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De gustibus disputandum

09.03.2021

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Wer auf der Schwelle zögert, wird im Gespräch verstummen.

Wer zu zaghaft und kaum hörbar anklopft, dem wird nicht aufgetan; desgleichen, wer wütend gegen die Türe hämmert.

Sicherheit des Geschmacks ist ein Adelszeichen.

Geschmackssicherheit ist der Trittsicherheit vergleichbar, beides ist dem Gedeihen des Lebens bekömmlich.

Der Gaumen trifft instinktiv die Wahl zwischen der verdorbenen und der nahrhaften Kost. So weiß der Kenner zwischen dem surreal schillernden Fäulnissud des Spätstils und dem funkelnden Wein des klassischen oder dem klaren und nüchternen Wasser des primitiv-archaischen Stils zu unterscheiden.

Gefällige Ordnung der Vasen und Bilder, monochrome und fein geschwungene Ornamentik auf Tassen und Tellern, verhalten atmender Blumenduft: Zeichen guten Geschmacks.

Kritik, Polemik, die Häufung der Fragen nach dem Weshalb, Wozu, Wohin: Zeichen verunsicherten Daseins, das seinen dunkelnden Horizont mit grellen, phosphoreszierenden Bildern verstellt.

Kunst als Droge: betäubender Rhythmus, bacchisch schwirrende Zymbeln, Farbmischungen von der Palette des Todes, dünne, krakelnde Linien, Späne des Albtraums, gemasert und gemustert vom Magneten der Angst.

Verlust der Mitte: dürr oder verfettet, Hauch oder Sturmwind, Metaphernflöckchen oder Phrasenhagel, Lallen oder Gebrüll, Grases Wink oder Gases Knall.

Bacchus kommt schon betrunken zum Gastmahl und liegt in Zuckungen unterm Tisch, wenn der ergraute Sokrates rüstig in die Morgensonne schreitet.

Der Argwohn gegen den Ritus und der Haß auf die Ordnung einen den Heißsporn und den Haltlosen, den Sabbat- und Sonntagverächter und den Sansculotten des Geistes.

Es sind nicht mädchenhaft zarte Kehlen, die das strenge Metrum der Ode und das schimmernde Band des Refrains als engend und würgend empfinden, sondern von Dünkel und Trotz geschwollene Hälse krakeelender Knaben.

Unsicherheit des Tritts ist auch ein Zeichen von Lähmung und Blödigkeit; ebenso der Graue Star des künstlerischen Blicks.

Sie wissen nicht, wohin sie die Zeile führt, wohin die losgelassene Furie der Assoziationen sie reißt, ob in den Sumpf verrottenden Gestalten oder zum Talmiglanz und Flitter karnevalesker Umtriebe.

Sie harren des Lobes und der Auszeichnung mit einer Tapferkeitsmedaille von Händen des Präsidenten der Akademie für Dichtung, wenn ihr Ziel für unerreichbar gilt, ihr Gang ein Stolpern und Stottern durch finstere Labyrinthe und ihr Metrum der panische Puls der Tachykardie ist.

Nach der Verwüstung der von bodenständigen Winzern gepflegten Rebengärten kommen die Nomaden von Ampfer, Lattich, Mohn und Bilsenkraut.

Der köstliche Wein des Horaz, der billige Fusel der Journale.

Köstlich ist der Wein der Verse, der kein Kopfweh und keinen Schwindel verursacht und nach dessen tröstendem Zuspruch man nicht mit einem Kater erwacht.

Das schlichte Wort wird in der Hand des Meisters kostbar wie der fehlende unscheinbare Stein im Mosaik.

Die raffiniert lässig geschminkte Schönheit, die mit lang geübtem schizoid-verstörten Blick den Lyrikpreis entgegennimmt, trägt über den Laufsteg der Haute Écriture sich in den Hüften wiegend ein Fetzenkleid von ihrem Schoßhündchen zerbissener Metaphern und unter der gebuchten Sonne tropischer Langeweile gebleichter Muster.

Wenn Leute sich als Juden ausgeben können, die am Schabbes im Kino und in der Kneipe hocken oder ihre ominösen Nasen in die Betroffenheitskamera strecken, dann dürfen sich auch Leute ihrer ekklesiastischen Erwähltheit rühmen, die sonntags faul im Bette lungern, wenn die Glocken zum Hochamt erschallen.

Die goldenen Körner der Namen, die, kaum daß man sie streift, aus den Fruchtkapseln reifer Prosa springen, die sanften Blütenrispen der Metaphern, deren holder Duft aus den schön gerahmten Beeten der Zeilen steigt, sind ein Zeichen des hohen Stils eines Herder und Goethe.

Der rechte Name ist die weiße Blüte, die auf dem glitzernd strömenden Wasser klassischer Prosa treibt.

Mit „Goethe“ ist ein Kontinent bezeichnet, mit „Homer“ eine Welt.

Mit „Linné“ ist eine steile Klippe bezeichnet, von der ein Wanderer auf die gischtende Brandung des immer zeugenden Lebens herabblickt.

Die Pflanzer, die Bauern, die Winzer schaffen die Kultur, und der Stil ihrer Krüge und Amphoren ist schlicht, die einfachen Rhythmen ihrer Lieder tragen sie über die Furchen des Ackers und die gewundenen Pfade des Wingerts bis auf die sternklare Schwelle der Nacht.

Das Herz des Ritters ist noch wild, er bedarf des sänftigenden Weins der epischen Verse.

Die Bewohner der urbanen Villen sind niedergelassene Händler, ihr überfeinerter Geschmack empfindet den schlichten Wein der heimatlichen Gesänge als fade, sie dekantieren die bunt bemalten Flaschen von exotischer Lese, die sie aus den Kolonien mitbrachten.

Lyrik-Mädchen mit verstörtem Blick, das vom Laichen gleich zum Leichnam springt. – Gewiß, bizarre Schönheit findet ihre Verehrer unter den Matadoren des Literaturbetriebs.

Die Namen und die grammatischen Kategorien bergen die geheime Ordnung des Lebens, an der nur der Lebensmüde und der dämonisch Besessene Anstoß nehmen.

Die Kategorie des grammatischen Geschlechts zählt unter die Muster des Lebens, wie wir es leben, nicht zur Natur der Dinge an sich. So teilen wir die alte indogermanisch-trinitarische Ordnung der drei grammatischen Geschlechter mit den klassischen Sprachen, während die romanischen sich mit der Dualität begnügen (das Englische hat das archaische Muster schon an den Nagel der Bequemlichkeit gehängt oder mit Ockhams Rasierklinge abgeschnitten). Es geht dabei nicht um die Natur von Männern und Frauen, wie es dumpfe Unken aus der moralischen und geistigen Dämmerung rufen, sondern um die Struktur des menschlichen Geistes, um an einen Sachverhalt zu erinnern, den der Ethnologe Claude Lévi-Strauss anhand der Grammatik der Verwandtschaftsverhältnisse aufgewiesen hat.

Mit dem Ende der Kultur brechen die Barbaren ein; doch hierzulande sprossen sie auch autochthon wie das Unkraut im der Verwilderung anheimgegebenen Garten.

Der Mythos hob die Griechen in den Strahl, der golden und purpurn von beschneiten Gipfeln brach.

Uns bleibt nur die Erinnerung an die grünen Oden der Flüsse oder die Dunkelheit des brackig-stummen Wassers, das sich gefährlich am Bollwerk der Gegenwart staut.

Hierarchien sind der Hemmschuh des Chaos, der Katechon seelischer Verwüstung und sozialer Verwilderung.

Die aus dem Morast auf die Befehlsstände Emporgerückten bleiben die Niederen, Räuber und Parasiten, wie jene Deutschen, die sich unter dem blendenden Schein einer neuen Ordnung an fremdem Eigentum bereicherten.

Wer sich an allzu scharfen Gewürzen den Magen verdorben hat, muß den harten Kanten der Genügsamkeit kauen.

Jener, der sich vom schäumenden Gepränge festlicher Verse hinabbeugte zu den eintönigen Wogen des Lieds.

Als der Wundertäter beim Gastmahl zu Kana das wenige Wasser in überströmende Krüge Weines verwandelte, gab er nicht dem tierischen Wunsch der Darbenden nach paradiesischen Räuschen nach, sondern setzte ein Zeichen seiner charismatischen Macht zur Verwandlung der Welt und zur Wende der Zeit.

Das Fest der Götter und Menschen, mit dem der Dichter die Wende der Zeit beschwört, weiß von keinen schwer beladenen Tischen, die von Wildbret und Champagnerwein duften und glänzen, sondern kennt als heilige Speise einzig das im Gesang mitgeteilte Wort.

Eine rhetorische Frage ist keine Frage; ein verlogenes Versprechen ist kein Versprechen; ein mißglücktes Gedicht ist kein Gedicht.

Der Wegweiser, der auf sich selber zeigte, gäbe keine Orientierung.

Leute, die nur von sich reden, langweilen meist, denn der Vorrat ihrer wirklichen oder angelesenen Erlebnisse ist rasch erschöpft. – Das Gedicht, das nur vom Dichten spricht, führt uns am glitzernden Band der Eitelkeit im Kreise herum.

Die Diagnose „hermetisch“ für ein als erlesen verbuchtes und erfolgreich in den Handel geschleustes Gedicht ist meist eine Verlegenheitsgeste vor seiner dürftigen Aussage und ihrem in Nebelfetzen aufgelösten oder von wallenden Schleiern verhüllten Ausdruck.

Was haben jene zu sagen, die, was sie sagen, nur in zerbeulten und fadenscheinigen Lumpen oder durchlöcherten Jacken vorführen?

Bettler halten die Schale schweigend hin. – Echt klingt das Lied, das ein generöser Passant wie die Silbermünze in die leere Schale wirft.

Das Echtheitssiegel des guten Gedichts: Wenn man es wiederlesen mag, wenn es beim erneuten Lesen anders klingt, anders gefällt. – Wer will den gepanschten Wein, der einem Kopfweh bereitete, am nächsten Tage wieder trinken?

Die Kultur der Juden wurzelt in der Unterscheidung von Eßbarem und Nichteßbarem, von Rein und Unrein, Heilig und Profan; ihre Wurzel ist abgestorben, wenn auch ihnen gilt: pecunia non olet.

Das Geld, das keine Grenzen der Nationen, Völker, Sprachen und Kulturen kennt, zersetzt schließlich auch den Geschmack für die schöne Kunst und das gute Gedicht, denn da auch das lyrische Gedicht zur Handelsware herabsinkt, da auch seine flüchtige Schönheit käuflich ward, und es nicht mehr zur höheren Ehre des Fürsten, Gottes oder des Lebens komponiert und gesungen wird, muß es, grell geschminkt, mit freizügigem Dekolletee und wackelndem Hintern, nicht nur den vulgären Geschmack des ungebildeten Bürgers und des dekadenten Freiers aus den Feuilletons und Literaturmagazinen reizen, sondern auch den launigen Zuhälter-Gusto des Verlegers übertölpeln.

Der Dichter ist gehalten, um sein Dasein zu fristen, dem verrohten oder entfesselten Geschmack eines Publikums und von Lektoren und Rezensenten wie der Priester durch sein Gespür für das Säuseln der Eichen von Dodona instinktiv nachzuwittern, von Händlern und Verlegern, die ihm des Reibachs und Renommees wegen lobhudeln und um deren ästhetischen Stiefel er wiederum wegen der Villa in der Toskana oder der verwöhnten Geliebten im Westend speichelleckerisch wedelt, und vor allem von Preisrichtern, die gleich Radamanthys, Aiakos und Minos sein Dichterleben auf die Seelenwaage ihrer unterweltlichen Kriterien legen, um über den Rang und Wert seines unwirklichen Daseins im literarischen Schattenschilficht zu befinden.

Man denkt, es war die Sonne, die in aller Unschuld ihres Strahlens die schönen, leuchtenden Muster der Tapete ausgebleicht hat; aber dann entdeckt man zu seinem Entsetzen, es war, der von innen wächst und wuchert, der Schimmel in der Wand.

 

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