Der winkende Schatten
Ich roch den süßen Wehmutsduft der Linde,
sie ragte noch vor morschen Treppenstufen,
warf auf das Kirchenfenster warme Tupfer
vom Abendrot berauschten Laubs und ihre
verzückten Schatten rankten sich um Pfeiler
und Engel, schlummernd in barocken Nischen,
es küßten Lippen goldner Lindenblätter
das weiße Tuch des Hochaltares. Schnaubend
zog schweren Tritts das Kaltblut seinen Wagen,
mit grauen Kohlensäcken hoch beladen,
der Kutscher schlief, vermummt in der Kapuze,
der Kindheit dumpfe Gasse hin. Wo aber
sind Nachbarn, Freunde, wo die abends streunen,
die falben Katzen, Vögel, ihrer pfiffig
auf Daches Firsten spottend, wo? So bin ich
allein in meinem Traum? Der Duft der Linde
umfließt mich noch wie wehes Säumen Kinder,
die auf der Schwelle Regenfäden zählen.
Es wird schon dunkel, Lichter gehen hinter
Gardinen an, dort ist die Gaslaterne,
sie flackert bang, wie Stundenbrenner, mücken-
verklebt das Glas. Es ist das alte Haus, wo
Fronleichnam Blumen neben hohen Kerzen
auf Fenstersimsen prangten, Weidenkätzchen,
Großvater hatte sie gebracht vom Ufer
des Bachs, begrünten den Basalt des Hauses,
ich schlüpfte scheuend übers Kopfsteinpflaster,
da waren kleine Blüten ausgestreut in Farben
naiver Muster, lebt denn keiner hier von
den Meinen mehr, bin ich in Träumen einsam?
Da hörte ich der Eule Ruf aus schwarzem
Gehöft, ein Wind kam, löschte alle Lampen,
aus Fühlens Nacht, der Linde letztem Stäuben
stieg endlich auf mir bis ans Herz ein Schluchzen.
Hat zarte Hand nicht dort des Vorhangs Rüschen
gelinde aufgerafft? Der schmale Schatten,
der nun zu winken scheint, bin ichʼs nicht selber?
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