Die Sehnsucht und der Tag
Eine Allegorie
„Ich bin so jung im Lied
des Morgenwinds: Schau meinen Leib,
er wölkt aus tiefem Blau –
und sitzt, ein fescher Bräutigam,
am Tisch mit Fisch und Frucht.“
„Ich bin so alt wie die Nacht,
die mich im Wehschrei
unter trockenen Blitzen hat geboren
und gebeugt ins Rauschen dunklen Leids
ewig rätselt über sich und ihre graue Tochter.“
„Den Nachmittag erspäh ich mir
aus schmatzendem Röhricht ein Kitz,
wie es von Schauern auf und ab durchzittert
aus der grünen Lache leckt –
mein hochgebogner Phallus tropft.“
„Von der Brust verstoßen,
erwachte ich als greises Kind
in einer Kittelschürze,
vor mir die Schiefertafel:
Ich kratze drauf ein böses Wort, ein hässliches,
schrill, so schrill,
dass alles grinsend auf mich starrt.“
„Ein Wachtelpaar kläglich sich verfing
in einem meiner Netze –
ich rupf es nackt und singe
im Vorgeschmack der heißen Säfte
ein freches Lied auf Huren und auf Pfaffen.“
„Kein Junge hat mich angeschaut
mit Wohlgefallen. Meine Blicke stechen,
meine Zunge zischt. Ich begann zu wandern
von Ort zu Ort mit den Zigeunern, als Küchenmagd
verdingt bei Menschen dunkler Sprache.“
„Abends ging ich auf den Rummelplatz,
da hockte krumm ein Ding –
halb Greisin und halb Kind.
Mein Schatten fällt auf sie, da blickt sie auf.
,Einen Wunsch hast du heut frei, mein Kind,
doch rasch, die Sonne sinkt.‘ Ich tätschle ihre Wange –
doch blöde stierend bleibt sie still.“
„Des Abends saß ich auf dem Rummelplatz.
die Heimat schien mir nah,
als die Gesichter schattenhaft verschwammen.
Da tritt ein hoher Herr, goldberingt,
mit hellem Sonnenhut dicht vor mich hin,
fragt dies und das, woher, wohin –
habʼs gar nicht recht vernommen.
Er lachte schneidend, da ich reglos blieb.
Als er davonging, sah ichʼs erst:
Er humpelte und stützte schwer sich auf den Stock.“
Comments are closed.