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Der sprachliche Ausdruck der Subjektivität

28.01.2021

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Bevor das Kind mit der Verwendung des eigenen Rufnamens und erst geraume Zeit später mittels des deiktischen Pronomens der ersten Person Singular auf sich selbst zu verweisen lernt, drückt es den Unterschied von subjektiven und objektiven Merkmalen an Personen und Sachen durch den Gebrauch von Adjektiven beziehungsweise Adverbien und Verben der Gemütsbewegung aus.

Die kleine Hilde sagt: „Hilde müde“ und „Puppe lieb“, um sich selbst und ihrem Alter ego, der Puppe, eine bestimmte subjektive Eigenschaft zuzusprechen. Daß Hilde ohne weitere Umstände und ohne Federlesens sowohl sich selbst als auch ihrer Mama oder ihrer Puppe den subjektiven Zustand des Müde-, Traurig- oder Böseseins zuspricht, bestätigt die intuitive Sicht, daß außer Philosophen wie Descartes Normalsterbliche und normale Sprecher keinen ontologischen Abgrund zwischen Ego und Alter oder Ich und Du wahrnehmen und sprachlich markieren.

Daß der Stein nicht böse ist, an dem sich das Kind gestoßen hat, sondern die objektiven Eigenschaften der Schwere und Dichte hat, lernt es, je mehr es die kindliche Tendenz zum magischen Denken einschränkt und überwindet.

Gut und böse sind elementare Begriffe der Kindersprache und der Sprache überhaupt; sie kennzeichnen nicht nur ethische Eigenschaften, sondern metaphysische Aspekte oder Dimensionen des Lebens und Daseins: Gut heißt dem Kind und dem ursprünglich fühlenden Erwachsenen alles, was mit der tieferen Ordnung des Lebens harmoniert, einschließlich seiner selbst, alles, was den ungeschriebenen Gesetzen und Regeln des Lebensspiels entspricht, einschließlich der Tauglichkeit (virtus, virtú) des Spielers; und böse alles, was die Harmonie der alltäglichen Abläufe stört und hemmt, alles, was die Regeln des Spiels verletzt, einschließlich der Untauglichkeit des Spielers.

Der neurotisch Gehemmte und der psychotisch Verwirrte fühlen sich nicht gut, sondern böse in dem Sinne, daß sie gehemmt sind, das Spiel mitzuspielen, daß sie verwirrt sind hinsichtlich des Unterschiedes von Ego und Alter, Spieler und Mitspieler.

Das Gefühl, sich gut oder böse zu fühlen, korrespondiert mit der Stärke und Schwäche, der rhythmisch fließenden und mit der Umwelt resonierenden und der ermatteten und erschöpften Strömung des Lebens, die wir den vitalen Kontakt oder kurz Vitalität nennen.

Der freie, ungehemmt strömende Fluß des Lebens mündet im Wunsch, zu gestalten und zu zeugen; der verschlammte oder ausgetrocknete Fluß bringt den Wunsch hervor, zu zerstören und andere oder sich selbst zu töten.

Das rechte Ethos besteht in einer Reihe von Anweisungen und Vorschriften zur Pflege des Gartens der Kultur; alles, was seine Fruchtbarkeit mehrt und sein Dasein fördert und sichert, empfinden wir als ethisch wertvoll und gut.

Die kleine Hilde (die Tochter Wilhelm Sterns, in aus dem Buch „Die Kindersprache“) war böse und weiß es, wenn sie nicht artig war; wie sie ihre Puppe tadelt, wenn sie unartig war, nimmt sie gern den Tadel an, der ihrem unartigen Benehmen gilt, ja erwartet ihn und wäre enttäuscht und verstört, bliebe er aus.

Wenn die Puppe so aussieht, als ließe sie ihr Köpfchen hängen, nennt die kleine Hilde sie traurig; wenn sie ebenso die Blume nennt, deren Knospe herabhängt, spricht sie wie der Dichter, der in der magischen und animistischen Welt des Gedichts, was gegenständig ist, inständig auffaßt, das Unbelebte belebt, den stummen Kreaturen Sprache verleiht.

Auf der anderen Seite benutzt die Sprache der Dichtung, oft auch die Alltagsrede, Bezeichnungen für Gegenstandsmerkmale wie hell und dunkel, leicht und schwer, heiß und kalt, süß und bitter, um subjektive Zustände und Gefühlswerte plastisch hervortreten zu lassen; so reden wir von dunklen Ahnungen, einem leichten Schwips, einer bitteren Enttäuschung, und Sappho beschwört, um die Zuneigung ihrer Schülerin zum Ausdruck zu bringen, die vielen Kränzen von Veilchen, die sie ihrer Lehrerin für Gesang und Tanz umgelegt hat, Mörike aber läßt umgekehrt in seinem Frühlingsgedicht die Veilchen träumen; dagegen verwendet Homer die ausgefallensten poetischen Vergleiche, doch oft in rein sachlicher Hinsicht und episch-objektiver Manier mittels stehender Wendungen, so wenn er von den Rosenfingern der Morgenröte oder dem Schwarm des heranbrausenden Heeres spricht.

Gut nennen wir ein Tun, das der Situation, gut eine Antwort, die der Frage angemessen ist.

Freilich kann die Antwort auch die Frage als unangemessen, unsinnig oder überflüssig verwerfen.

Das kleine Mädchen sagt: „Ich bin müde. Ich konnte nicht schlafen, die Puppe hat geschrien.“ – Das Kind schreibt sich einen subjektiven Zustand zu, nämlich müde zu sein, und schwingt sich zugleich zu der bemerkenswerten geistigen Leistung auf, für seinen Zustand einen Grund anzugeben: Es ist ja müde, weil die böse Puppe es nicht hat schlafen lassen. Daß die Begründung Traumcharakter hat, mindert die Leistung nicht.

Es ist erstaunlich zu sehen, wie das Kind noch vor dem Erwerb der sprachlichen Fähigkeit, temporale und kausale Zusammenhänge seines Befindens mit Faktoren der Umwelt mittels syntaktisch subordinierender Satzgefüge und des regelförmigen Gebrauchs von Konjunktionen wie als, wenn und weil auszudrücken, in der Lage ist, eben diese Zusammenhänge in parataktischen Satzreihen anzugeben.

Kinder müssen sich nicht im Spiegel an der Wand oder im Spiegel des Auges, der Mimik und der Reaktionen von Eltern und Geschwistern als epistemische Monaden erkannt haben, um sich selbst subjektive Zustände und Eigenschaften zusprechen zu können. Die Selbstvergegenwärtigung ist kein Ergebnis der Reflexion.

Das Kind sagt: „Die Puppe ist weg. Sie hat sich versteckt.“ Es versteht also, daß die Puppe ein Einzelding ist, dem es die Eigenschaft räumlicher Umgrenzung und zeitlicher Dauer zuspricht; denn wenn die Puppe weg ist, hat sie sich nicht in Luft aufgelöst, sondern versteckt. Das Ding, das soeben noch hier war, ist jetzt nicht mehr da, sondern dort. Das Kind tastet nach den grundlegenden Koordinaten und Begriffen einer Ontologie des raumzeitlich existierenden Einzeldinges.

Doch wenn das Kind sagt: „Ich bin nicht mehr müde“, versteht es, daß Müdigkeit eine Affektion des Subjekts ist, die, wenn sie sich aufgelöst hat, nicht wie ein Einzelding an einem anderen Ort zu finden ist, sondern einfach verschwunden ist; wurde sie doch von einer anderen Affektion oder Stimmung, nämlich wach und munter zu sein, verdrängt.

Wenn das Kind begreift, daß sein subjektiver Zustand, müde zu sein, von einem anderen Zustand abgelöst wurde und nicht wie ein Ding an einen anderen Ort spaziert ist oder wie ein Geist nun die Puppe oder Mama befallen hat, begreift es auch, daß anders als die verschwundene Puppe subjektive Zustände sich nicht hier oder dort aufhalten; es versteht intuitiv, daß die Ontologie der Subjektivität anders als die Ontologie der Dinge meßbarer räumlicher Koordinaten ermangelt; sehr wohl aber einem Koordinaten- und Begriffsnetz zeitlicher Bestimmungen einverwoben ist.

Freilich sagt das Kind, das sich geschnitten hat, daß der Finger wehtut; den Schmerz lokalisieren wir und reden von Kopfschmerz und Magenweh. Doch eigentlich müßten wir sagen, daß es uns da und dort weh tut, daß wir Schmerzen an dieser und jener Stelle des Körpers empfinden; ohne freilich dem absurden Hang nachzugeben, was wir „ich“ nennen, seinerseits zu lokalisieren.

Wir sprechen von müden Beinen und meinen damit, daß sie sich schwer und träge anfühlen; aber wir könnten nicht sagen, wir seien traurig im Kopf oder fröhlich in der Brust.

Der vitale Strom des Lebens erweist seine fruchtbare Essenz an der Wandlungsfähigkeit unserer subjektiven Befindlichkeiten, Stimmungen und Affekte. Das wird deutlich an den vergeblichen Versuchen, ihn zu kanalisieren oder gar durch massive Bollwerke zu stauen: Er wird dann reißend und schwemmt uns fort, er steigt bedrohlich an und bricht über die Ufer.

Wir können die Einzeldinge und Objekte in unsere Verfügungsgewalt bringen, sie zu dauerhaften Besitztümern machen. Doch wenn wir an der Trauer über den Verlust eines wertvollen Gegenstandes oder Menschen hartnäckig, über die Maßen und unbefristet festhalten, verfallen wir der Schwermut und werden vom vitalen Kontakt mit dem Leben abgeschnitten.

In der Psychopathologie der Neurose und Psychose finden wir idealtypisch vereinfacht eine Erstarrung im Verhältnis von Ego und Alter oder ein Verschwimmen und Diffundieren ihrer Grenzen; in beiden Fällen ist der vitale Strom des Lebens unterbrochen: Einmal durch zwanghafte oder phobische Fixierung auf das Gegenüber, einmal aufgrund unauflöslicher Ambivalenz in der Kommunikation mit ihm.

Dem verzweifelten Neurotiker liegt das Band zu seiner verlorenen Liebe wie ein würgender Strick um den Hals, denn er ist kindlich an das magische Bild der gütigen Mutter fixiert, das er in den Zärtlichkeiten der Geliebten glaubte ein für alle Mal wiedergefunden zu haben. Den gequälten Psychotiker suchen fremde Stimmen heim, die ihn beschimpfen, ihn hetzen und verhetzen oder zu unwürdigen Taten verleiten wollen, denn er kann sie als seine eigenen verworfenen Stimm-Masken nicht wiedererkennen.

Das magische Phänomen des bösen Blicks, der den Getroffenen bis in seine Träume heimsucht, finden wir auch in sprachlicher Gestalt im Fluch, der Verwünschung oder der Verdammung, wie in Kafkas Erzählung „Das Urteil“.

Sich selbst zu beschreiben ist schwieriger als einen Gegenstand oder ein Bild zu beschreiben; die erste Lektion wäre, darauf zu achten, inwiefern man in der scheinbar objektiven Art und Weise der Beschreibung eines Gegenstands oder Bilds durch Weglassen, Pointieren oder verzerrte Wiedergabe sich selbst schon beschrieben hat. – Betrachte die objektive Beschreibung als Vexierbild der eigenen Person.

Wir unterscheiden die Bezeichnungen für Emotionen, Affekte, Stimmungen und Haltungen.

Bei Emotionen wie Liebe und Haß, Freude, Trauer und Gram, Affekten wie Furcht, Ärger, Ekel, Wut und Jubel können wir ihren Anlaß oder Grund, ihren Gegenstand und ihren Verlauf angeben, denn wir wissen, was wir lieben, weshalb wir uns freuen, worum wir trauern; wir wissen, wie lange die Liebe anhielt, wann der Haß und der Groll verraucht sind. Der Gegenstand der Liebe kann Anlaß zur Freude und zum Ärger sein; wir grämen uns über den Verlust dessen, was wir geliebt, jubeln über den Untergang dessen, was wir gefürchtet oder gehaßt haben.

In Stimmungen treten wir gleichsam wie in Atmosphären ein, sind heiter wie im Anhauch des Frühlings, beschwingt wie nach dem Bad in erfrischendem Wasser, nervös, fahrig und erregt wie unter der Schwüle des Gewitterhimmels, gelöst wie im belebenden Duft nach dem Sommerregen. Wir können demnach Anlässe nennen, die uns in gewisse seelische Gestimmtheiten geraten lassen, Atmosphären, in denen sie uns bevorzugt heimsuchen, doch entbehren sie der Gründe und dessen, was wir wie bei der Furcht den jähen Schatten, beim Ekel die faulige Speise das intentionale Objekt nennen.

Seelische Haltungen dagegen wie Gelassenheit, Gleichmut, Nüchternheit und Besonnenheit sind Einstellungen gegenüber den Objekten und Ereignissen sowie den eigenen Affekten und Emotionen, die wir nur im Zuge langer innerer Kämpfe und ausgedehnter Übung uns als Formen der Selbstüberwindung aneignen, wenn uns denn das Schicksal und die eigene Natur wohlgesonnen sind.

Wir können uns nicht vornehmen, nicht mehr traurig zu sein (oder nur noch bis übermorgen), wohl aber den Objekten, Situationen und Anlässen aus dem Wege zu gehen, die unsere Trauer wieder hervorlocken oder verstärken.

Das Kind weiß, noch bevor es seinen subjektiven Zuständen sprachlichen Ausdruck verleihen kann, was es mit der Freude und der Angst für eine Bewandtnis hat, wenn es ein neues Spielzeug bekommt oder es im Dunkeln wachliegt; es weiß, was seine Tränen ihm von Gram oder Freude offenbaren.

 

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