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Das Gleiche ist nicht das Selbe, Teil I

23.12.2016

Philosophischer Exkurs über Identität und Individualität und die semantische Verbindung wahrer Sätze mit der Wirklichkeit

Wir gelangen nur mittels wahrer Sätze zur Wirklichkeit, nämlich zur Feststellung eines bestehenden Sachverhalts. Nur wahre Sätze haben Relevanz oder Lebensbedeutung.

Aber damit auch falsche Sätze. Wenn wir wissen, daß der Satz „Peter war der Täter“ falsch ist, wissen wir immerhin, daß nicht Peter, sondern ein anderer der Täter war. Das kann jedenfalls für Peter von erheblicher Relevanz und Lebensbedeutung sein.

Wahre Sätze der Art wie „Peter ist der Täter“ oder „Peter ist der Mann, der an diesem Tag und jenem Ort Paul bestohlen hat“ sind das Bindeglied zwischen der Sprache und der Wirklichkeit. Das zeigt sich darin, daß wir nur wahre Sätze dieses Typus für bare Münze nehmen und Konsequenzen für unser Schalten und Walten, unsere Einstellungen und praktischen Entscheidungen aus ihnen ableiten: Paul, der den genannten Satz in die Äußerung umwandelt: „Peter hat mich an diesem Tag und jenem Ort bestohlen“, wird die Polizei verständigen und eine Anzeige machen; oder er wird ihn nicht anzeigen und Paul, der vorgab, sein Freund zu sein, die Leviten lesen und auf einer persönlich abzumachenden Wiedergutmachung bestehen.

Wir wollen hier ein formales Verfahren betrachten, mit dessen Hilfe wir zu dieser Art von wahren Sätzen und ihrer Verbindung mit der Wirklichkeit gelangen: Es besteht auf der einen Seite in einer analytischen Reduktion, auf der anderen (spiegelbildlich symmetrischen) Seite in einem Ausschlußverfahren. Seine Maxime lautet: Das Gleiche ist nicht das Selbe.

Die Polizei hat das Foto eines gesuchten Mörders veröffentlicht; Karl sieht einen Passanten, dessen Gesicht dem auf dem Fahndungsplakat wie ein Ei dem anderen gleicht. Karl verständigt vor Ort die Kripo mit seinem Handy, der Verdächtige wird verhaftet, aber schon bald wieder freigelassen, seine Fingerabdrücke stimmten mit denen des Gesuchten nicht überein.

Wir bemerken, daß der Verdächtige in den Augen von Karl vermutlich, mutmaßlich oder möglicherweise der gesuchte Täter ist. Das Verfahren des positiven Abgleichs von Fingerabdrücken ist nun in unserem Sinne einerseits ein Verfahren der Reduktion, in diesem Falle der Reduktion des Möglichen auf das Wirkliche oder der möglicherweise wahren Sätze auf einen bestimmten wahren Satz, denn derjenige, der möglicherweise als Täter in Frage kommt, kann mittels dieses Verfahrens als wirklicher Täter überführt werden; und es ist andererseits ein Ausschlußverfahren, wenn der vermeintliche Täter mittels des negativen Abgleichs der Fingerabdrücke als wirklicher Täter oder der Satz über seine Identität als Täter aus dem semantischen Raum möglicherweise wahrer Sätze ausgeschlossen wird.

Wir bemerken zudem, daß der Schluß vom Möglichen auf das Wirkliche anders als der Schluß vom Wirklichen auf das Mögliche oder der Analogieschluß überhaupt kein logisch stringenter Schluß, sondern meist ein Fehlschluß und nur ausnahmsweise oder zufällig einmal ein wahrer Schluß ist. Denn der Schluß von der Aussage: „Peter sieht dem Gesuchten ähnlich“ auf die Aussage: „Also ist Peter der Gesuchte“ ist höchstwahrscheinlich falsch und nur richtig, wenn die Identität Peters mit dem Gesuchten anhand erprobter und bewährter Verfahren der Identifizierung festgestellt wird, die dadurch dem Analogieverfahren überlegen sind, daß sie das Gleiche auf das Selbe zu reduzieren vermögen. Peter ist der Täter, wenn seine Fingerabdrücke oder seine DNS mit denen des Täters, von dem man früher einen Fingerabdruck genommen oder eine Blutprobe entnommen hat, übereinstimmen. Aber die Tatsache, daß er dem wirklichen Täter ähnlich oder gleich sieht, macht ihn noch lange nicht zum wirklichen Täter, dem Täter selbst.

Betrachten wir den Aussagetyp wahrer oder möglicherweise wahrer Sätze wie „Peter ist der Täter“ im Vergleich mit dem Aussagetyp von Sätzen wie:

(1) Blau ist eine Farbe
(2) Ein Kreis ist die geometrische Linie, bei der alle Abstände zu einem gegebenen Punkt gleich sind

Diese Sätze haben den Anschein von wahren Sätzen aus dem einzigen Grund, weil sie mit sprachlichen Festsetzungen oder Definitionen übereinstimmen, die wir als Mitglieder unserer Sprachgemeinschaft vorgenommen haben. Solche Sätze sind apriori „wahr“, aber nicht immer notwendig „wahr“, sondern teilweise kontingent, denn wären wir alle farbenblind, hätten wir Satz (1) nicht formuliert. Wir setzen „wahr“ in diesen Fällen in Anführungszeichen, weil sich das Wahrsein solcher Sätze auf die korrekte Anwendung sprachlicher Regelungen und Regeln bezieht und daher semantisch redundant oder leer ist.

Wir können den Satz: „Blau ist eine Farbe“ mit dem Satz: „Peter ist ein Name“ vergleichen, um unsere Bemerkung, daß es sich dabei um sprachliche Festsetzungen oder Definitionen handelt, zu verdeutlichen. So sagen wir: „Blau ist eine andere Farbe als Rot“ oder: „Peter ist ein anderer Name als Paul“; Sätze dieses semantischen Typs sind weder wahr noch falsch, sondern mehr oder weniger sinnvoll. Es wäre sinnlos, sprachliche Festlegungen der Art machen zu wollen wie: „Blau ist ein Klang“ oder „Der Kreis ist diejenige geometrische Figur auf der Ebene, die am schönsten und vollkommensten aussieht“ – auch wenn gewisse Metaphysiker der Antike von der Wahrheit dieses Satzes überzeugt waren.

Dagegen ist der Satz „Dieser Klang ist blau“ nicht von vornherein sinnlos, denn einige seltsame Leute, die von sich behaupten über die Fähigkeit synästhetischer Wahrnehmung zu verfügen, könnten diesen Satz bei bestimmten Gelegenheiten äußern; ebenso könnte ein Maler den Satz vom Kreis als schönster und vollkommenster Figur auf der Fläche adaptieren und in seinen ästhetischen Kanon aufnehmen, auch wenn wir in beiden Fällen, dem des Synästhetikers und dem des Ästhetikers, kein spezifisches Verfahren zu nennen wüßten, mit dem wir ihre Wahrheit überprüfen könnten.

Wir betrachten den semantischen Unterschied der Sätze:

(3) Blau ist ein Klang.
(4) Blau ist eine Farbe.
(5) Diese Blüte ist blau.

Satz (3) ist weder wahr noch falsch und sinnlos.
Satz (4) ist weder wahr noch falsch, aber sinnvoll.
Satz (5) ist entweder wahr oder falsch und sinnvoll.

Die Bedeutsamkeit und Relevanz von Sätzen wie (5) „Diese Blüte ist blau“ bestehen in dem Umstand, daß wir nur mit ihrer Hilfe eine semantische Brücke zwischen Sprache und Wirklichkeit bauen können. Sätze dieser Art greifen einen individuellen und spezifischen Sachverhalt aus der Wirklichkeit heraus und behaupten, daß er besteht. Denn die gemeinte oder deiktisch herausgehobene Blüte ist blau, wenn wir ein konventionelles Farbmuster mit den Beispielen und Namen unserer Grundfarben an die gezeigte und erblickte Blüte halten und gedanklich ein Häkchen bei „Blau“ setzen.

Sätze des Grundtyps (5) sind insbesondere als Brücke zwischen Sprache und Realität bedeutsam, weil bei ihnen der Grund ihrer Äußerung mit der Ursache des Geäußerten identisch ist. Gefragt, aus welchem Grund einer die ihm gezeigte Blüte blau nenne, wird er antworten, weil sie ihm blau erscheine oder daß er sehe, daß sie blau ist. Der phänomenale Farbeindruck von Blau ist aber kausal mit der Tatsache verknüpft, daß ein Gegenstand im Sehfeld Licht mit einer Wellenlänge von 460 bis 480 Nanometern emittiert. Wir können daher die Identität von Ursache und Grund, die für Sätze mit semantischer Brückenfunktion von hoher Relevanz ist, semantische Identität nennen.

Wir bemerken, daß die semantische Identität eine Wahrheitsbedingung für Sätze wie „Diese Blüte ist blau“ oder „Peter ist der Täter“ darstellt. Denn wie Paul aufgrund der Tatsache, daß von dem ihm gezeigten Gegenstand Licht in den Wellenlängen zwischen 460 und 480 Nanometern emittiert wird, bewogen wird, der Äußerung „Diese Blüte ist blau“ zuzustimmen, wird Paul dem Satz „Peter ist der Täter“ zustimmen, weil er gesehen hat, daß der sich im Kaufhaus unbeobachtet glaubende Peter eine Uhr aus der Auslage in seine Tasche hat verschwinden lassen. Würde die Blüte dagegen Wellenlängen von über 600 Nanometern emittieren, wäre die Aussage, sie sei blau, falsch und Paul litte unter einer Sehstörung, denn in Wirklichkeit ist sie rot, ebenso wie die Äußerung „Peter ist der Täter“ falsch wäre, wenn Paul zwar jemanden bei dem Diebstahl im Kaufhaus beobachtet hätte, aber diese Person nicht mit Peter identisch, sondern Karl gewesen wäre.

Das entscheidende Merkmal dieser wahrheitsfähigen Sätze aber ist ein ontologisches: Sie sind stets semantisch perfekt individualisiert und beziehen sich auf eine einzelne Entität wie „diese Blüte“ oder in der Aussage „Peter ist der Täter“ auf genau diesen Mann und keinen anderen, der an diesem Tag und jenem Ort (und an keinem anderen Tag und keinem anderen Ort) dies und jenes (und nicht etwas anderes) getan hat, zum Beispiel Paul bestohlen hat.

Bei dem, was wir Wirklichkeit oder Realität nennen, geht es demnach um das Vorkommen einzelner Entitäten oder Individuen oder Singularitäten, von denen wir etwas aussagen, dessen Wahrheit oder Falschheit wir anhand formaler und erfahrungsmäßiger oder experimenteller Verfahren der Identifizierung feststellen können. Peter ist der Dieb, weil Paul, den er bestohlen hat, ihn zweifelsfrei mittels Augenzeugenschaft identifizieren konnte. Wenn Peter sich geschickt verkleidet hatte oder Pauls Wahrnehmung aufgrund der Einnahme geistiger Getränke getrübt war oder beides der Fall gewesen ist, können wir die Aussage, Peter sei der Dieb, nicht aus dem semantischen Raum möglicher Sätze aus- und in den semantischen Raum wahrer Sätze einschließen. Der Verhaftete ist der gesuchte Mörder, das heißt: Der mutmaßliche Täter ist der wirkliche Täter, weil er anhand von Fingerabdrücken oder DNS-Mustern oder beides überführt werden konnte. Wären diese Identitätsmerkmale aufgrund des Fehlens von Fingerabdrücken oder einer Blutprobe nicht erfüllt, verbliebe der Verdächtige vielleicht in der Menge derjenigen Kandidaten, denen wir einen Mord und also auch diesen hier relevanten durchaus zutrauen würden, denn diese Menge umfaßt auch diejenigen, die tatsächlich einen Mord begangen haben, und der Verdächtige hat schon einen Mord begangen, aber wir könnten seine Identität als Täter genau dieser einzelnen Tat nicht feststellen.

Der ontologisch bedeutsame Begriff der Identität ist demnach semantisch mit dem Begriff der Individualität verknüpft: Nur ein bestimmter Mann aus der Menge aller Männer kann derjenige sein, der sich an diesem Tag an jenem Ort aufgehalten und das und jenes gemacht hat, zum Beispiel Paul bestohlen oder einen Mord begangen hat. Wir wissen, daß Peter es war, der an diesem Tag und jenem Ort Paul bestohlen hat, wenn Paul ihn hat zweifelsfrei identifizieren können.

Eigenschaften, allgemeine Formen, platonische Ideen, Zahlen und Mengen wie „blau“, „kreisförmig“, „schön“ oder „vollkommen“, „zwei“ und „die Menge aller Friseure, die sich selbst rasieren“ sind weder individuell noch spezifisch, ein semantisch und ontologisch bedeutsamer Begriff von Identität ist auf sie nicht anwendbar. Zu sagen „8 = 2 x 4“ ist etwas anderes als zu sagen „Peter ist der Täter“ oder „Diese Blüte ist blau“, denn die Identität der Gleichung ist rein formal oder analytisch, sie gilt unabhängig von irgendwelchen Randbedingungen, während Peter nur dann der Täter ist, wenn er nachweislich die Tat begangen hat und diese Blüte nur dann blau ist, wenn sie die Musterprobe besteht.

Wir schließen: Sätze über Individuen oder einzelne Entitäten, deren Identität wir anhand erprobter Verfahren und Methoden der Wahrnehmung oder der experimentellen Verifikation feststellen, sind wahr und bilden eine semantische Brücke zwischen Sprache und Wirklichkeit.

Identität und Individualität bilden begriffliche Äquivalente oder implizieren einander. Keine Identität ohne Individualität, keine Individualität ohne Identität.

Wenn wir wissen, daß das Individuum Paul an diesem Tag und an jenem Ort von dem Individuum Peter bestohlen wurde, wissen wir kraft Implikation, daß an diesem Tag und an jenem Ort kein anderes Individuum als Paul von keinem anderen Individuum als Peter bestohlen wurde. Und nur wenn wir wissen, daß das Individuum Paul mit jenem Individuum identisch ist, das an diesem Tag und an jenem Ort von Peter bestohlen wurde, wissen wir, daß Paul von Peter bestohlen wurde.

Das bewußte Ich oder Selbst ist gleichsam der Begriff des Begriffs der Identität, wir könnten sagen, daß all unsere Konzepte von gegenständlicher und mentaler Einheit Ableitungen aus dem Begriff der Ich-Identität sind. Dennoch sind die meisten Individuen, die wir begrifflich identifizieren und sie mit einem Namen oder Eigennamen bezeichnen, nichtichartige Gegenstände wie diese Blüte oder jener Baum. Deshalb haben wir uns angewöhnt, alle identifizierbaren Individuen, sowohl diese Nelke und diese Pappel als auch den Hund namens Wuschel oder das Individuum Peter als körpergebundene oder inkarnierte Identitäten anzusehen.

Zudem begegnen uns erfahrungsgemäß ichartige oder Ich-Identitäten stets zugleich als materielle Gegenstände, weshalb wir folgern, daß Peter nicht der Dieb gewesen sein kann, wenn er zu dieser Zeit friedlich schlafend zu Hause im Bett lag – was wir nur verifizieren können, wenn wir gesehen haben, daß daselbst der Körper von Peter lag. Aber die begriffliche Verbindung von Identität und materieller Individualität ist semantisch und ontologisch nicht notwendig, sondern kontingent: Denn es scheint, wir können Begriffe ichartiger Identitäten bilden, die von körperlichen Banden und Inkarnationen losgelöst sind, wie Gott, Engel oder die menschliche Seele – auch wenn die religiöse Erfahrung und Sprache auf Muster und Begriffe zurückgreifen muß, die sie wiederum als körperlich oder körperähnlich inkarniert vorstellen, wie Gott, der spricht und mit seinem schöpferischen Wort die Welt hervorbringt, und die Engel, die zu seinem Ruhme singen, oder unsere Selbsterfahrung auf Bilder und Metaphern der Körperwelt zurückgreift, wie etwa Homer von der Seele spricht, die sich auf dem Feuerrost windet, um mit diesem Bild die Vorstellung davon zu evozieren, wie sie sich quält, wenn sie widersprüchliche Gedanken wälzt.

Es ist augenscheinlich, daß aus unserer Betrachtung ein Nominalismus hinsichtlich der Begriffe für Stoffe wie Wasser, Luft, Wolken oder Gras und institutionelle Einheiten wie dieses Gebäude oder diese Stadt und dieser Staat folgt. Wenn wir sagen, daß es regnet, verstehen wir dies gleichsam metaphorisch und meinen damit, daß eine unbestimmte Menge von Wassertropfen aus den Wolken fallen. Wenn wir sagen, dieses Gebäude sei stark verfallen, verstehen wir diese Aussage gleichsam metaphorisch und analysieren sie in einer unbestimmten Menge von Sätzen wie „Da und dort ist der Putz von der Wand gebröckelt“, „Dieses und jenes Fenster ist eingeschlagen“ oder „Dieser und jener Balken ist verfault“; wenn wir sagen, diese Stadt habe sich seit zehn Jahren weit ausgedehnt, betrachten wir diese Aussage als gleichsam metaphorisch und zerlegen sie in eine unbestimmte Menge von Sätzen über Peter, der ein neues Haus in der Vorstadt gebaut hat, oder Paul, der ein Unternehmen gegründet oder eine Filiale im Weichbild der Stadt eingerichtet hat. Eine Aussage über diesen Staat, der sich eine neue Verfassung gegeben hat, analysieren wir in einer unbestimmten Menge von Sätzen über diesen und jenen Beamten und jenen Verfassungsjuristen, der eine Verfassung ausgearbeitet hat, und diesen und jenen Abgeordneten, der den zur Vorlage und Abstimmung gebrachten Entwurf einer neuen Verfassung angenommen und ihm per Ja-Stimme zugestimmt hat.

Wir folgern schließlich: Der Begriff der Identität ist ein ontologischer Grundbegriff und semantisch unauflöslich mit dem Begriff der Individualität verknüpft. Ohne den Begriff der Identität wäre die Statik der Brücke zwischen Sprache und Wirklichkeit nicht gewährleistet.

Neben dem Begriff der Ich-Identität ist der Begriff der semantischen Identität von Grund und Ursache wesentlich für unsere Annahme, daß wir mit unseren Sätzen nicht systematisch in die Irre gehen, sondern zumindest in ausgezeichneten Fällen wie bei der Äußerung „Diese Blüte ist blau“ oder „Peter ist der Täter“ zuversichtlich sein können, nicht Schatten vermehrt, sondern Licht ins Dunkel gebracht zu haben. Ja, wir können mithilfe des Begriffs der semantischen Identität sogar erklären, warum wir uns irren: Immer dann, wenn der Grund unserer Äußerungen nicht mit ihrer Ursache identisch ist.

Vergleichen wir abschließend im Lichte der semantischen Identität nochmals die semantischen Unterschiede exemplarischer Satztypen:

(6) Junggesellen sind komische Vögel.
(7) Diebstahl ist eine kriminelle Handlung.
(8) Peter ist der Dieb.

(6) ist eine metaphorische Aussage, sie ist zwar falsch, doch sinnvoll.
(7) ist eine sprachliche Festlegung, sie ist weder wahr noch falsch, aber sinnvoll.
(8) ist eine konstative, deskriptive oder feststellende Behauptung, sie ist entweder wahr oder falsch und sinnvoll.

Metaphorische Sätze sind semantisch betrachtet falsche Sätze, auch wenn sie in unserem sprachlichen Umgang eine sinnvolle und wichtige Funktion haben: Sie dienen dazu, unseren Welteindrücken und Erlebnissen Prägnanz zu verleihen und sie in das volle Register indirekter Mitteilungen einzufügen: Der verschrobene alte Lehrer hat sich die Jacke falsch zugeknöpft oder der neuen Kollegin bei der ersten Vorstellung überschwänglich und täppisch einen Handkuß gegeben; wir sagen: „Junggesellen sind halt komische Vögel“ und machen damit eine indirekte Mitteilung über unseren Eindruck: Wir färben ihn mit dem, was wir Ironie nennen.

Wenn wir unsere sprachlichen Muster und Klassifikationen erweitern oder subtilisieren und Diebstahl unter die mittelschweren kriminellen Handlungen, dagegen Totschlag und Mord unter die Kapitalverbrechen einordnen, sagen wir nichts Wahres über die Welt, sondern etwas Sinnvolles über unseren sprachlichen Weltumgang. Würden wir umgekehrt Diebstahl unter die Kapitalverbrechen einreihen und Mord als leichtes Vergehen klassifizieren, sagten wir ja nichts Falsches über die Welt, aber würfen ein bezeichnendes und gleichsam unheimliches Licht auf unseren sprachlichen Weltumgang.

Wenn wir dagegen behaupten, Peter sei der Dieb, müssen wir diesen mutmaßlichen kriminellen Tatbestand mittels einschlägiger und zweifelsfreier Belege in einen wirklichen Tatbestand überführen können; wir sind gleichsam verpflichtet, den vermeintlichen Dieb Peter als den tatsächlichen Dieb zu identifizieren. Peter ist nur dann der Dieb, wenn er DIESELBE Person ist, die zu einer bestimmten Uhrzeit an einem bestimmten Ort eine Ware aus der Auslage des Kaufhauses heimlich in ihrer Tasche hat verschwinden lassen, oder DIESELBE Person ist, die ihren Freund Paul bestohlen hat. Dagegen ist der verschrobene Lehrer zu keiner Zeit und an einem Ort wirklich und wahrhaftig ein komischer Vogel, aus dem simplen Grund, weil Menschen nun einmal keine Vögel sind, und wir uns nur so ausdrücken, wenn wir unsere ironische Sicht auf die Welt zum besten geben wollen.

Der Grund, Peter einen Dieb zu nennen, ist semantisch identisch mit der Ursache all der Belege, die wir für seine kriminelle Handlung herbeischaffen können, nämlich ihrer Ursache in den beweiskräftigen Beobachtungen und Indizien, die ihn als Dieb überführen. Aber die Relevanz von wahren Sätzen dieses Typs erweist sich nicht nur mittels der semantischen Identität von Grund und Ursache unserer Äußerungen, sondern auch durch den Umstand, daß das deskriptive Sprachspiel das Spiel ist, mit dem wir die Tatsachen der Welt neu ordnen oder neue Tatsachen inaugurieren: Der überführte Dieb wird rechtskräftig verurteilt und zu einer Strafe verdonnert. Das Ansehen Peters hat ziemlich gelitten, zumindest in den Augen seines ehemaligen Freundes Paul.

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