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Bild und Symbol

26.03.2019

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Kinder spielen mit Klötzchen, zunächst einheitlicher Form, dann in unterschiedlichen geometrischen Gestalten wie Kugel und Pyramide, die sie in ein Schema mit genau passenden Hohlformen einfügen sollen. Das Spiel geht 1:1 auf, kein Klötzchen darf übrig bleiben.

Hier paßt eins zum anderen wie die Faust aufs Auge. Ist es ähnlich, wenn du auf meine Frage „Bist du Peter?“, antwortest: „Ja, ich bin Peter!“?

Zunächst messen wir die Umgebung anhand unseres Körpers und unserer Körperteile, wie Haupteslänge, Spanne der Hand, Elle oder Fuß.

Dann prüfen wir die Umgebung mittels Proben, indem wir beispielsweise nach alter Pfadfindermanier den Finger anfeuchten und in die Luft halten, um die Windstärke zu erkunden, oder ein Taschentuch hochhalten, um Stärke und Richtung der Windströmung abzuschätzen. Oder wir blicken nach dem Wetterhahn, dessen einfache Mechanik ihn sich im Winde drehen läßt.

Wir können ähnlich auch die Wasserströmung abschätzen, indem wir die Hand in den Bergbach halten. Oder wir bauen eine kleine Wassermühle aus einem Holzstock, an dem wir vier Flügel befestigen: Je nachdem, wie schnell sich das Ding dreht, ermessen wir die Stärke der Strömung. Das können wir auch auf die Messung der Luftströmung anwenden und erhalten einen mechanischen Luftstrommesser.

Andere Dinge probieren wir, wie einen Apfel, in den wir hineinbeißen, nicht um ihn zu verzehren, sondern zu erkunden, ob er sauer oder süß schmeckt.

Unser Körper, unsere Gliedmaßen, unsere Sinne liefern die primitiven oder elementaren Maßstäbe für unsere Welterkundung.

Die geometrische Form des Klötzchens im Kinderspiel ist ein Bild der entsprechenden Hohlform: Die Kugel paßt genau in die kugelförmige Höhle. Die Antwort paßt in die Hohlform der Frage.

Das Wehen und Flattern des Taschentuchs gibt uns ein Bild von der Windströmung genauso wie das Wasserrad ein Bild von der Wasserströmung.

Das Bild ist in solchen Fällen wirkursächlich mit dem verknüpft, was es abbildet, das Tuch wird vom Wind bewegt, das Flügelrad vom Wasser.

Die Spanne der Hand, der Fuß, die Elle müssen in etwa so starr sein, wie das, was wir mit ihnen messen; das Tuch und das Windrad so beweglich wie die Strömungen, die wir mit ihnen messen.

Nehmen wir an, das Kleinkind meint mit seinem Ausruf „Wauwau“ einen Hund (und nicht alles, was wie ein Vierbeiner ausschaut), so ist das Wort aufgrund der Klangähnlichkeit ein Bild dessen, was es meint. Mit dem ikonischen Maßstab von Tuch und Wasserrad hat es auch gemein, daß es mit dem Gegenstand kausal verflochten ist, denn das Bellen des Hundes ist die Ursache dafür, daß das Kind ihn „Wauwau“ nennt.

Aber ist „Wauwau“ ein Bild des Hundes in dem Sinne wie das Flattern des Taschentuchs ein Bild der Windströmung darstellt?

Das Kind könnte auch meinen: „Sieh mal, ein Hund!“ oder „Sieh mal, auch so ein Hund wie der, den wir heute morgen gesehen haben.“

Wenn das Taschentuch, das wir in die Luft halten, schlaff herunterhängt, sagen wir: „Kein Wind!“

Wenn sich das ins Wasser getauchte Flügelrad nicht dreht, sagen wir: „Keine Strömung!“

Wenn unsere Probe negativ ausfällt, bedeutet das nicht, wir hätten etwas, was fehlt, einen Mangel, gemessen, sondern wir konstatieren den negativen Tatbestand, daß es nichts zu messen gibt.

Das schlaff herabhängende Taschentuch ist kein Bild für den nicht vorhandenen Wind, sondern ein Zeichen für den negativen Tatbestand, daß kein Wind geht.

Für die Negation haben wir kein Bild, sondern das sprachliche Zeichen oder Symbol „kein“ oder „nicht“. Das Fehlen eines Merkmals ist kein Bild für „nichts“.

Ein Bild wie das sich drehende Mühlrad kann zugleich ein Symbol sein (für die Fatalität der Zeit), aber ein Symbol wie das Zeichen „0“ oder „nicht“ ist kein Bild für irgendetwas. Es läßt uns auch nicht mit dem metaphysischen Nichts liebäugeln.

Wir machen die Probe mit der Hand und fühlen, das Wasser ist lau. Wir sehen an den über Nacht erstarrten Eiszapfen, daß es Frost hat. Die Skala auf dem Thermometer ist ein kausal mit dem atmosphärischen Umfeld verknüpftes Bild dafür, wie hoch oder niedrig die Temperatur ist. Aber die symbolische Angabe –15 Grad Celsius ist kein Bild für irgendetwas.

Wenn der Freund beim Abschied mit dem Taschentuch winkt, ist das Flattern des Tuchs kein Bild für den Abschied, sondern ein konventionelles Symbol (es könnte auch als Zeichen beim Wiedersehen dienen).

Das Lächeln kann Bild oder Symbol sein; Bild, wenn es ein unwillkürlicher Ausdruck einer freudigen Gemütsbewegung ist, Symbol, wenn jemand höflich lächelt, der nach dem Weg gefragt wird.

„Wauwau“ ist ein onomatopoetisches Bild, wenn das Kind damit alles bezeichnet, was bellt; aber ein Symbol, wenn es „Hund“ meint.

Ist aber der Satz „Peter stand links von Helga“ ein Bild, weil der Name Peter links vom Namen Helga steht? Er ist ja gleichbedeutend mit dem Satz „Helga stand rechts von Peter“, und hier steht der Ausdruck „rechts“ links.

Metaphern sind symbolisch genommene Bilder.

So sagen wir etwa, sein Herz ist ein Stein, sein Gesicht eine Wüste, seine Zukunft ein ruderloses Boot oder ein Boot mit erschlafften Segeln.

Deshalb können wir aus bildlosen Symbolen wie Zahlen, Mustern, geometrischen Figuren keine Metaphern bilden.

Das bildhafte Element gibt Metaphern eine Ähnlichkeit mit dem symbolisch Gemeinten.

Der Weg ist eine Metapher für unser Leben; in der Tat sind wir unterwegs, von der Schule nach Hause, vom Kino in die Bar, von der Wiege zur Bahre.

Der Pfeil auf der Wanderkarte am Wegesrand ist kein Bild, sondern ein Symbol für unsere Präsenz.

Die Stilkunde ist die Anwendung bildhafter Symbole auf sprachliche Phänomene; so sagen wir, einer rede wolkig, verblümt, nebulös; einer schreibe einen harschen, trockenen, dornigen Stil; einer rede mit Engelszungen, einer schreibe mit der Klaue des Satans.

Nichts ist verborgen: Wir fühlen den Wind im Haar; das Wort liegt uns auf der Zunge.

Wir lernen Fahrrad fahren, anfangs wackeln wir noch, dann geht es spielend, manchmal fahren wir freihändig und behalten doch das Gleichgewicht.

Wenn wir das falsche Wort verwenden oder uns in der grammatischen Konstruktion verhaspeln, ist dies, als würden wir beim Fahrradfahren aus dem Tritt geraten.

Die Schwimmhilfen, die man den Kleinen anlegt, damit sie nicht untergehen, gleichen den Korrekturen der Eltern und Lehrer beim Erlernen der Sprache; später werden die Hilfen entbehrlich, und die Kinder schwimmen, ohne darauf zu achten, wie sie die Schwimmbewegungen vollziehen.

Ähnlich den Hilfsrädern am Kinderfahrrad können wir Bilder als Eselsbrücken verwenden, um die Verwendung von Symbolen zu erlernen; so sehen Kinder vielleicht, wie das Wasser in einem Topf abnimmt, weil wir viermal mit einer Schöpfkelle Wasser entnehmen, wenn sie von einer Zahl viermal eine andere Zahl abziehen. Später verschwindet das Bild, und der Symbolgebrauch wird autonom.

Der Gebrauch von Bildern und Symbolen beruht nicht auf Wissen, sondern auf einer Fertigkeit oder einem Können.

Wir können sagen, was wir wissen; wir können gedankenlos und doch routiniert daherreden.

Ein Mitglied einer exotischen Gruppe klatscht am Ende einer Aussage kurz in die Hände; die Hörer nehmen dies als Zeichen der Aufforderung zu tun, was der Satz sagt; dies wird bald zur Gewohnheit und zur Konvention, die von allen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft gepflegt wird.

Der Ethnologe, der ihre Sprache nicht kennt, kann aus dem, was die Leute nach dem durch Klatschen symbolisch herausgehobenen Ausdruck tun, herausfinden, was dieser Ausdruck bedeutet – falls er das Händeklatschen als Symbol des Ausrufezeichens verstanden hat.

Wird Händeklatschen damit zu einer unmißverständlichen Geste oder Regel? Die Leute klatschen weiterhin auch, wenn sie singen oder ihren Zuspruch signalisieren.

Nicht alle kennen alle Bilder und Symbole; die Schamanen jener Gruppe beispielsweise verwenden solche, die nur Eingeweihten oder den Göttern, an die sie sie richten, verständlich sind.

Anfangs sind die bildhaften Zeichen wie die Hieroglyphen verkürzte Abbildungen von Dingen; ähnlich unserem Gebrauch des nach oben und unten zeigenden Pfeils für Mann und Frau. Dann verlieren die sprachlichen Zeichen ihren ikonischen Bezug; schließlich haben Wörter wie „das Kind“, „das Weib“, „das Pferd“, „die Sonne“ oder „der Mond“ nur noch ein rein grammatisches Geschlecht, das mit dem natürlichen zu verwechseln, zu kontaminieren und zu vergleichen Zeugnis eines verrohten Sprachgefühls ist.

Wer wähnt, alle mit generischen Worttypen wie „der Student“, „der Patient“ oder „der Dozent“ Gemeinten müßten einen männliches Glied haben, leidet unter Phallophobie.

Diejenigen, die den Bestand generischer Begriffe mit grammatisch männlichem Geschlecht mit fliegenden Besen auskratzen und mit ätzenden Laugen reinigen wollen, betreiben einen sprachlichen Ikonoklasmus, der oftmals dem perversen Ingrimm der religiösen Bilderstürmen das Wasser oder vielmehr das Feuer reichen kann.

Bisweilen schimmert die Aura altehrwürdiger Allegorien, gleich Bildnissen weiblicher Gottheiten und Gestalten, wie fides, pietas, dignitas, gravitas, aber auch voluptas oder sapientia und stultitia, noch um unsere Begriffe von Treue, Frömmigkeit, Würde, Wollust oder Weisheit und Torheit. Sie erklommen in der gotischen Ikonologie als weibliche Figuren von Tugenden und Lastern die Torbögen der Kathedralen oder taten in Büchern wie der Trostschrift des Boethius oder der satirischen des Erasmus ihren holden oder frechen Mund auf.

Das Bild vom Symbol nicht reinlich zu scheiden, diese verzeihliche Schwäche steht am Anfang einer begrifflichen Verwirrung, die zu manchen Knäueln und Knoten ausartete, die man philosophische Probleme nannte.

So ist die Weisheit ja nicht, wie schon die Bücher der Hebräer suggerieren, ein guter Engel, der sich so Gott will huldreich den auf dem Lebensweg Verirrten zuneigt und ihnen das Licht der Orientierung aufsteckt, sondern eine gewisse Disposition oder Neigung, in schwierigen Lagen innezuhalten, seine Bestände zu sichten, sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen, kurz, mit Bedacht zu Werke zu gehen.

Wir entwirren die Knäuel und lösen die Knoten, indem wir die zum allegorischen Bild erstarrten Substantive auf Adverbien zurückführen, die eine Art und Weise beschreiben, wie zu reden und zu handeln sei.

Das zu einem beträchtlichen Teil zerstörte Bild eines Mosaiks können wir ergänzen und vervollständigen. Das Symbol, dessen Lebens- und Zeichenzusammenhang verlorengegangen ist, bleibt uns unzugänglich.

Die unseren Sinnen unmittelbar gegenwärtigen Dinge wie Wasser, Feuer, Erde, Pflanzen und Tiere können wir malen und zeichnen. Die unseren Sinnen nur indirekt und bloß in ihren Wirkungen zugänglichen Dinge wie die Luft oder die Gedanken der Mitmenschen können wir nur in Bildern von eben diesen Wirkungen erfassen wie im Schaum der vom Wind gepeitschten Wellen oder im Lächeln des Freundes, den wir mit einem Blumenstrauß überrascht haben.

Nichts ist verborgen. Denn wenn der Freund sagt: „Lieben Dank, ich freue mich!“, erfahren wir, was er fühlt, was er denkt, wenn auch auf rein symbolischer Ebene.

Die Gedanken sind nicht frei, sondern an ihren symbolischen Ausdruck und all die Konventionen gebunden, die sie deutlich, offenkundig, sichtbar machen – oder verhüllen.

Auch die verborgenen, unausgesprochenen Gedanken sind physiognomisch und symbolisch sichtbar; der treulose Liebhaber, der seine Freundin mit einem Blumenstrauß abspeist, sieht ihren gesenkten Blick und ahnt, was sie sich dabei denkt.

Wie man sprechen, wie man leben soll, kann man nicht einem Regelwerk sprachlicher oder moralischer Vorschriften entnehmen.

Waage und Schwert: urtümliche Bilder des Rechts, die als allegorische Gerätschaften aus dem sprachlichen Fluß von Redewendungen auftauchen wie „do ut des“, „mit gleicher Münze vergelten“, „quod licet Jovi non licet bovi“ oder „Mein ist die Rache, spricht der Herr.“

Wenn man Glück hat, kann man sich einer charismatischen Autorität unterwerfen und ihrem inspirierten Wort nachreden, ihrem schlichten Handeln nachleben. Welcher? Sache der Fügung.

Das strenge Denken benutzt die Bilder wie ein Akrobat die Schaukel oder ein Hochseiltänzer die Tarierstange; er springt von ihnen ab, sie verleihen ihm Gleichgewicht.

Die Grammatik jener unscheinbaren Wörter, Konjunktionen und Partikel wie „und“, „oder“, „nicht“, „dieser“, „jeder“ oder „denn“, „als“, „obwohl“, „weil“ oder „indes“, „aber, „freilich“ kommt ganz ohne ikonische und mentale Bilder aus; sie bildet die Angeln, in denen die Tür der möglichst klaren und präzisen Aussage schwingt.

Wenn der sprachliche Ausdruck mit der symbolischen Form des Gedankens verschmilzt, ist alles gesagt, bleibt nichts mehr zu sagen.

Was am sprachlichen (und künstlerischen) Ausdruck wie zu dick aufgetragener Putz übersteht, muß man wegschlagen.

Wer das Glück hat wie das Moos am feuchten Grund der Quelle zu leben und zu gedeihen, darf schweigen und dunkel werden wie das Moos. Die anderen, die verkrüppelten, reden und reden, die einen, um der Quelle zu gedenken, die anderen, sie zu verfluchen.

Physiognomien, janusköpfig: der Hymniker und Elegiker, der Satiriker und Kritiker.

Das Denken, das ins Schweigen mündete, kann in leichtem Plauderton lächeln.

Zeichen der Unreife: mitreden wollen.

Wie wir den unsichtbaren Wind im Spiegel des wirbelnden Staubs und der rauschenden Blätter sehen, zeigt sich uns die unsichtbare Zeit im Wandern der Schatten.

Mithilfe des Konjunktivs können wir Modelle möglicher und irrealer Ereignisse bilden. Die Person, von der wir reden, wenn wir uns selbst in ein Modell möglicher oder irrealer Ereignisse projizieren, können wir nicht im Spiegel sehen. Ja, wir könnten unser Bild im Spiegel nicht als das eigene erkennen, wie es der Philosoph Ernst Mach berichtet.

Die Verwendung der Personalpronomen kann sich auf Erinnerungsbilder stützen, aber bedarf ihrer nicht.

 

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