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Brennende Feder — sehendes Herz

16.10.2011

Die gefiederte Schlange

Nan Cuz gewidmet, der Heimgekehrten

Schrecklich springt mein Herz,
immer muss ich starren
auf das grüne Feuer,
immer muss ich lauschen
auf das singende Feuer.

Ich sehe und meine Augen sind zu,
ich fühle und meine Hand ist leer,
ich höre und mein Ohr ist ein Nest
für tausend krabbelnde Tiere.

Mein Dorf ist unter grünem Glas erstickt.
Die Stimmen der Lieben sind Geisterstimmen.
Ein Schleier verhüllt die Wege,
das Gesicht der Mutter verblasst.

Der große Schamane hat mich geweckt,
barfuß, wie ich bin, mit losem Haar,
hier mich auf das Moos der Urwelt gestellt.
Betet für mich, Götter!

 

Die gefiederte Schlange

Als ich den grünen Tempel sah,
sprang mir ein Federbällchen aus dem Mund.
Bin ich schon in der anderen Welt,
wo Gedanken wie Tropfen glänzen?

Was würgt ein fremder Gott in mir?
Federn brennen, ritzen meinen Mund.
Federn brennen, kitzeln meine Kehle.
Schlangenzunge ist nun meine Zunge.

Sie leckt nach Licht, ich presse, beiße
den Schlangenkopf mit meinen Lippen.
Ich habe Angst und muss das Fremde küssen.
Es stürzt aus mir hinaus ins Freie.

Da thront die Schlange mit dem Federbusch
und plustert sich hinauf ins Himmelslicht.
„Wo bin ich, Vater?“ – „Im Reiche des Mescal.“ –
„Dann gibt`s für mich kein Gestern und kein Morgen? –

Du schweigst? – Ich soll dich nichts mehr fragen?“ –
„Kein Fragen hilft, kein Weinen nach der Mutter.
Die Tränen sind schon Heimat, neues Leben,
so wie der Glanz des Taus es ist für Blumen.“

 

Die Insel der Dichter

Dort seh ich eine runde Insel.
Sie liegt in einem Wasser,
das man nicht trinken kann,
das keine Wolken spiegelt.

Die Insel schwebt und dreht sich
leise wie ein großes Blatt.
Die Bäume dort, wie sie sich im Winde
wiegen und winken mit den Ästen!

Winken mir zu: „Komm zu uns,
hier kannst du unter warmem Laub
dich in die Stille knien!“
Ist dort mein Schicksalsort?

Ach nein, es sind ja wirklich Hände,
die da winken, sind echte Menschen,
wie schlafend lehnen Wange sie an Wang,
und wie ertrinkend winken sie.

Doch gar nicht mir – es ist das Singen
eines großen Schwans, der schwebt herab
vom Mond und biegt wie Gräser
die Menschen in ein wehes Sehnen.

Die Menschen auf dem Inselreich,
das sie Dichtung nennen oder Seelentrost,
sie träumen sich und mich wie den Gesang
des Schwans und seinen sanften Tod.

 

Der Sorgenkaiser

Er torkelt auf tausend Wünschelruten,
Weltbeherrscher, Sorgenkaiser.
Wasserköpfig quillt und schwillt er
von Wissen, von herzlosem Wissen.

Wie alt ich sei, wie groß?
Ob schön, ob Mauerblümchen?
Wann käm zu mir die Natter Tod?
Und ob ich schlürfen könnt das Morgenrot?

Der Kaiser schwingt die Peitsche
um den Hals der Menschenkinder –
ihre Seelen tun wie Kreisel,
die ihr dunkles Weh austönen.

Mein Herz liegt wohl geborgen
unterm Moos des Weltenbaums –
im Wipfel singt Quetzal, mein Vogel,
selbstvergessen singt es mit.

 

Mit Geistern

Mit den Geistern sprach ich –
und schweigen durft ich unter Blüten.
In den Gräsern las ich:
Lieben ist die Liebe hüten.

Unterm Mondmal schlief ich,
und mit Tränen kam das Träumen.
Meine Toten standen um mich,
keines Wort durft ich versäumen.

Lichtgezwitscher weckte mich –
Nacht und Nachtgespinst verglühten.
Unter goldnen Wolken sang ich:
Lieben ist die Liebe hüten.

 

Letzte Verwandlung

Wann die Zeit reif ist –
reif wie die Früchte, die platzen –
weiß allein die gefiederte Schlange,
weiß allein Quetzalkoatl.

Alles, was ich bis dahin gesammelt
an lieben Bildern, an Opfergaben,
schwebt im Goldnest der Seele
hoch überm Atitlansee.

Quetzal, der Göttervogel, kommt,
sein Gefieder höre ich rauschen.
Ich bin nur noch Zittern nach Ferne,
als würden die Träume jetzt flügge.

Mit heißem Schnabel zerpflückt er
das Nest, die Bilder zerstieben.
Die Rätsel des Lebens verlöschen
im Schwarzblau des Sees.

 

Rückkehr

Ich war im Tempel des Mescal,
wo tausend lichte Korridore
in tausend neue Tempel münden.
Die Säulen stimmen sich zum Chore
im Sonnentempel des Mescal.

In abertausend Tempel münden
die krummen und die graden Pfade,
wo Zeit verweht in Ewigkeit.
Was in Herzen brennt um Gnade,
will in diesen Tempel münden.

Die Zeit verweht in Ewigkeit,
wenn tote Seelen auferstehen,
Hände sehen, Augen fühlen,
Kinder mit den Engeln gehen
auf dem Teppich Ewigkeit.

Hände sehen, Augen fühlen,
und ich kehre heim ins Schweigen.
Ich war im Tempel des Mescal.
Den Betrübten kann ich zeigen
Sterne, die die Wunden kühlen.

Ich war im Tempel des Mescal,
Frucht aus lauter Liebesdingen,
keimst du auf aus Mütterblicken,
blühst, wenn Blick in Blicke dringen,
reifst an Blitzen des Mescal.

 

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Diese Gedichte entstanden im Zusammenhang der Produktion eines Radiofeatures mit dem Titel „Brennende Feder. Sehendes Herz – Nan Cuz, eine deutsch-indianische Malerin“ für den WDR 3 im Jahre 2007 über das Leben der Malerin Nan Cuz, deren Vater als Hamburger Kaufmann in Guatemala tätig war, und sie später, als seine Ehe mit einer Deutschen kinderlos blieb, in seine Heimat bringen ließ. Die kleine Nan muss zum ersten Mal in ihrem Leben Schuhe tragen und wird Irmgard gerufen. Das Mischlingskind verbringt seine Kindheit und Jugend in einer gutsituierten hanseatischen Familie. Dann verliebt sie sich in den eigenwilligen Maler und Schriftsteller Georg Schäfer, mit dem sie im Jahre 1968 das legendäre Buch „Im Reiche des Mescal“ veröffentlicht, ein modernes Märchen, fußend auf den Mythen der Maya und dem Tibetanischen Totenbuch, mit Texten von Georg Schäfer und Illustrationen von Nan Cuz. Es wird ein Kultbuch der Hippiebewegung. Das Bild „Die Madonna von Guatemala“ macht Nan Cuz in den 50er Jahren berühmt, es folgen Ausstellungen in ganz Europa. 1971 kehrt Nan Cuz nach Guatemala und ihren indianischen Wurzeln zurück.
Anja Krug-Metzinger hat unter dem Titel „Brennende Feder. Sehendes Herz – Nan Cuz, eine deutsch-indianische Malerin“ im Jahre 2008 für Radio Bremen und ARTE 2008 einen Dokumentarfilm über das Leben der Malerin gedreht.

Zum Radiofeature siehe: http://www.krug-metzinger.de/site/Nan-Cuz.html
Zum Film über Nan Cuz siehe: http://www.krug-metzinger.de/site/Brennende-Feder.html
Zu Georg Schäfer siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Schaefer

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