Charles Baudelaire, Le Mauvais Moine
Les cloîtres anciens sur les grandes murailles
Étalaient en tableaux la sainte Vérité,
Dont l’effet, réchauffant les pieuses entrailles,
Tempérait la froideur de leur austérité.
En ces temps où du Christ florissaient les semailles,
Plus d’un illustre moine, aujourd’hui peu cité,
Prenant pour atelier le champ des funérailles,
Glorifiait la Mort avec simplicité.
— Mon âme est un tombeau que, mauvais cénobite,
Depuis l’éternité je parcours et j’habite ;
Rien n’embellit les murs de ce cloître odieux.
Ô moine fainéant ! quand saurai-je donc faire
Du spectacle vivant de ma triste misère
Le travail de mes mains et l’amour de mes yeux ?
Mönch ohne Segen
In alten Klöstern leuchtete an hohen Mauern
der heiligen Offenbarung schönes Wunderbild,
die frommen Herzen tränkte es mit süßen Schauern,
der Frost der strengen Übung wurde an ihm mild.
In jenen Zeiten, da des Heilands Samen Blüten brachten,
hat manch berühmter Mönch, der heut vergessen ganz,
den Totenanger erkoren zu seinem ernsten Trachten
und kränzte des Todes Ruhm mit einem schlichten Kranz.
Ein Grab ist meine Seele, wo Mönch ich ohne Segen
seit Ewigkeiten hausend irr auf dunklen Wegen.
Nichts, was den Mauern des häßlichen Klosters Glanz verleiht.
O fauler Mönch, wann endlich führt mich weise Lehre
aus dem Begaffen meiner traurigen Misere
zu eigner Hände Werk, der Liebe Blick geweiht?
Hinweise zur Interpretation:
Das Sonett zeigt wie die meisten Sonette der Fleurs du Mal die erhabene, gravitätische und strenge Tönung und Formung durch den regelhaften Gebrauch des Alexandriners, der vor allem in sentenziös herausgehobenen Versen wie den Schlußversen mittels der Zäsur nach der dritten Hebung die Woge des Gedankens vertiefend teilt und gleichsam scheitelt.
Wie in allen klassischen Dichtungen unterscheiden wir den die Atmosphäre beherrschenden Grundton, die von ihm gefärbten Bilder und Metaphern und den vom Metrum getragenen Rhythmus. Der Ton quillt gleichsam aus dem seelischen Abgrund wie ein fernes Echo, ein Weck-, Jubel- oder Freudenruf, ein Klage- oder Entsetzensschrei; der Ton ist dasjenige am Gedicht, was seiner Gestalt, Sprache und Bild, vorausgeht, er ist das am wenigsten Gemachte, sondern ein gleichsam von den fernen Ufern des Traums vernommener Widerhall.
Wir gehen davon aus, daß der Grundton des Sonetts aus der Resonanz von âme und tombeau, Seele und Grab, wie aus einem schon halb verschütteten Brunnen hervorgequollen ist. Mit diesem Grundton der Klage ist zugleich das wesentliche dichterische Bild der Seele als Grab assoziiert. Es sei darauf hingewiesen, daß die solcherart Sprache gewordene Klage unmittelbar nach der Zäsur des Sonetts, dem Beginn des ersten Terzetts, einsetzt, das der Dichter mit einem langen Gedankenstrich zu markieren pflegt. Die Binnenzäsur in der Versmitte des Alexandriners hat gleichsam ihr Spiegelbild in der strophischen Zäsur zwischen den Quartetten und Terzetten.
In der metaphysischen Tradition des platonisch geprägten Christentums war der Körper das Grab der Seele, dies kehrt Baudelaire um: Nun ward die Seele selbst zum Grab. – Nach den mystischen Lehren der christlichen Askese vermag die sich vor der Welt verschließende und sich ins Schweigen einmauernde Seele mit sich selbst in Kontakt zu gelangen, ihre unversehrte adamitische Gestalt zu gewahren, in einer durch Meditation und Gebet gesteigerten und vergeistigten Stille in die reine Quintessenz ihrer selbst zu tauchen – freilich nicht ohne den Influxus oder den Einstrom des göttlichen Segens, der gleichsam durch die Ritzen der Mauern dringt.
Ein Zeichen der Heilsnähe, die im Gedicht durch die Blüten aus den Samen Christi beschworen wird, sind die an den Klostermauern dargestellten Bilder der göttlichen Weisheit, Wahrheit und Offenbarung, bei denen wir an östliche Ikonen oder die Fresken eines Giotto denken können.
Wenn von den Bildern des Heils gesagt wird, sie erwärmten das Innere und milderten den Frost der strengen Askese, sollten wir keineswegs an eine ästhetische Wirkung denken, wie sie das auf uns gekommene geistlich entwurzelte Kunstverständnis einzig als angenehme schöngeistige Zerstreuung kennt; jene Wärme und diese Milde entstammen der heiligen Flamme der Offenbarung, wenn auch in künstlerisch temperierter und gedämpfter Form.
Wenn Baudelaire die geistvolle Atmosphäre der Klöster des alten Frankreich, la douce France, heraufruft, so als Dichter mit dem Wissen um die Greuel und Schändungen der Kirchen, Kathedralen, Klöster, der Denkmäler, Bildnisse und Ikonen durch den Terror der Französischen Revolution.
Das religiöse Bildnis war wie die hymnische Dichtung eine Form, in der die Kirche den Geist der Antike ins Abendland gerettet hat; keine heilige Liturgie, kein monodischer und polyphoner Gesang, kein romanischer und gotischer Dom, kein Giotto und Michelangelo, kein Dante und Petrarca, kein Racine und Pascal ohne diese rettende Arche über der Sintflut des untergehenden römischen Reiches.
Die alte Weisheit war mit dem Tod als der Schwelle zu höherem Leben versöhnt; daher der Mönch, dessen Werkstatt der Totenanger, dessen Werk der Ruhm auf das Vergehen der irdischen Welt. – Wir könnten in die Leere, den gleichsam aussetzenden Herzschlag zwischen den Quartetten und den Terzetten, den heils- und unheilsgeschichtlichen Ort des Schreckens und der Unterbrechung des Gnadenstroms vermuten, des Stroms aus der Quelle eines von den Barbaren des zivilisatorischen Fortschritts zum grauen Paradies von Gleichheit, Monotonie und Langeweile verwüsteten Hortus conclusus.
Der faule, entartete, enterbte Mönch, der Mönch ohne Segen, das ist der moderne Dichter, wie ihn uns Baudelaire verkörpert; immer noch Mönch, also berufen und einem wenn auch ungewissen Heil sich überliefernd, doch innerlich wie tot und abgestorben, trockener Zunge, tauben Herzens.
Worin, fragen wir, zeigt sich der seelische Zustand des inneren Abgestorben- und Welkseins, das gespenstische Dasein, Schatten ohne eucharistisch von Feuer und Wasser des Lebens erfüllt, der zwischen kahlen bilderlosen Mauern herumirrt? Im Taedium vitae, dem Ennui, Langeweile, Sinnleere und Überdruß, dem Grundton und Grundmotiv der Fleurs du Mal. Nichts langweiliger, sinnloser, widerwärtiger als dem öden Schauspiel des eigenen Elends als gefesselter Zuschauer beizuwohnen.
Welches Wissen, welche Weisheit ruft der Dichter an, die ihn in die Werkstatt rufen, zum Werk der eigenen Hände, um ein Bild, das Bild des Gedichts, zu bilden, das die Grabkammer der Seele mit einem überirdischen Licht erfüllt, auf dem die Augen liebend verweilen? – Dem alten Mönchtum erhob sich dieser klagende, bittende Ruf zur Feuerquelle des Heiligen Geistes, Dante schimmerte im Auge der Geliebten die überirdische Sonne, im Wort der Überlieferung duftete die Rose des Paradieses. – Baudelaire indes, gewahrte er diese Sonne, diesen Duft im Dämmer und Zwielicht unter dem trostlosen Mond seiner künstlichen Paradiese?
Seltsam, das Sonett sieht den Gnadenstrom versiegen und kniet gleichsam am schlammigen, austrocknenden Bett des Unheils nieder; es lechzt nach dem süßen belebenden Tropfen, doch dieser schillert zweideutig zwischen der Tat des Werks und dem Zuspruch der Liebe.
Und seltsamer noch, der Grund der Klage, die aus dem Ennui wie fauler, verderblicher Dunst aufsteigende Leere, ist zugleich aufgehoben und erfüllt von der reinen transparenten Luft des Werks, mit dem eben dieses Gedicht unseren Atem erfrischt.
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