Das Fanal
Verse auf die Asche des Frankfurter Goetheturms
Samstags auf dem weißen Boot der Primus-Line,
Tassen, Gabeln, Messer klappern,
Kinder laufen auf und ab,
hier ist die Aussicht besser, nein, hier.
Alles übertönt der Besser-Wisser-Lautsprecher,
der jedem, was er sieht, erklärt,
Alte Brücke, wo er ging – wie jung er damals war,
und was ihm aus dem Wellengrund des Mains
heraufsang grüner Nixenmund,
alles krümelklein, wie hoch der Turm der EZB,
die Kathedrale der Geld-Häretiker,
wie viel Kubikmeter Wasser birgt das Hafenbecken,
wie viele Leichen hat in der Schreckensnacht,
als das Herz der Altstadt brannte,
Vater Main traurig zugedeckt, nicht, das nicht.
Die Gerbermühle endlich,
alte Märchen schäumend,
leise knirschend, damals,
goldner Liebe Körner mahlend,
und ihr Rad, es sang
in weichen Takten
Ma-ri-an-ne …
Hier stieg ich immer aus,
stracks durch Oberrad,
wo ist das Heim der Tumben,
dort lebt die Schwester des alten Florentiners,
der mir seines Dichters Verse lallte
vom Irren von des Weges Mitte:
„Nel mezzo del cammin di nostra vita
mi ritrovai per una selva oscura,
ché la diritta via era smarrita.“
(Es war in meines Lebensweges Mitte,
da fand ich mich in Waldes Dunkel wieder,
verwuchert waren mir die lichten Tritte.)
Roch sie den bittersüßen Qualm,
schmeckte rußig Sud verkohlter Stämme
oder sah mit feuchten Augen
eines aus dem Schlaf gezerrten Kinds
den roten Dämon lodern in der Nacht?
Ich floh zu den Toten herzlich gern
auf den Waldfriedhof
und dankte jedem Flackerlicht auf seinem Grab
für einer Wehmut Träne,
daß es Andacht leise angefacht
und zärtliches Gedenken.
Dort geht über karges Rinnsal der Steg,
schon fliegt von Würsten Duft heran,
da sind die Kinder, spielt ihre Munterkeit,
die Musikbox quält sich quäkend Gassenhauer ab,
da steht der ungeheuere Koloss.
All die lang zu Staub zerfallenen Hände,
die an ihm gebaut,
die Kehlen der Werker und Meister –
was sangen am Richtfest sie
unter luftig hüpfenden,
von bunten Bändern durchwundenen
Blättern der Birke, der Weide
dort in der Höhe einst?
Als hätte herb ein Wind
die Bohlen braun geküßt
in so viel Jahren, in so viel Jahren
das Geländer abertausend Hände
hell und glatt gerieben,
in so viel Jahren,
zupfte seine süßen Blüten Sommer,
bauschte Herbst sein goldenes Vlies,
blinkte Winters Spiegel blau,
abertausend Augen sind gewandert
über grüne, gelbe, rote Flecken
von Spessart, Taunus, Odenwald,
wie liebkosend Ferne heimatlich,
was ersehnend,
wem sich an die Schulter schmiegend,
wem die feuchte Wange wischend,
da sie auf ihres kleinen Lebens
rein umwölktes Bild geblickt
und auch die im Bild bewahrten,
die schon lange hingeschieden.
Nie wieder kehre ich dorthin zurück.
Meine Augen sind mir wie erloschen
unter der Endzeit-Beize schwarzer Dünste,
dem obszönen Spucken der Flammengischt,
dem Fanal des Untergangs
des Wahren, Guten, Schönen.
Nie wieder kehre ich dorthin zurück.
Siehe:
https://de.wikipedia.org/wiki/Goetheturm
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