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Die Tiburtinische Sibylle

03.07.2012

Frei nach der Legenda Aurea und dem Kapitel
„Das Gesicht des Kaisers“ aus dem Buch
„Die Wunder des Antichrist“ von Selma Lagerlöf

Ein schwarzer Brocken ragt der Berg
der Götter in die ungeheure Nacht,
die hat nicht Augen, hat nicht Ohren,
Sterngefunkel nicht und auch nicht
des Tibers dunkles Rauschen. Mit Angst
ist alles übertüncht, verhängt, erstickt,
wie Totenzimmer sind mit schwarzem Samt.

Der Kaiser flieht den Schlaf. Er wälzt sich
unter seidnem Tuch, er reißt die Augen auf,
ihn ängstet vor den grauen Traumgesichten,
die seiner harren Nacht um Nacht gleich
Harpyien, die edle Speisen, vor ihm aufgetischt
in goldnen Schalen, mit bösen Schnäbeln
wild zerhacken und verschlingen und ihn selbst,
des Reichs erhabnen Kaiser, ihn Augustus,
mit ölig-weichem Kot besprühn
zum Ekel seiner und des Hofes Abscheu.

Er muss, was ihm gebührt, den Ruhm,
den Glanz, die Ehre eines Gottentsprungnen,
dem Reiche neu verkünden und sich selbst
durch höchste Weihen für alle Zeiten
dem Hohn, dem Todverfallensein
entziehn. So windet er sich zittrig
aus dem Schlaf und heischt die Sänfte
für den Schicksalsgang zum Kapitol.

Das Opfer seinem Genius, das edle Paar
von weißen Tauben, hüllt er innig-müd
unter die Toga mit den Purpurstreifen.
Schlaftrunken gurren sie im Weidenkäfig,
er presst ihn an das Herz – und lauscht.
Wie ist die Nacht so still, es regt sich
kein Wind, so stumm, als wär der Fluss
verebbt, so finster, als wär das Firmament
in eine See aus schwarzem Teer getaucht.

Er fragt den Opferpriester, der ihm folgt
mit einem Reisigbündel und der Fackel,
was diese Nacht von andern Nächten scheide.
Der Priester hält die Fackel ans Gesicht:
„Ein Zeichen ist die Starre allen Lebens,
die Leere dieser Nacht ist selbst von Göttern
betretbar nicht und nicht erfüllbar.
Es scheint, als atme sich der alte Äon aus,
den neuen zu benennen weiß ich nicht.“

Am Gipfel finden sie das Rasenstück
am harten Fels, wo lange vorbedacht
der Tempelbau für seinen Genius.
Hier will der Kaiser just in dieser Nacht
den hohen Geist in ihm, der durch das
Labyrinth des Bluts an jeden Anfang reicht,
zum Segen zwingen mit der Opferung
und dem Gebet. Doch was ist dies?

Gelehnt im Dämmer an die Felsenmauer,
statuenstarr der schwere Leib der Frau,
ins Riesenhafte mit dem Stein verwachsen,
die Züge ganz verwittert, der Haare
graue Asche ins Gesicht geweht.
Sie scheint zu schlafen, träumt sie?
Doch träumt sie nicht, Sibylle sieht.

Sie blickt in fernen Horizont der Nacht
auf ärmliches Gefild am Grenzsaum
des Imperiums: Hirten sind geschart
mit ihrem Vieh um den fahlen Schein
der letzten Glut. Doch neben Lamm
und Schaf sind dort nicht ausgestreckt
in sanftem Ruhen Schakal und Wolf?
Da erstrahlt mit wunderbarer Macht
ein Stern, der bannt sie. Und sie wandern.

Doch der Kaiser muss sein Opfer bringen,
und er fasst den weißen Täuberich:
Der glatte Vogel gleitet aus der Hand
und schwingt sich in die dichte Nacht.
Kraftlos sackt die Hand des Herrschers
in den Schoß. Und der Kaiser krümmt sich.

Sibylle schaut: Um den weißen Stern, der
kometenhaft sich bauscht, erscheinen
von überallher weiße Engelscharen,
die mit zaubrischem Gesang ihr altes
Herz verjüngen. Die Wesen kreisen, flattern,
ihr Gesicht ist mildes Lächeln und ihr Haar
ein goldnes Blitzen durch die weite Nacht.

Das zweite Täubchen greift die schwere Hand
des Kaisers: Er will es, muss es halten,
der Priester senkt die Fackel schon und
murmelt sein Gebet. Die Hand bleibt schlaff:
Die Taube schwirrt nach oben in das Freie.
Augustus bricht in die Knie, schuldbewusst.

Da wendet sich mitleidig die Prophetin
dem Elend dieses Kaisers zu und hilft,
die Greisin hilft dem Herrscher auf
und spricht: „Augustus, Herrscher bist du wohl
in dieser heiligen Stadt, in dieser Zeit.
Doch was ich dir jetzt zeige, das ist größer
als die Größe deiner Macht und deines Reichs.“

Sie zeigt nach Osten, und auf einmal bricht
durch die bange Stille Rauschen, es singen
unverhofft die Vögel, die Winde säuseln
und im hohen Rund erstrahlen Stern und Stern.
Nun flattert rings das Paar der freien Tauben
und setzt sich links und rechts ihm auf die Schulter.

Vom Kaiser fällt jetzt ab das Grauen,
und heiter wird sein Sinn, er sieht,
wohin Sibylle zeigt, er sieht am Himmel
das hohe Bild der Jungfrau mit dem Kind.
„An diesem Ort“, Augustus spricht,
„will ich zur Heiligung und zum Gedenken
einen Altar uns stiften und ich heiße ihn
ara coeli, denn was des Himmels,
nur dem gebührt die Ehre und der Ruhm.“

 

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