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Die Mutprobe

13.12.2013

Als könntest du, leicht geworden, hellsichtig,
mit dem feinsten Gefühl für die Schwingung
des Daseins an den Zehenspitzen
über die wippende, schwankende, summende Liane –
ist sie aus Gummi, aus Harz, aus mystischem Zwirn? –
wie ein Akrobat schreiten,
in einem Hemd sich blähender Seide,
immer mit dem einen Fuß vortastend schreiten, ja tänzeln –
und du magst vor Übermut in der Mitte
des schwarzen Abgrunds unter dir
lächelnd verweilen,
über dem Abgrund, aus dem nichts heraufdringt
als hin und wieder ein zungenheißes Schmatzen und Fletschen
oder ein geradezu ironisches Zischen.

Du vermagst über dem Leeren zu stehen
und einen freien Blick in die Höhe zu werfen,
den Augen der Sterne zu,
den stummen Claqueuren deiner Kunst,
und keck deine Mütze schwenken …

Da reißt dich ein Windstoß hinweg,
und du fühlst dich sinken und sinken –
hörst du von unten das Zischen?
Doch ein behendes Flattern der Arme
hebt dich märchenleicht auf deine Höhe.

Dein Herz schlägt wild, dein Hirn schäumt:
Du hältst die Balance, Schritt für Schritt
gleitest du an das andere Ufer.

Wartet denn dort wer auf dich?

Wer hat wohl den Abgrund gestiftet,
mit Angst und Wildheit gefüllt,
wer das Band über die Leere gespannt,
wer dich hinaufgesetzt in das Wagnis?

War es das Schicksal, war es Liebe?
Die Liebe gewiss, nur sie verleiht solche Kühnheit.

Oder etwa der hintergründige Schalk eines Dichters,
der es bei Lichte besah:

Das Band verläuft knapp überm Boden,
und auf dem Erdreich huschen
zwischen raschelnden Blättern
die immerzu wispernden Mäuse.

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