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In den Sand geschrieben

08.03.2019

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Die Höhe, auf der du stehst, bedingt den Umkreis deiner Sicht. So die Sprache deines Volkes (mitsamt seiner Überlieferung).

Wir können mit dem Maßstab nur messen, was ihm selber eignet (Länge mit dem Metermaß).

Wir messen mit dem Chronometer nicht die Zeit an sich, sondern erfassen mit dem Zeitmesser, was wir Zeit nennen.

Das Evidente ist uns kaum bewußt (das perspektivische Bild unseres Auges).

Der Satz, daß die Grenze der Sprache die Grenze meiner Welt ist, kann kein metasprachlicher Satz sein.

Die Sprache der Dichtung ist Ausdruck des Schicksals.

Sonst ist sie Kitsch, moralisch einwiegender Singsang oder propagandistisch aufpeitschender Trommelwirbel.

Das beste Bild für unser Schicksal ist unser Leib, die spezifische Art und Weise, wie wir sehen, hören, schmecken, fühlen, begehren, hassen und verabscheuen.

Wir können uns nicht ausmalen, der „Ring des Nibelungen“ sei von einem langen, dürren, asthmatischen Männlein mit Ziegenbart komponiert.

Wer beim Betrachten der Lichtreflexe auf dem Wasserspiegel leicht in Trance gerät, mag sich auch an der Musik Chopins ergötzen.

Die Sprechweise, munter, überstürzt, zögernd, stammelnd, flüsternd, dröhnend, weist auf die Mitgift des Schicksals, den Charakter. Der Ängstliche, Schüchterne mag ein gutes Stimm- und Schauspieltraining absolvieren, er wird nicht unversehens aufs Podest steigen und wild gestikulierend großtönende Reden halten.

In der Dichtung Goethes, des Liebenden, finden wir die ursprünglichen Typen des Weiblichen wie Gretchen, Philine, Mignon, Helena, Iphigenie, die Mütter, den Engel und natürlich die Hexe.

Der Tod und das Geschlecht sind die stärksten Mächte des Schicksals.

Das Geschlecht enerviert Mann und Frau bis in die letzten Fasern des Gefühls, des Ausdrucks, der Phantasie.

Die weiblichen Attribute, Auge und Haar, Wimper und Iris, Brust und Schoß, Träne und Schleier, Blume und Reigen und die natürlichen Bezüge der Frau zur Erde, zum Mond, zum Traum, zur Mythe sind ursprüngliche Materien des männlichen Gedichts, das sie mit eigenen Attributen wie Saat und Ernte, Schwert und Blut, Segel und Fahrt und Bezügen wie die zum Licht, zum Blitz, zu Sturm und Regen durchkreuzt und ergänzt, erfüllt und versagt.

Man reibt sich den Schlaf aus den Augen und sagt sich: „Nun, ich bin also noch da, auf dieser Erde, ein Possenspieler des Schicksals, zu einem weiteren Auftritt genötigt, mein Text, ach, er kitzelt schon meine Zunge!“

Das „Ganze“ können wir nicht denken. Jeder Versuch, uns einen Begriff von „allem“ zu bilden, von DER Welt, DEM Leben, DEM Ich, führt ins Absurde, wie die mythische Erklärung, die Welt entspringe aus einem Ei oder die Erde werde von einer Schildkröte getragen.

Wir können uns nicht vorstellen, die Welt anders zu sehen als mit dem perspektivischen Blick unseres Auges.

Der Blick Gottes ergäbe ein nicht weniger perspektivisches Bild.

„Alles“, das heißt, so wie wir leben und wandeln.

„Alles“, das meint, was immer wir sagen und ausdrücken können.

Wir können uns im Vagen tummeln, das Wasser ballen, das sich gestaltend ewig Umgestaltende benennen wie die dahinschwebenden Wolken Cumulus, Cirrus, Stratus und Nimbus – doch was uns tiefer anschaut hinter den Phänomenen ist wie die blaue Luft.

Wir können uns nicht fragen, wie es wäre, ein anderer zu sein.

Wir können nicht anders sein als diejenigen, die wir sind.

Wir könnten sagen müssen „Je suis“ oder „I am“ statt „Ich bin“, aber nicht wissen, wie es wäre, nichts dergleichen sagen zu können.

Wir können nichts ohne den lebendigen Zusammenhang, den Zusammenhang des Lebens verstehen.

Es ist für unseren Lebenszusammenhang ohne Belang, ob wir unter dem ptolemäischen, kopernikanischen oder einsteinschen Weltbild existieren. Unser sprachlich im Dunkel der Erde wurzelndes und zu großen Blüten dichterischer Bilder emporgeblühtes Leben kennt keinen „Fortschritt“. In jeder dieser Welten geht für uns die Sonne in gleicher Weise auf, in einer jeden mag der Dichter den Morgenstern und den Abendstern besingen, ob er nun weiß oder nicht weiß, daß er derselbe Stern, die Venus, ist.

„Alles“, „jeder“, „nicht“ – diese scheinbar harmlosen Wörter sind die Fallstricke des metaphysischen Denkens.

Wir können uns das Gegenteil des Evidenten nicht denken.

Die Evidenz der Sterblichkeit können wir nicht mittels der Illusion einer unkörperlichen res cogitans „aufheben“.

Das Unsichtbare ist kein Gegenteil des Sichtbaren, sondern sein Teil, die im Schatten liegenden Gebäude treten alsbald ins helle Licht.

Das Bewußtsein ist nicht, wie der moderne, in wissenschaftlichem Kostüm auftretende Mythos will, ein mythisches Wesen, das aus dem Meer des Unbewußten auftaucht.

Das „Unbewußte“ ist ein Teil oder Moment des „Bewußtseins“ – wir sagen, der Name liege uns auf der Zunge, und jetzt fällt er uns wieder ein. Hätten wir ihn nie gehört oder gelernt, wäre er auch nicht in einem finsteren Verlies unseres Unbewußten versteckt.

Aus den kleinen Wahrnehmungen (Leibniz: petites perceptions) von Geräuschen, die von Abgründen der Stille zerschnitten und zerfasert sind, erfassen wir den andauernden Ton.

Wir benennen nur das Ganze der Gestalt nach unserem tonalen System, für das, was unterschwellig bleibt, haben wir keinen Begriff.

Uns genügt das grobe Raster der Farbskala, Maler wie die Impressionisten geben uns erst die Nuancen.

Er ging immer denselben Weg, der ihn wieder zum Ausgangspunkt zurückführte. Es wurde ihm zu einer lieben Gewohnheit. Den Abzweig nahm er nicht wahr; und hätte er ihn wahrgenommen, wäre er ihm wohl nicht gefolgt, aus Angst vor der Gefahr.

Doch die eigentliche Gefahr lag darin, in der Schleife hängenzubleiben.

Das Zeichen ist kein Stellvertreter oder schattenhaftes Gespenst, das den eigentlich gemeinten Gegenstand repräsentiert. Der Pfeil hat keine Eigenschaft mit der Gegend gemein, in die er weist.

Der Gedanke ist kein Schatten oder Gespenst des Sachverhalts, den er meint. Der Gedanke 2 + 2 = 4 bleibt gleich, egal welche äquivalenten Ausdrücke wir in die Gleichung einsetzen.

„Schuldig“ – „Nicht schuldig“: jeweils ein weißer und ein schwarzer Stein im antiken Schwurgericht, wie es die Orestie des Aischylos bezeugt. Die Farbwahl ist zwar kontingent, gehorcht aber einer mythischen Analogie von Licht und Schatten, Leben und Tod.

Der Indikator „Ich“ ist ein Hinweis auf das Ganze unserer Welt und Sprache, deren Gegenteil wir nicht denken können.

Ein großes Gedicht ist wie eine kleine Kerze, die im Dunkel unserer Einsamkeit scheint.

Zu sagen, dein kleines Dasein ist ein flüchtiger Schatten im Vergleich zur Unendlichkeit der Sternenräume, der ungeheuren Hervorbringungen der Evolution oder der unheimlichen Echos aus dem tiefen Brunnen der Geschichte – ist dies tiefsinnig oder ein nichtswürdiger Unsinn?

Wenn wir uns soziologisch als Funktion statistischer Durchschnittswerte verstehen, sind wir verloren, haben wir geistig abgedankt.

Flucht vor der geistigen Freiheit und der notwendigen Einsamkeit: sich nur als moralisch dienstbares Glied und Moment einer „großen“ Bewegung oder Zeitgeist-Strömung zu verstehen.

Das Enten-Hase-Bild springt, wenn es springt, unwillkürlich um und wir sehen die Sache anders.

Doch die Mauer des Schweigens an der Grenze der Sprache nicht als Hindernis zu sehen, an dem wir uns beim sinnlosen Anrennen Beulen holen, sondern als hinzunehmendes Geschick – ist dies nicht auch eine Frage des Wollens?

Wittgenstein – der Kafka der Philosophie.

Sokrates: sterben lernen. Wittgenstein: schweigen lernen (die Grenze des Sprechens, die Grenze des Daseins hinnehmen).

H2O ist nicht naß.

C12H22O11 ist nicht süß.

In der objektiven Weltbeschreibung, die uns erklärt, was geschieht, kommen wir als fühlende Wesen nicht vor.

Es gibt keine synthetischen Lösungen: Auf der Ebene der Welterklärung, in der Wasser H2O ist, kann es nicht ein komplementäres Prädikat wie „naß“ erhalten.

Wir, du und ich, sind keine emergenten Phänomene über den objektiven Formen neuronaler Ereignisse.

H2O ist eine theoretische Größe, die Funktion einer theoretischen Einstellung, die gleichsam vertikal auf unserer alltäglichen steht.

„Wasser ist H2O“ ist kein rein physikalischer Satz, sondern der Satz eines fühlenden Wesens, das Physik treibt.

„Alles ist Wasser“ oder „Die Substanz der Welt ist X“ sind unsinnige Sätze, denn sie oder diejenigen, die sie aussprechen, kommen in der Welt, die sie mit Ausschließlichkeitsanspruch beschreiben, nicht vor.

Du und ich, wir sind gewiß eingebunden in die Geschichte der Natur, aber keine emergenten Phänomene der darwinistischen Evolution. Wie H2O nicht durch ein komplementäres Prädikat zu Wasser wird, etwas, das wir als naß empfinden, wird homo erectus nicht durch eine auf derselben Linie neuerworbene Eigenschaft zum homo sapiens.

Unsere Natur ist das kulturelle Feld, dessen Grenzen vom Sprechen und Schweigen, vom Verstehen und der Abdankung vor dem Unverständlichen abgesteckt werden.

Wir schreiben in den Sand, wohl wissend, daß der Wind die Spuren verwischt.

Unser Zeugnis ist wie der Atemhauch, der im Nu verweht.

Kindern gleich, die ihre Papierbötchen auf die Wellen setzen.

Doch der mit Pollen herangewehte Duft beläßt dir die Knospe der Erinnerung, die manchmal, fern von jenem Ort, in der Abenddämmerung aufgeht.

 

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