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Die Schwalbe

15.11.2017

Dem Andenken an Peter Kurzeck

Ach, ohne Schwalben
bringt Sommer uns kein Glück.

Ja, das Glück des Sommers saß auf einer Wäscheleine,
angetan mit cremefarbener Weste,
schwarzblauem Frack
und einem kastanienbraunen Schal,
spreizte die Frackschöße
und sang.

Es war ein zart gefiederter Pfeil,
geschnellt von Dianas Bogen,
den sie an die nackte Brust gepreßt,
er ritzte die blaue Seide der Luft,
und die Seide riß wie Wollustzischen,
jählings stürzte er zur Erde nieder,
verschwand im Beerendunkel der Holunderbüsche.

Abends flogs ein blauer Schatten
am offenen Fenster rasch vorbei,
schrill schnarrend,
pickte im Fluge Mücken aus der Korona
der schiefen Gaslaterne vor dem Haus,
baute sich ein Nest aus dem Stroh,
wo du als Kind die Astgabel
einer Schleuder verstecktest.

Im Heuschober klebten oben im Gebälk
die lehmbraunen Schalen,
aus denen nickend kleine Schnäbel lugten,
der Altvogel kreiste zweifelnd um den Knaben,
neben dem die warme Milch im Eimer schwappte,
hohes Zwitschern, das stumpf abbrach
wie der Ton gerissener Geigensaiten,
und hurtig schnellte er zurück ins Nest.

Es trudelte wie Flaum verliebter Träumerei
auf den Schnee der Einsamkeit herab,
der schmolz wie unter warmen Lippen
und wurde Tau dem wilden Moos,
des Sommers Abschiedsgruß,
gefleckt erglänzte dort
wie zartes Porzellan
ein weißes Schwalbenei.

Das Stroh, die Scheune, all die kleinen Nester,
die Eier, bräunlich-rot gesprenkelt,
Gefieders blauer Flaum, der alte Hof,
die Gaslaterne, die Kinderschleuder
und des Holders Fliedertraum sind längst
von einer riesigen Schnauze aus Eisen
geschleift, zermalmt und plattgewalzt.

Wie das geschah? Warum es mußte sein?
So fragen Heuchler – oder Desperados.
Der Bauer, der plumpe Ochs, Verräter
an Blut und Ahnengeist,
roch seinen Reibach und gab alles dran,
und wurde doch am Ende selbst gefressen
vom Immobilienhai.

Geopfert ward dem wahren Gott der Zeit,
ein Tempel ihm errichtet aus Beton und Glas,
ein Salon, eine Garage, eine Waschanlage,
ein Zubringer zur Autobahn, eine Tankstelle,
die Tag und Nacht Gestank und Stoff abgibt
für blecherne Phrenesie über totem Teer,
asphalterstickten Gärten, Gas-Ekstase
zum Massaker an Hase, Reh und Igel
und Alpenmatten abzugrasen trüben Blicks.

Oder breitet seine gespenstischen Flügel
dort ein Windrad aus,
das mit Lerchen, Staren, Nachtigallen
den letzten Schwarm der Schwalben
gehäckselt und zerschreddert hat?

Ach, ohne Schwalben
bringt Sommer uns kein Glück.

 

Siehe:
https://www.youtube.com/watch?v=TDk85DO0A44

 

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