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Die Tür

16.12.2014

Kleine allegorische Betrachtungen

Wenn du nach Hause kommst, schließt du hinter dir die Tür. Oder sollen wir sagen, die Tatsache, dass du hinter dir die Türe schließen kannst, ist der Grund dafür, dich zu Hause zu wissen und zu fühlen?

Wenn du dich zum Schlafen ins Bett begibst, gehst du davon aus oder vergewisserst dich noch einmal, dass die Tür geschlossen ist – und wenn sie nicht geschlossen ist, schließt du sie. Denn während du schläfst, bist du im ungeschütztesten und ausgesetztesten Zustand deiner Existenz.

Mit der Tür schließt du die Außenwelt aus und die Angst vor der Außenwelt. Du magst für diesen Schutz büßen mit den Gefahren deiner Innenwelt und der Angst vor diesen Gefahren.

Bei Kafka verharrt der Mensch wartend vor der Tür, die von einem Wächter bewacht wird. Wir ahnen sogleich und dann wird es ja gesagt, dass hinter dieser Türe tausend andere sind, die von anderen Wächtern bewacht werden. Und der Mensch vertut die Zeit mit Warten, bis er schließlich senil geworden mit seinen Flöhen spricht. Hätte er ein Leben gehabt, ein gutes, oder es beginnen können, wäre er einfach beherzt durch die Tür geschritten? Der Wächter wäre sicher zurückgewichen, war er doch nur das Bild der Angst, die Schwelle zu betreten.

Das Tor des Lebens ist Jener, der sich so nennt. Was das Leben in Fülle sei, in das man durch diese Tür gelangt, nennt das Alte Testament Jobel- oder Sabbatjahr, das Neue Testament Heiliges Jahr, in dem der Pilger durch die Heilige Pforte der Basiliken zu Rom von der Welt der Sünde und Schuld in die Welt der Gnade und Unschuld tritt.

Wenn wir unsicher sind, entfernen wir uns nicht weit von der Haustür. Wir treffen uns vielleicht mit einem Freund, aber unter der Bedingung, dass wir es nicht weit haben, nach Hause zu gelangen und die Tür mit einem Seufzer wieder hinter uns zu verschließen.

Das Neue Jerusalem der Apokalypse hat gemäß der Anzahl der zwölf Stämme Israels zwölf Tore, die von ebenso vielen Engeln bewacht werden. Es scheint unklar oder ungewiss, wer in das Gnadenreich Aufnahme findet, denn wir wissen nicht, wer reingewaschen wurde im Blut des Lammes und wer nicht. Wir wissen nicht, ob die verschiedenen Eingänge Eingänge in dieselbe Stadt oder Zugänge nur zu bestimmten Vierteln derselben Stadt bedeuten. Doch allen wird, sagt die Schrift, überall das Lamm, das in der Mitte hoch aufgerichtet ist, leuchten, sodass die Nacht und die Angst der Nacht für immer überwunden sein werden.

Eine Welt ohne Nacht, eine unserer Natur unbegreifliche und unvorstellbare Welt, wäre gewiss eine Welt ohne Grenzen und Mauern, denn diese wachsen aus der Angst der Nacht, es wäre gewiss eine Welt ohne Türen, denn diese regulieren die Ein- und Ausgänge an den Grenzen und Mauern. Es ist eine ebenso unbegreifliche Welt oder dieselbe unbegreifliche Welt wie jene, die hinter der Tür des Paradieses liegt, die für unsere menschliche Natur für immer verschlossen von den beiden Engelswächtern bewacht wird.

Wir denken gern an die geheimen Abkommen der Liebenden oder der Freunde: „So und so viel Mal klingeln bedeutet, ich bin es!“ Der Geliebte oder Freund ist darin vor allen ausgezeichnet, dass ihm unsere Tür immer offen steht. Den lästigen Vertreter einer Ware oder einer Weltanschauung, der schon beinahe den Fuß in der Tür hatte, weisen wir rasch ab. Den Dieb oder Räuber, der in unsere heiligsten Bezirke einzudringen sucht, sollen und dürfen wir der Strafmacht ausliefern.

Das Paradies, könnte man sagen, ist die Welt, in der du jederzeit müde dich in irgendeine Ecke oder Laube niederlassen könntest, um zu schlafen. Hienieden schläfst du nicht ein oder schläfst nur sehr unruhig, wenn du vergessen haben solltest, die Tür zu schließen.

Auf der Straße von einem Liederjan oder Grobian belästigt, beleidigt oder angegriffen zu werden, ist schon arg genug. Wenn dies in den eigenen Wänden geschieht, in die Sorglosigkeit und Leichtsinn einen solchen Menschen zu Gast geladen haben, hinterlässt dies wohl bleibende Schäden.

Wem aber öffnen wir die Tür? Nur dem, der unser Vertrauen verdient. Wem zu vertrauen sind wir am ehesten geneigt? Den Großeltern und Eltern, den Kindern und Enkeln, den Anverwandten. Auch wenn uns manches familiäre Zerwürfnis und manche blutrünstige griechische oder freudianische Tragödie eines Besseren belehren wollen, auf Dauer siegen die Mächte des Bluts und der frühen Zuwendungen. Wir vertrauen auch denen, die sich uns durch Geleit und Hilfe, Einsatz und Großzügigkeit unsere freundschaftliche Gunst erworben haben oder deren Anmut und der Charme lächelnder Unschuld unwiderstehlich zu ihren Gunsten sprechen.

Wem verschließen wir die Tür? All denen, die unser berechtigtes Misstrauen verdienen, weil sie darauf sinnen, unser Vertrauen zu missbrauchen und uns durch falschen Rat und böse Tat Schaden zuzufügen.

Die Liebe weiß vom Schlüssel zum Herzen des Geliebten. Welche Tür ward hier verschlossen? Nun, die Tür, hinter der unsere trivialen Worte den zauberhaften Klang des Niegesagten annehmen und was sie ausdrücken nie zuvor gedacht und gefühlt worden zu sein scheint.

Freilich kann es geschehen, dass einer, den die Angst trieb, seine Tür zu verrammeln und zu verpichen, sie nicht mehr allein aufzuschließen versteht, sodass er im eigenen Dunkel dahinsiecht und verschmachtet.

Hinter verschlossener Tür haben wir unseren Lebensraum gestaltet und verdichtet. Hier häufen wir unsere noch so bescheidenen Schätze und lichten unsere alltäglichen Momente mit Bildern, Blumen oder Andenken. Hier haben wir unsere Vorräte gehäuft. Und wen wir hier zu Gast laden, beköstigen wir mit Speise und Trank. Von denen wir wissen, dass ihnen unsere Speisen unbekömmlich sind und unsere Getränke den Gaumen verstimmen, von denen wir fürchten müssen, dass sie unsere liebsten Gäste mit schlechten Witzen und ungehörigem Betragen verstimmen oder vertreiben, ja fürchten müssen, dass sie am Ende das kleine Erbe, das Silberbesteck oder die Erstausgabe von Stifter mitgehen lassen – die sollen und dürfen wir der Ehre unserer Einladung nicht teilhaftig werden lassen oder sie ohne Federlesens von der Gästeliste streichen.

Du erinnerst dich gern an dein ländliches Zuhause in Metternich, und auch wenn deine kleinen Geschichten von den hellen Kieswegen, den Gaslaternen oder dem festlichen Ruf der Glocken den Goldton der Legende oder den Grünspan der Verklärung angenommen zu haben scheinen – dass euer Gast das Fahrrad, ohne es abgeschlossen zu haben, an der immer offenen Haustür in der Oberdorfstraße 9 hat abstellen können und nach langer Weile zeit- und kuchenverzehrenden Tratschens bei Käthe und Johann an derselben Stelle unbeschadet wiederfand, nehmen wir dir ab und es dünkt uns glaubhaft. Und wir sehnen uns gern in diese scheinbare Utopie einer Gemeinschaft, in der die Angst vor der losgelassenen Selbstsucht vom Gewicht des Gemeinsinns niedergehalten wurde, wenn dieses Gewicht dem einen oder anderen auch manchmal wie ein Stein auf den Schultern lag.

Die Lehrerin sagte es ganz im Vertrauen, sie habe das Gefühl gehabt, als wäre eine schwere Tür hinter ihr für immer ins Schloss gefallen, nachdem sie zum ersten Mal die Klasse betreten hatte, um ihren Unterricht abzuhalten.

Wie lieb von dir, der alten Dame die Tür offen gehalten zu haben, um ihr den Schritt über die Schwelle zu erleichtern. Du hast ihr nicht nur deine Höflichkeit bezeugt, indem du ihr den Vortritt gelassen hast, sondern bist mit dieser Geste ihr gegenüber auch in die Verantwortung dafür getreten, dass sie in dem Raum, den sie nunmehr betrat, dank deiner Obhut Sicherheit und Behagen zu gewärtigen habe.

Es gibt einen seltsamen Topos der antiken Liebeselegie, wonach der Liebende wie ein elendes Hündchen jammernd und wehklagend vor der verschlossenen Tür der Geliebten die Nacht ausharrt, vergebens auf ein gütiges Zeichen der Geliebten hoffend oder darauf, dass ihm unvermutet die Tür geöffnet werde. Ja, der geprügelte Hund lässt sich nicht einmal von dem genießerisch hervorgestoßenen Seufzen vertreiben, das dann und wann aus dem Innern dringt und nicht ohne das zärtliche Zutun eines Fremden zustande gekommen sein wird. Was sollen wir von diesem Winseln des Ausgeschlossenen vor der verschlossenen Türe halten, wenn uns nicht Abscheu das Nachsinnen madig macht? Oh, so konnte der Dichter noch diese letzte dunkle Falte einer schicksalhaft erlittenen Passion ausleuchten.

Die Kirche betont den Eingang mit der Erhöhung für den weltabgewandten Teil der Seele. Wir Kinder hüpften den Treppenaufgang zu St. Johannes in Koblenz-Metternich hinan und wurden dann schon ruhiger und still an der hohen eichenen Pforte, die man mit beiden Armen leise, langsam ins Innere schob. Auch das Weihwasserbecken gehört mitsamt dem Taufbecken noch zum Bereich des Eintretens, das mit der kleinen Einweihung besiegelt wird, die das Kreuzzeichen und das Benetzen mit dem Weihwasser darstellen. Ist doch die symbolisch-überwirkliche Tür zu diesem intimsten Bereich der Seele die Taufe, die erste Gnadengabe, die auf die Herabkunft der ewigen Stadt vorausweist. Wir wussten, dass das Licht, das die Tür öffnet, das Dunkel der Weltnacht nicht nur bricht, sondern aufschließt zum Gesang, zum Hymnus. Es kommt wohl aus unendlichen Fernen, und es war uns das nächste, wenn es aus kindlichem Auge erglänzte.

Sesam öffne dich – als gäbe es Worte, als gäbe es eine Sprache, die Wunder wirkt, die dich sanft bei der Hand nimmt und wie eine gläserne Puppe ins Märchen hineinstellt.

Haus und Tür verkörpern den Sinn des Daseins – dazusein und ein Bleiben zu finden. Hin- und herzuwandeln, ein- und auszugehen zwischen dem, was sich dir übereignet, und dem, was zu entdecken und zu benennen du freudig hoffen magst. Und wenn einmal der Wille zur Gestaltung hell wird, prangen bald Wappen, Allegorien, Sprüche, Grüße, Namensrunen an der Tür.

Die feindliche Macht ruht nicht, bis sie in Gestalt des freundlichen Dämons die Schwelle übertritt – das trojanische Pferd.

Das heimatliche Sitzen vor der Tür, wo Jung und Alt sich finden, wo halb vergessene, träumerisch ersonnene Lieder angestimmt werden – ein Grundmotiv der Romantik. Alles ist hier halb drinnen, halb draußen – draußen wohnen wie drinnen, in der eingehausten, eingehegten, sinnreich durchpulsten Natur, als ob eine nur leicht angelehnte Tür wie eines Gartens Pforte hin- und widerschwingt.

Die stählernen Gehäuse der totalitären Ideologien mit dem Tor, das da heißt: Opfer des Eigensinns. Der totale Zugriff und Übergriff, wenn die Schergen nachts an die Tür klopfen. Als baumelten alle Schlüssel am Schlüsselbund des Ogers.

Der südliche Mensch wohnt fern von der metaphysischen Gewalt des Tores: Seine Heimat glüht hinter dem dunklen Zugang einer unscheinbaren Pforte im Atrium, das ein intimer Himmel und das ernste Spiel des Lichts zu heiterer Muße erfüllen: Lauschen auf den plätschernden Brunnen, leises, mühelos sinnendes Plaudern, ohne die harten Akzente von Marktgeschrei und aufpeitschendem Aufruf.

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