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Der Schalk

16.11.2018

Dem triefäugigen Prälaten, der predigend die schlaff gefalteten Hände auf dem dicken Schmerbauch kreuzt, von tiefen Seufzern werden sie gewiegt, schaut er flugs links und rechts, manchmal gleichzeitig, mit grinsendem Mondgesicht über die Schulter.

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Den im Park Schulter an Schulter gehenden Beiden läuft er, mit einem Tutu-Kleidchen der Sylphide über nacktem Hintern, er reicht ihnen gerade bis zum Knie, geschwind, wenn er sich eben über sie beugt und sie mit halb geschlossenen Augen ihm die leuchtende Frucht ihres Munds entgegenstreckt, wie ein Eichhörnchen zwischen die Beine, sodaß er stolpert und sie unwillkürlich in die bebende Lippe beißt.

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Der große Gelehrte wirft sich, die Brauen hochgezogen, die Augen ins erregte Dunkel der Zuhörermasse funkelnd, wie auf einem Wasserski tänzelnd auf die schäumende Kaskade seiner Redekadenz, und hält unter einem Würgen inne, der kleine Schalk hat gerade unter dem Katheder ein großes Geschäft verrichtet, das gen Himmel stinkt, und bricht „Pfui, Teufel“ rufend plötzlich ab.

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Der Schalk schmuggelt Briefe in die Tasche des Postboten, die er nichtsahnend und geflissentlich in die Kästen wirft. So erhält der Jäger einen Brief von einem Rehkitz, das seine Trauer über den waidwunden Zustand seiner lieben Mutter, des Jägers böse Flinte war dran schuld, hufebrechend bejammert, ein vergilbtes Lindenblatt liegt als Zeugnis bei, so bekommt der vereinsamte Poeten-Grauschopf ein rosa Briefchen von einer fernen Verehrerin aus Isfahan, das nur aus an- und bezüglichen Zitaten seiner Gedichte besteht, eine augenscheinlich gefärbte, aber süßlichen Duft verströmende Locke liegt als Epilog bei.

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Der Reime-Schalk läuft als winzige Poesie-Ameise (formicida poetica) in die Verse-Furchen des verdutzten Dichters und schleppt wie die Ameise ihre kleinen Blätter und Nadeln und Beeren kleine Buchstaben und Silben und Wörter heran, da und dort läßt er sie fallen, da und dort hebt er sie wieder auf und zieht zum Verdruß des Schreibers unerbittlich seiner Wege. Gravitätisch setzt der Dichter das Groß-Wort „Würde“ ans Zeilenende, der Schalk wuchtet darunter ein „Hürde“, der Dichter kann zusehen, wie er sie nimmt; fidel gönnt sich der Poet einen „Kuß“, schon stemmt der Schalk den harzigen Balken „Schluß“ darunter, und der Dichter kann zusehen, wie er das seiner Angedichteten unterjubelt. Der hymnisch gestimmte Poeta doctus läßt „Blitze“ auf die dumpfe Menschheit niedergehen, der Reime-Schalk zerknistert den anbrausenden Donner in trockene „Witze“.

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Der Nachtmahr-Schalk, kaum weht im lauen Wind der Sommernacht vor offnem Fenster die Gardine, fliegt, doch lautlos wie die Fledermaus, mit seinen schwarzen Flügeln aus Samt und von Purpursaft durchflossener Haut, fliegt und kreist um das von warmen Beinen aufgewühlte Bett, landet kunstgerecht auf dem hochgereckten Knie der entblößt schimmernden Schönen. Er leckt sich die Lippen rot mit einer vipernharten Doppelzunge, rutscht langsam wie ein Seufzer auf dem Fleisch der Schenkel herab und zieht die trockene Alraune seines dunklen Leibes höher, höher, bis er auf dem wogenden Kamm der Brüste hockt. Was hebt er dort zu schnalzen an, zu keckern und zu mauzen? Wer mag es wissen, nicht einmal die Schöne, die sich unter dem Albgelalle solcher Schalke öfters windet, kann es uns erzählen, denn der kesse Strahl der Sonne hat sie schon wachgekitzelt und benommen schaut sie in den veilchenblauen Tag.

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Wer ist denn der mit dem Schlapphut, woran Fasanenfedern wippen, dem weißem Künstlerschal, den er sich gern salopp um die Schulter schlägt, dem blauseidenen, engen Beinkleid und den blitzenden Lackschuhen, die so nachdrücklich und geradezu obszön auf den Theaterbrettern knarzen? Ah, es ist der Gottes-Schalk, der wahre Sohn des ewigen Vaters, der ihm als ein Schatten und Doppelgänger während des großen Schauspiels folgt auf Schritt und Tritt. Und sagt jener feierlich „Es werde Licht“, kontert „Mir nicht, mir nicht!“, kündet jener „Mehret euch zu meiner Wonne!“, mit spitzem Munde lispelt „Verwest, ihr Würmchen, unter meiner Sonne!“, und wieder auf das hohe Wort „Ich sende Propheten und den Sohn, daß er es schlichte“ das gemeine hinwirft „Ich sorge dafür, daß man sie alle richte“, und breitet jener die Arme väterlich „Ich lade die Reinen in mein Paradies ohne Tod und Leid“, hebt dieser den Frack hinterrücks und furzt über die Rampe hin: „Mit diesem Duftausweis kommen sie wohl nicht so weit“. So spielen sie, Gott und sein Schalk, die göttliche Komödie von der Zeit, da sich der Vorhang hob, bis zur späten Mitternachtsstunde, wenn er sich senkt, vor einem sich mehr und mehr lichtenden Publikum, der Rest kam nicht mehr hoch, weil er längst vor Langeweile eingeschlafen ist.

 

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