Skip to content

Der Prophet des Hühnerhofs

09.03.2015

Erst lässt er herrisch scharren
und blaue Flusen aufwärts schweben,
bevor zur Predigt der erwählte Hahn
auf die kotverschmierte Stange steigt.

Und den Kalk der krummen Wände
bräunt im Dämmerscheine
hohles Gackern.

Er selber krallt sich, bucklicht-rund,
asthmatisch in sich hüpfend,
mit krummen Zehen auf der Kanzel fest –
der blaue Kehlsack des Erwählten
baumelt psalmodierend,
vom Silberdorn durchstochen einer Ehren-Fibel.

Seine Ministranten, zwei Birkhühnchen,
engelsflaumig,
stützen den von Gesichten schwer Taumelnden
links und rechts mit ihrem Popo-Federbausch.

Indes er fabelt von dem großen Exodus
aus dem Hühnerstall der Menschennacht
ins körnerreiche Saatenland Neugalliens,
wo sie hinführt Alberich, der Auer-Moses,
durch die Wüste „Hahnenfuß“,
wo aus der goldnen Wolke es regnen wird
Ähren und süß-schleimiges Gewürm,
wo von dem Berge „Gackeleia“ die Gesetze
er verkündet für das freie Hühnervolk,
die bei Todeswürgen untersagen
jedes Halsumdrehen, Rupfen oder Braten,
von wo sie endlich das gelobte Land erpicken,
wo fette, rosenbackige Zwerge,
dem Hühnervolke sklavisch untertan,
buntbemalte Eier brüten,
wo Chöre feenweißer Hühnchen
auf den weichen Teppich-Pelzen,
die ihr Retter Alberich dem Reineke, dem Isegrimm
bei lebendigem Leibe abgezogen,
Chöre feenweißer Hühnchen Hymnen krähen
auf den Tod des ewig ausgetilgten Erzfeinds „Menschgetüm“,
wo Friedenslüfte das Gefieder wohlig plustern –
wo, wo, wo …

Und alles das und mehr kleckst emsig mit
auf Tapetenrollen meterlang,
als Neues Testament des edlen Hühnertums,
die scharf bebrillte, schlaue Schreiber-Ratte.

Der Künder taumelt, wo, wo, wo,
die Ministranten halten, ho, ho, ho –
da quietscht die Ratte ab ins Loch,
da steht mit ihrer Hasenscharte
die Magd breitbeinig in dem Stall
und greift sich lustig das Prophetchen
und dreht ihm, weil heut Sonntag ist,
und dreht ihm, weil heut ja Sonntag ist,
um den Hals.

Comments are closed.

Top