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Der Gärtner und der Maulwurf

22.03.2018

Sentenzen und Aphorismen zur Ästhetik

„Bilde, Künstler, rede nicht!“

Sah ein Knab ein Röslein stehn – was geschieht hier? Eine rhythmische Gedichtzeile bezeugt die doppelte und dadurch intensivierte dichterische Sichtweise: Das Gedicht sieht, daß und was sein von ihm heraufgerufener Repräsentant seinerseits sieht.

Die Abstrakten in der Malerei und die Dystonalen in der Musik, Brüder im selben Geist – und Ungeist.

Was man sieht, kann man nicht erfinden – nur leugnen.

Die Schöpferischen und die Repetitiven – Zeugen blühender und faulender Kulturen.

Wir erkennen das Genie an der vitalen Positivität des von ihm Gesetzten, das uns einen ursprünglichen, glühenden und nachhallenden ästhetischen Eindruck vermittelt, der keine moralinverkalkte Engherzigkeit und keine beckmesserische Kritik zuläßt – die duftende Grazie sapphischer Verse, die wunderliche Schlichtheit des deutschen Volksliedtones der Gedichte in der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“, die zauberisch-dunklen Echos im Labyrinth der Marienbader Elegie Goethes, die von zartem Rankenwerk durchbrochene Anmut Mörikes, um nur diese zu nennen.

Der geistig-seelische Parasitismus versteckt sich gern wie ein Maulwurf in den lichtlosen Hohlräumen ästhetischer Kritik und der vom Neid auf das Unerreichbare angegilbten moralischen Entrüstung.

Die Regel gibt keinen Anhalt für ihre Anwendung, wie der Repetitive glaubt.

Die sich vom Dung der von den Ahnen verbrochenen Greuel mästen – unter dem Beifall der es im nachhinein besser Wissenden.

Weil Parasiten mit dem Verzehr ihres Wirts nach und nach ihre Lebensgrundlage vernichten, ist es so, als äßen sie sich selbst.

Zuletzt muß der Gärtner dem Maulwurf mit dem Spaten aufs Haupt schlagen, um den Bestand seiner Beete zu retten.

Die Legende vom Zen-Meister, der sieben Jahre lang meditierte, um in sieben Minuten ein vollkommenes Bild aufs Blatt zu tuschen.

Der Maler sieht wohl mit den Augen und die Augen stecken im Kopf. Doch malt er nicht mit dem Kopf, sondern mit der Hand und die Hand hat gleichsam ihr eigenes Auge.

Die Hand ist vom ganzen Organismus enerviert. Aber das Nervengeflecht des Malers wurzelt in der Erde und in der Luft.

Schneidet sich der Maler das Nervengeflecht, das ihn mit der Erde verbindet, mutwillig mit dem Messer der Theorie oder hochtrabenden Geredes ab, gleicht er dem urtümlichen Riesen Antaios, der von Herakles besiegt wurde, indem er ihn von der Erde, seiner ihm Kraft spendenden Mutter, aufhob.

Kein Leben ohne Atmosphäre. So auch die Kunst: Ohne den Dunstkreis flüchtiger Ahnungen, ohne Schatten werfende Wolken weiterdrängenden Gefühls oder den unverhofften Schneefall wirbelnder Ideen ist sie tot.

Atmosphäre ist der Schöpfungsgrund. Den echten Künstler umhüllt sie wie Nebel den frühen Garten, wie Duft das gelbe Haar der Ähren.

Was soll ich nun vom Wiedersehen hoffen,/Von dieses Tages noch geschlossner Blüte? – Der Kuss, der letzte, grausam süß, zerschneidend/Ein herrliches Geflecht verschlungner Minnen – Diese Verse aus Goethes Marienbader Elegie umhüllt die Atmosphäre des frühen Sommertags und des am Abend heraufgezogenen Unwetters mittels der kunstvoll in die dichterische Landschaft gepflanzten Bilder von der noch geschlossenen Blütenknospe und dem gleich wirren Ranken verwobenen Geflecht sehnsüchtiger Triebe.

Wir verstehen die Worte des Gedichts nur aus der sie umgebenden mitgedichteten Atmosphäre. „Geschlossene Knospe“ bedeutet in unheilschwangerer Atmosphäre etwas anderes, ja das gerade Gegenteil, als wenn das Wort die sauerstoffreiche und anregende Atmosphäre des Sommermorgens umgibt: Die eine Knospe hat sich für immer vor der Welt verschlossen, die andere zeigt schon den ersten scheuen Schimmer ihrer sich entfaltenden Blütenblätter.

Der repetitive Kopf und der wiederkäuende Blick des Kritikers bringen immer dieselbe monoton-bleierne Atmosphäre mit, in der die Knospen des dichterischen Worts aufzugehen sich weigern.

Die Worte des Gedichts und die sie umgebende, auch jäh wechselnde, Atmosphäre sind eins wie Rose und Rosenduft. Wer ihren Duft nicht wittert, sieht diese Rose nicht.

Der Dichter ist der Gärtner, der den Wildwuchs und das Unkraut, das dem liebend eingegrabenen, zarten Keimling das Licht raubt, ausrupft und jätet. Kein Gedeihen seiner Aussaat ohne ein Stück Grausamkeit gegen sich selbst, denn was da fröhlich wuchert, der Hahnenfuß, der Knöterich und der Löwenzahn, sind nichts anderes als seine immer wieder ins Kraut schießenden spontanen Einfälle oder gehätschelten Klischees.

Der Dichter-Gärtner darf den Maulwurf für die Rose opfern. Hier gilt kein Artenschutz.

Zu viel an Aufwand mindert und trübt die ästhetische Wirkung.

Der fast erblindete Claude Monet kam zuletzt mit den hellen Farbtönen von Gelb und Orange aus.

Trakls überschaubarer Wortschatz ist reich genug zum Ausdruck der intimsten und sublimsten seelischen Regungen.

Die Ausdruckskraft der klassischen japanischen Dichtung rührt von der Zucht des konzentrierten Maßes von Waka und Haiku.

Was der Anschlag für den Pianisten, sind Pinseldruck und Strichführung für den Maler.

Der menschliche Geist kann nicht umhin, sich in Gestalten zu finden, zu verwandeln, zu deuten und zu verirren. So gibt ihm die Linie die Andeutung einer Richtung oder eines Umrisses, sie wandert und verliert sich im Vagen oder sie kehrt schlaufenförmig, verliebt-geringelt, asketisch-bekehrt oder zerrissen-reumütig in sich zurück, ohne in der Bewegung gänzlich zu ermatten. Und die Linie zieht eine Grenze, eine Narbe und Naht, es beginnen der Kampf und die Höchstspannung im Übergang zwischen Hüben und Drüben, Diesseits und Jenseits, der in einem hohen Bogen stehenbleibt oder ohnmächtig herabsinkt.

Im ersten Schwingen des Tons erhebt sich aus unbekannten dunklen Zonen der Gegenschwung des Gegentons, Spruch beschwört den Widerspruch, Wort flieht vor Gegenworts Schatten, doch bleibt er wie Schatten tun an ihm haften. Linie und Kreuz, Stimme und Echo, Strophe und Anti-Strophe – über Stufen und Fugen schöpft sich und erschöpft sich der Sinn.

Klassisch nennen wir den Ausgleich der Linien und Stimmen in wechselseitiger Abspiegelung und einander färbender Tönung. Weitung folgt der Engung, Strahlenstreuung der Engführung, Angst muß Atem holen, Freude sich verschwenden.

Einseitige Polarisierung und überzüchtete Spannung, ungestaltes Liniengespinst, zerriebenes Mehl der Stimmen kennzeichnen den schwachen oder desolaten Geist.

Der Unschöpferische flüchtet sich in die Surrogate und grellen Masken der Weltanschauung, des moralischen und politischen Bekenntnisses. Er humpelt Mitleid heischend oder skandalisierend auf den Krücken blutverschmierter Ideen.

Die auf den Massengeschmack schielende Herabwürdigung und Verramschung der Kunst für fremde moralisch-politische Zwecke vollendet das Programm der Aufklärung mittels gänzlicher Verfinsterung der ihr einmal eingesenkten göttlichen Funken.

Hohe Kunst geht einsame Pfade, sie kann kein Forum der Menge und kein demokratischer Deputierter des Massengeschmacks sein. Käme es soweit, die Oden des Horaz, die Marienbader Elegie und die Gedichte Stefan Georges würden für immer vom vulgären Taschen- und Zauberspiegel des kleinen Mannes weggewischt.

Nur der Meister kann den Meister loben, nur der Feinsinnige die Feinheiten des ätherischen Geistes, nur der Beflügelte das hintergründige Lächeln Ariels verstehen.

Das letzte Wort muß ein Gott ergänzen oder fühlbar ausgespart bleiben.

Die vorgeben, alles mit amtlich geprägter Münze gesagt und gezeigt zu haben, finden keinen Glauben oder allemal ungläubiges Kopfschütteln.

Der mit dem üppigsten Dekorum gerahmte Spiegel, der nur verschwommene Konturen enthüllt.

Horaz nimmt am Ende einer Ode oft den Atem zurück. So spiegelt sich in der unscheinbaren Lache, zittert sie vom Regen, das zerbrochene Antlitz der Sonne.

Das Ungesagte, Unaussprechliche, leuchtet fern wie der blasse Mond des japanischen Haiku durch das Gitterwerk der Gräser und Binsen.

 

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