Das Bild vom Garten Eden
Wir kennen das Bild des Gartens aus dem Alten Testament. Hier ist der Garten Eden noch nicht das Bild der Seele, wie bei den modernen Dichtern wie Stefan George oder Robert Lax, sondern die Landschaft und Lebensform des ganzen Menschen, des Menschen in der Fülle des Lebens, des Menschen mit Leib und Seele, in Gemeinschaft mit seinesgleichen und mit Gott.
Oder sollen wir sagen, daß der Garten Eden als Bild des menschlichen Lebens den vollständigen Sinn von der Seele wiedergibt, von dem wir nur eine halbierte Version in Händen halten, wenn die Fülle des Leibens und Lebens sowie die Gemeinschaft mit anderen und mit Gott davon abgezogen werden?
Die Schönheit des Lebens im Garten Eden ist die Heiterkeit des ihn durchfließenden Lichts und die friedvolle Ordnung der in ihm wachsenden und sich tummelnden Lebewesen, der Pflanzen, Tiere und Menschen.
Wir dürfen kühn sagen, Gott sei der Gärtner im Garten Eden, in seinem Paradies. Er segnet sein Gedeihen und sein Wachstum mit Licht, er jätet das Unkraut und die bösen Triebe, die emporschießen, um die Lichtungen zu verdunkeln, reißt er aus, er zügelt das Treiben der Schlange.
Denn das Böse ist im Garten Eden anwesend, aber es verwildert ihn nicht, solange Gott der Gärner ist.
Wir können statt des Bilds vom Sündenfall und der Vertreibung aus dem Garten Eden auch das Bild des abwesenden Gottes gebrauchen. Denn wenn der göttliche Gärtner geht, verwildert und überwuchert der Garten, es sei denn der Mensch besinnt sich darauf, seine Aufgabe, das Handwerk des Jätens und Harkens, des Stutzens und Veredelns, des Säens und Erntens, in Angriff zu nehmen.
Die Abwesenheit Gottes ist der Grund für die menschliche Kultur, denn das Bild des Gartens stellt uns diese Tatsache, die Tatsache der Notwendigkeit der Arbeit und der Gestaltung und Umgestaltung, die Notwendigkeit der Kultivierung des Wilden, vor Augen.
Einen Garten zu pflegen heißt, für das Gedeihen der angebauten Pflanzen sorgen. Sie bedürfen des Lichts, sie bedürfen des Wassers. Du sorgst für die Lichtung, du sorgst für die Bewässerung. Das Licht kommt von der Sonne, die Pflanze erwächst aus dem Samen. Sonne und Samen hast du nicht erschaffen. Sonne und Samen findest du vor.
So ist es mit den Begriffen. Tun und Leiden, Sprechen und Schweigen, Ich und Du, Ding und Welt – all die wesentlichen Begriffe, ohne die wir geistig blind sind, bedürfen gleichsam des Lichts, des Lichts der ihnen wesentlichen Ordnung.
Wird der Garten vernachlässigt, werden die Beete nicht mehr gejätet und bewässert, die Stauden und Sträucher nicht mehr beschnitten und gebunden, der Boden nicht mehr gedüngt und bewässert, verwildert alles, Unkraut und Disteln wuchern, die Blumen ersticken, die Beeren verfaulen, das Obst wird nicht reif.
Entbehrt der menschliche Geist der logisch-semantischen Ordnung der Begriffe, verdunkelt er sich und wird blind. Wir sagen, der begriffsblinde Mensch gibt der Neigung zum Bösen nach und sündigt. Er hat die Orientierung am Licht verloren und wird verrückt oder stumpfsinnig oder trübsinnig.
Wir wissen von der Ordnung der Vernunft, die sich am lumen naturale ausrichtet oder an der Arbeit des Begriffs, die niemals vollendet ist, denn es gibt hienieden keinen absoluten Begriff, sondern nur die unendliche Mühe und Geduld, die wir aufwenden, um unsere Begriffe zu ordnen ins Reine zu bringen.
Wir hörten von der Ordnung der Liebe, die im Bild des Gartens erscheint, in dem statt des ursprünglichen Baums mit der verbotenen Frucht das Kreuz steht, das Kreuz, das in die Finsternis des menschlichen Geistes und Herzens leuchtet.
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