der Schatten ist kein interner Teil dessen, der ihn wirft.

Denken, das mit dem Kopf gegen die Mauer der Sprache schlägt.

Will man alles bedenken, alles erwägen, kommt man nie dazu, die Schwelle zu überschreiten.

Die Größe ist ungerecht.

Die Illusion, allem und allen gerecht werden zu sollen, mündet in Stumpfsinn und Apathie.

Der Unglückliche und der Glückspilz reden nicht über dasselbe, auch wenn sie das gleiche sagen.

Empfindungen lassen sich nicht vollständig analysieren; die Farbempfindung geht nicht auf in der Formel Lichtfrequenz x Nervensystem, für deren Geltung wir einen Apparat ohne Wissen von sich selbst konstruieren können.

Man kann anhand des lächelnden Gesichts im Spiegel nicht erkennen, daß man es selbst ist, der lächelt, ohne gefühlt zu haben, daß man lächelt.

Empfindungen sind Keimstätten des Gefühls; die Ekelempfindung ist der Keim für die Gefühle der Abneigung und Verachtung.

Weil Hinz die Juden, die abstrakte Malerei und Dichtung, die atonale Musik und den Jazz haßte, ist Kunz nicht dazu verpflichtet, all das hochzuschätzen und zu lieben.

Sprachkritik oder die Eichung von Begriffen.

Das Langenmaß muß die Dimension des zu Messenden haben; die Ars poetica über Begriffe verfügen, die sich an die Dichte und Intensität der poetischen Bilder und Rhythmen anzuschmiegen geeignet sind.

Ist Intensität ein ausreichendes Maß der Empfindung? – Der ersterbende Klang der Sonate.

Rilke läßt den letzten Takt im letzten Vers des Gedichts „Der Panther“ aus; die Steigerung des Ausdrucks durch das Ausgesparte und nicht Ausgedrückte.

Die kausale Perspektive der Biologie – Tier unter Tieren – genügt nicht, um zu verstehen, daß wir es sind, die morgens erwachen.

Der tierische Laut ist kein Begriff; die Nachtigall weiß nicht, daß sie singt.

Die Bedeutung und der Begriff sind nicht der Schatten des Körpers des Lauts.

Der Blick öffnet und schließt das Gesichtsfeld. – Das unwillkürliche Tasten des Blicks, das registrierende, bewertende Prüfen des Blicks.

Wie man ihn anblickt, blickt der Angeblickte zurück.

Mythologie, als könne das Gehirn etwas erblicken, ein Bild, eine Landschaft, ein Gesicht.

Mythologie, als wäre das Ich oder Subjekt der geheime Souverän und Schattenkönig im Reich der Bewußtseinsphänomene; Mythologie, auf der immerhin ein Platon, ein Kant ihre Ethik gründen, die sich in der Maxime verdichtet, der Souverän werde offenbar und trete aus dem Schatten.

Der reduktive Naturalismus ist begrifflicher Selbstmord aus Angst vor der Verführung durch den Idealismus.

Das aufopferungsvoll seine Jungen nährende und hütende Muttertier weiß nicht, daß sein Verhalten dazu dient, seine Gene weiterzugeben oder die Art zu erhalten.

Eltern zeugen und päppeln unter hohem Einsatz ihrer Energien und Ressourcen ihre Nachkommen nicht in der Absicht, die Populationsrate nicht sinken zu lassen.

Das Recht ist – trotz Platon, trotz Kant – kein Ableger der reinen Vernunft, sondern ein genuiner Sproß des Rechtsempfindens. Und dieser gedeiht in den Nebelauen urtümlicher Reaktionen wie solchen des Zorns, des Wunsches nach Rache und Vergeltung sowie nach Tötung oder Züchtigung des Übeltäters, Verräters, Mörders und Vergewaltigers.

Der Geschädigte muß den Schaden empfunden haben, bevor er nach Vergeltung schreit; nur der Betroffene ruft „Auge um Auge“ oder verlangt nach einer anderen Form der Entschädigung.

Das Gericht betreibt als Sachwalter der Rache- und Vergeltungswünsche des Geschädigten nicht deren institutionelle Neutralisierung, sondern übt die öffentliche Funktion ihrer Legalisierung aus.

Nur der pädagogisch und strafrechtlich wohldosiert verabreichte Schmerz belehrt; nur die verbrannte Zunge hütet sich vor weiterem Zischen und Lästern, nur das gestopfte Maul garantiert nächtliche Ruhe.

Der kastrierte Vergewaltiger und Triebtäter muß sich ein neues Betätigungsfeld suchen.

Das Mißverständnis der Vernunft als Herrin im Haus der Seele suggerierte und insinuierte der Antike die verlockenden Bilder der Ruhe, der Beschwichtigung, der Meeresstille und Ataraxie.

Der Psychologe Augustinus und der Tiefenpsychologe Pascal hatten gegen die Annahme der antiken Philosophie von der Souveränität der Vernunft den auf tiefem Empfinden gegründeten berechtigten Einwand erhoben, daß die Unruhe des Herzens unstillbar sei und einzig der Frieden Gottes sich – je nach Fall – seiner erbarmen könne.

Das Briefwerk des Horaz ist ein Zeugnis des vergeblichen Ringens um die Befriedung der Unruhe des menschlichen Herzens.

Die Unruhe kann wohl betäubt, nicht aber gestillt werden.

Die Sehnsucht des kleinen Marcel nach dem Gute-Nacht-Kuß der Mutter ist größer und betörender als die Erfüllung seines Wunsches, der einer Enttäuschung nahekommt.

Erwachsen werden oder geistig reifen hieße, die Fremdheit des Daseins ertragen zu lernen, ohne den Verlockungen nachzugeben, sie mittels Betäubungsmittel aller Art – Drogen, Religionen, totalitäre Ideologien – auslöschen zu wollen.

Der Wahnsinnige schlägt verzweifelt gegen die Tür, die, wenn er erschöpft zu Boden sinkt, wie von Geisterhand aufspringt. Die Tür war nur angelehnt.

Das Weinen, das den Nervenknoten und nervösen Krampf löst, den Krampf, in dem wir infantil am unerreichbar Fremden oder fremd Gewordenen hängen (der Imago der stillenden Brust oder der verlorenen Heimat).

Effeminierte Kerle mit grell lackierten Fingernägeln und Ohrringen, halb kahl geschorene Mädchen mit Piercings an Nase und Lippen, plakathafte Vulva-Kitsch-Malereien, Sprachverhunzungen à la „jeder und jede“, „Autor:innen“ oder „Menschen, die menstruieren“: Die Lust an der Entstellung, am Schiefen, Verdrehten und Grellen, gedeiht wie Unkraut in der Bodenlosigkeit der urbanen Endzeit-Zivilisation.

Was wahr und falsch, recht und unrecht, schön und häßlich ist, steht im Allgemeinen nicht zur Disposition; das aber reizt und kränkt den geistig Schwachen und den Perversen.

Leute, die es als befreiende Wahrheit oder alleinseligmachende Offenbarung in alle Mikrophone schreien, es tummle sich zwischen den Polen von Mann und Frau eine faszinierende Schar von zwielichtigen Gestalten, ähneln den Toren, die annehmen, zwischen dem Wahren und Falschen hause noch ein buntes Völkchen verlockender Halbwahrheiten.

Jede Ästhetik und jede Ars poetica sind insofern normativ, als sie methodische Mittel bereitstellen, um beispielsweise über einen vorliegenden Text zur Entscheidung darüber zu kommen, ob es sich dabei um ein Gedicht oder um ein zusammengestoppeltes, zusammengeleimtes, aus Versatzstücken angesagter Zeitgeistphrasen montiertes  Pseudo-Gedicht handelt.

Der Irrtum, die Kunst sei etwas durch und durch Künstliches, rührt schon an den Wahn, alles müsse machbar sein. – Der Kern der Kunst ist der Willkür entzogen, ähnlich wie die natürlichen Tatsachen der Zweigeschlechtlichkeit und die in ihr aufsteigenden erotischen Gewitter.

Die Erfahrung des Göttlichen kann man nicht erlernen, provozieren oder nachahmen. – Hölderlin drückt dies aus, wenn er davon spricht, er fühle sich von Apollon geschlagen.

Die Banalität und seelische Kahlheit, der erotischen Gefahr mittels künstlicher Angstverhütungsmittel scheinbar entronnen, reden im Staccato vom Spaß am Sex.

Perversionen sind Gefühlswelten und Verhaltensweisen, in denen sich die mehr oder weniger vollständige Ablösung der Sexualität von der Fruchtbarkeit dokumentiert.

Man kann nicht die Absicht hegen, ein Dichter zu werden oder sich zu verlieben.

Die mittels künstlicher Stimulantien erweckten poetischen Ergüsse machen der Muse kein Kind.

Sie destillieren aus der unverfügbaren Gnade eine fade Soße, die sie auf die noch faderen Hostien einer Massenspeisung streichen, um sie als Liebesmahl zu deklarieren.

Das auf das Puttenmaß von sentimentalem Kitsch allumfassender Menschenliebe und karitativer und politischer Gesinnungsmoral geschrumpfte Christentum zerfällt wie die Reliquie im Schrein, die man unvorsichtigerweise der Frischluft ausgesetzt hat.

 

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