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Beiseite gesprochen

30.10.2019

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Komödianten des Elends, die mit dem Glanz ihrer Wunden prunken.

Manche stehen mit langem Gesicht am Bühnenrand, kurz bevor der Vorhang fällt, sie haben sich einen tosenden Applaus erwartet, auch wenn es nur eine stumme Rolle war, die sie spielten.

Es genügt nicht, Talent zu haben, es muß zum Trieb werden, damit es keimt und aufblüht, sich entfaltet und endlich mit einem unverwechselbaren Duft bezaubert.

Die im Spiegel der anderen leben, erlöschen, sobald er beschlägt.

Man kann den Charakter eines Menschen im Dunkeln erraten – an seiner Stimme.

Manche Gedichte sind wie feines Gras, vom Windhauch beschrieben.

Manche wie Dorngestrüpp, woran am frühen Morgen Tropfen glimmen.

Andere wie Kerzen, die bei jedem leisen Luftzug flackern, daß man Angst bekommt, jetzt gingen sie aus.

Wieder andere sind wie zu dicht gestopfte Pfeifen, man hält die Lunte daran und zieht und zieht, aber sie wollen nicht angehen.

Die Anmut der schlichten Geste: das Pflücken des Apfels, der Birne, der Blume, das Brotschneiden, das Winken mit der Hand oder dem Taschentuch, das Entzünden des Grablichts, das Zögern auf der Schwelle, der Willkommens- und Abschiedsgruß, das Blumengießen, der leise Kuß auf die Stirn, das Niederdrücken der Lider eines Toten.

Der Sämann weiß nicht, wohin die Samen fallen, der Dichter nicht, ob die Worte aufgehen.

Kastraten, die Aphrodite als Flittchen schmähen.

Schürzenjäger, die ihre Mutter vergöttern.

Kritiker sind wie Spielverderber, und Spielverderber wie Fliegen auf der Geburtstagstorte.

Farbenblinde Maler, die dem Zeitalter des Trübsinns und der Dämmerung als wahre Zeugen gelten.

Taube Komponisten, die in den Zeiten des großen Lärms als einzige die kosmischen Harmonien vernehmen.

Kleine Kuß-Teufel, die ihren und seinen Mund immer zur Seite biegen.

Er war so empfindsam geworden, daß er Blumen als Geschenke verschmähte, um sie nicht welken sehen zu müssen.

Er las sich sein Lebtag durch seine riesige Bibliothek, die aus Abteilungen mit Werken verschiedener Sprachen bestand, bis er im Alter vergessen hatte, welches seine Muttersprache war.

Natürlich kann der Pferch der Familie, wie Kafkas Erzählung zeigt, eine Hölle sein; aber sie ist ein Paradies im Vergleich zum bindungslosen und promiskuitiven Nomadendasein.

Die erhabensten Bilder versunkener und in ein goldenes Abendlicht heraufbeschworener antiker Stätten entstammen der Feder deutscher Dichter, die das Mittelmeer nie mit eigenen Augen gesehen haben.

Den Mißmutigen stört die Mücke an der Wind. Der Paranoide glaubt sich von ihr beobachtet. Der Lebensfrohe öffnet das Fenster und sie schwirrt hinaus.

Die ernsten Gesichter der großen Dichter des Fin de Siècle in ihren Maßanzügen, Hofmannsthal, George, und dann kommt Brecht in seiner Joppe daher, im schiefen Maul den Stumpen.

Wir suchen oder bauen, ersinnen oder erträumen, wie es der Dichter Giovanni Pascoli ausdrückt, immer ein Nest, das es wie die Haut unsere Eingeweide und der Schädel unser Hirn unser Dasein schützend umhülle.

Doch der Feind ist listig, das Böse ist unbesiegbar, es greift von innen an, während wir heiteren Sinnes aus dem Fenster die lachende Erde betrachten, nagt schon der Wurm im Eingeweide und die Mücke der Angst krabbelt in den Hirnwindungen umher.

Wir sind gemischte Wesen. Ein jedes geht mit seinem Schatten, die einen nennen sich Freigeister und spotten seiner, andere suchen ihn kindisch zu beschwören und zu beschwatzen, daß er sie freigebe und verlasse, wieder andere haben den Kampf aufgegeben und ziehen sich in einen Winkel der Nacht zurück, und die ganz Schlauen finden glücklich die Stelle des blendenden Mittags, wo die Sonne im Zenit steht, doch sogleich wieder wachsen die Schatten.

Verließe man sich auf die Vernunft des Leibes, könnte man manchen Dachschaden vermeiden oder beheben.

Der alternde Körper, der nach wenigen Schritten Atem holt, aber dabei gerne in das Blau des Himmels gafft, giert nicht danach, seine Runzeln und Falten bei athletischen oder erotischen Schaukämpfen zu entblößen, geschweige denn danach, ewig zu leben; denn das hieße, wie jener mythische Tor immer weiter zu schrumpfen und zu zerknüllen, bis ein Fliegendreck bliebe, den der erste frische Morgenwind auseinanderstiebt.

Nein, eine höhere Gerechtigkeit ist nicht in Sicht. Es ist der trübe, alles verdüsternde Gedanke des schwachen, kränkelnden und vor den Kopf gestoßenen Rangniederen an eine jenseitige Rache für erlittenes Unrecht, physisches und moralisches Leid eben jener Hinkefuß, auf dem die strengen religiösen Lehren nicht geradestehen und weswegen ihre Anhänger nicht mit einem sanften oder ironischen Lächeln vom Leben Abschied nehmen können.

Immer schwingt, was wir Seele nennen, im leiblichen Ausdruck mit, im Tonfall der Rede, in der Anmut oder Plumpheit des Schritts, im trüben oder irisierenden Glanz der Augen.

Der geht, als habe er eine Last von Scheiten zu tragen, der, als schiebe der Windhauch ihn an.

Mit Woyzeck kommt der Typus des gehetzten, besessenen, verrückten Triebtäters auf die Bühne; mittlerweile hat er den durch Schmerzen geläuterten Geist einer Iphigenie oder eines Lear, den sich aus Intrigen der Gesellschaft und den Schlingen der Liebe schwermütig lösenden Charakter des Schwierigen fast gänzlich verdrängt.

Büchners Woyzeck kann man leicht vulgarisieren, Iphigenie, Lear und den Schwierigen kaum.

Man müßte die Theater und Ausstellungen für Gegenwartskunst für dreißig Jahre dicht machen, um dann mit einer neuen Generation neu zu beginnen.

Warum soll ich unbedingt wissen, welche Völker sich im wilden Kurdistan die Köpfe einschlagen, ja anhand bluttriefender Bilder unmittelbar mich daran delektieren?

Der große Geist verehrt in den Ordnungen der Natur und der Sprache seine eigene geheimnisvolle Herkunft und Bestimmung. Er vermag bei sich selbst zu bleiben, wie Seneca sagt, und wohin immer es ihn verschlägt, zu Hause zu sein.

Die Elenden aber halten es nicht bei sich aus, zurecht, möchte man sagen, und suchen Reize, Gifte, exotische Ausblicke, um sich zu vergessen.

So auch die Lektüre der meisten; sie ist ihnen der Ausschank am Wegesrand, ob von erlesenen Weinen oder billigem Fusel, doch der Wirt ist der alte Gevatter mit dem höhnischen Grinsen.

Alle streben nach Lust, nach Tugend, nach Wissen; das sind törichte Sätze, so wie es töricht ist, alles über einen Kamm scheren, alles auf ein Prinzip zurückführen zu wollen.

Wenn wir Sätze dieser Art als Hypothesen nehmen, vernichten sie sich selbst im Regreß auf weitere prinzipielle Annahmen.

Die einen legen sich aufs Ohr, wenn Müdigkeit sie übermannt, die anderen kämpfen dagegen an, weil sie eine wichtige Aufgabe zu erfüllen haben. Die einen greifen hemmungslos nach Kuchen und verschlingen beim ersten Hungergefühl Würste und Knödel, die anderen fasten, um den Geist spartanisch zu stählen oder asketisch zur Andacht zu beflügeln.

Ach, der Schlemmer und Fresser rührt heute die Würste nicht an? Nein, er handelt nicht aus der besseren Einsicht, daß der von faulen Dünsten nicht behelligte Geist klarer sieht; er hat sich den Magen verdorben, morgen wird er wieder zulangen.

Wir handeln meist nicht aufgrund besserer Einsicht oder gewichtiger Argumente. Der immer gähnende Faulpelz rafft sich plötzlich zu asketischen Nachtwachen auf? Sein neuer Freund ist Anhänger einer strengen Glaubensgemeinschaft und ihn will er beeindrucken.

Wir bewohnen keine Seele und kein Bewußtsein, keine Innenwelt, sondern sind gleichsam draußen, in den primitiven Regungen des Leibes, wenn uns heiß wird und Schweißperlen von der Stirne rinnen, ja in der lauen Frühlingsluft, die sanft über unsere Haut streicht. Wir sind gleichsam, was wir sagen, und unsere Äußerung schreiben wir keiner vom Sprechakt losgelösten Instanz der Selbstrepräsentation zu, vielmehr sind unsere Wort als Fleisch von unserem Fleisch beglaubigt, weil unser Gesprächspartner auf sie eingeht, sie ernstnimmt oder maßregelt.

Die Berührung der einen Hand wiegt leicht wie ein Schatten, bei der Berührung der anderen zuckst du zusammen oder es überlaufen dich Schauer.

Kinder fragen Sachen wie: Wo sind die Winde, wenn sie nicht wehen? Vielleicht im Sack des Aiolos. Philosophen fragen: Wo ist das Subjekt, wenn es schläft?

Plötzlich riß die Wolkendecke auf und das heiterste Blau wurde sichtbar. Plötzlich wurde ihr Gesicht von der milden Sonne beschienen und sie lächelte.

Als fühlende Wesen sind wir unschuldig, denn in den Horizont der Gefühle treten wir wie aus einem dämmerigen Wald auf eine Lichtung. Erst wenn wir in den zweideutigen Zustand einer Person mit der Fähigkeit gelangen, etwas von uns zu halten, beginnt das Maskenspiel oder die Komödie, und mit der Unschuld hat es ein Ende.

Wir werden zu einer lächerlichen Figur, wenn wir mehr von uns halten als uns zusteht, zu einer tragikomischen, wenn weniger.

Er dünkt sich einen geistreichen Kopf, aber es sind, was er abspult, nur breitgetretene Phrasen. – Er hält sich für einen großartigen Liebhaber, aber Frau und Geliebte, heimlich verbündet, zerreißen sich hinter seinem Rücken die Mäuler. – Der alte Herr wird im Alter sentimental und plaudert mit seinem Diener auf Augenhöhe. – Hier bekäme der Diener in der klassischen Komödie seinen Einsatz, um sich ironisch über die Altersschrullen seines Herrn auszulassen, und dies mittels Beiseitesprechen Richtung Publikum.

Er hat mit Kompositionen wunderlich versponnener Quartette sein Talent bewiesen, aber tritt auf der Party vor dem Salonlöwen und Homme à femmes zurück, der seine schnulzigen Kadenzen auf die Tasten schmiert. – Sie fühlt sich zu dem jüngeren Mann hingezogen und ihm geistesverwandt, aber vor der hübschen, ungeniert vor sich hin schwadronierenden Rivalin, die ihm das Wasser nicht reichen kann, weicht sie resigniert zurück. – Hier würde in der alten Komödie die Zofe beiseite sprechen, und zwar mit gepfefferter Rede.

Der schwermütige Denker macht es mit sich selber ab, blickt als eigener Knappe und Diener hinter die Maske seines erhöhten Ego, um wie in der Commedia dell’arte hinter vorgehaltener Hand sich selbst als beinahe schon eingeschlafenes Publikum mit ironischen Sticheleien über seinen tragikomischen Auftritt noch einmal für eine letzte Lachsalve aufzuwecken.

 

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