Der erloschene Nimbus
Daß jene Erkorenen sie sahen,
geküßt von hohen Geistes feurigem Mund,
die leuchtende Aura um das Antlitz
des inkarnierten Worts,
des Heiles siebenstrahliges Auge,
die Gloriole,
genährt von dreifaltigen Flammen,
im Chorgesange züngelnd
der sie umkreisenden Engel,
den surrealen Glanz um die Locken
der Gebenedeiten und der Apostel
stillsinnende Stirn,
die Aureole
um den transfigurierten Leib,
soll dich nicht wundern.
In die Dunkelheit der Stille aber
sprühten Eremiten der östlichen Welt
und des byzantinischen Athos
Funken des ungeschaffenen Worts,
das sich auf dem Berge Tabor
den auserwählten Jüngern offenbart hat.
Doch gewährte der Nimbus sich auch Heiden,
von Bacchus ergriffen in wilder Landschaft
Mänaden zu sehen, zu werden, die mit fühlender Hand
aus dem Gefieder der Nacht Gesangesflocken geschüttelt,
um sie ins Haar sich, auf die nackten Glieder zu heften,
den Thyrsosstab der Ekstase mit Weinlaub umkränzten,
den Weg durchs Dickicht in die Lichtung zu finden,
wo das Blut der Wangen und Brüste und des Opfertiers
im tiermenschlichen Reigen zu auratischem Glanz verschmolzen,
er glänzt Apollon ums erhabene Haupt,
der Apotheose der Sonne,
er krönt den Heilbringer Mithras,
ein Strahlenkranz windet sich
von den Diadochen bis zu Augustus
um die Schläfen vergöttlichter Herrscher,
ja noch um den siegreichen Adler
der Kaiser des Römischen Reichs
Deutscher Nation.
O wie beseligend schwebt
um den schwebenden Buddha
der Aureole stilles Lotusblatt.
War nicht van Gogh der letzte,
den Kranz der Strahlen zu winden,
die wirbelnde Mandorla
um nachtblauen Himmels Gestirn,
Nacht, durchzittert, zerblättert
im Sturmwind unwirklichen Lichts,
die Risse zu sehen, die Schründe der Aura,
die ihm sein Spiegelbild entblößte
und im Schamanenflug der Pinsel
als bittere Lichtspur auf die Haut
des Unerlösten gefurcht hat?
Ja, wundern sollte uns Zwerge der Endzeit,
nein, wundern sollte uns nicht,
daß aus der kleinen Schar der Verehrer
entrückter Sterneneinsamkeiten
keiner mehr einen Funken,
ein noch so dürftiges Glimmen
um die Stirn der Enterbten,
Wühler im Schlamm der Vergängnis,
den Sprachgeist zerquatschende Schatten,
um die pomadisierten Zöpfe
der keine Verse mehr machenden Dichter,
über dem aus dem After der tauben Empfindung gepreßten
eitlen Fettfleck der Künstler,
zum Kitzel der fletschenden Meute
amtlich bestallter Maulwürfe
unter Thronen und Altären,
keiner den Nimbus mehr wahrnimmt,
es sei denn gespenstisch leuchtenden Nebel,
der aus den Wassern der Trübsal steigt,
die fahlen Fäulnisflammen
über den eingeebneten Gräbern der Ahnen,
oder daß jene, die von Traumgewittern gequält,
von glühenden Tränen, die sie von nächtlichen Knospen
haben tropfen sehen,
für irre gelten und Pharmaka schlucken,
die das Hirn heilen, indem sie die Seele töten.
Und die sich ins Schilf der Ufernacht flüchten,
flackert Liebenden nicht noch ein Herz
über den Herzen, die vergebens pochen,
eins ins andre zu schmelzen,
oder ein blassender Mond,
die Blume der Nacht,
die einmal das Wort der Dichtung behauchte
mit dem Duft aus versunkenen Gärten,
mit dem matten Schneelichtschimmer
der Jenseitspfade?
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