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Beim Wort genommen

04.08.2023

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Talmiglanz – den wurmstichigen Apfel mit Goldflitter umwickeln. – Manche mit der gehörigen Chuzpe machen damit gute Geschäfte, sowohl auf finanziellem wie ideologischem Gebiet.

Aureole um eine dämonische Fratze.

Das Charisma kann in Fäulnis übergehen, wie am gegenwärtigen Zustand der Kirche ablesbar.

Fatal ist, das Leuchten der Aureole mit dem schwitzigen Glimmen um die heißen Schläfen von Weltuntergangspriestern zu verwechseln.

Die Aureole bringt den Erwählten ans Marterholz, das Fäulnisglimmen seiner Phrasen den falschen Propheten zu Ruhm und klingelnder Münze.

Als funkelte der Edelstein des Wahren im Scheinwerferlicht der Propaganda.

Faszination, die vom schimmernden Grünspan der Phrase ausgeht.

Existenz ist kein Prädikat – und am wenigsten eine Metapher.

Die logische Strenge des Denkens beruht auf der Einsicht in den nichtmetaphorischen Sinn der Ausdrücke „wahr“ und „falsch“.

Es gibt bildliche Ausdrücke und Figuren, es gibt Metaphern, aber keine metaphorische Art zu existieren. – Der metaphorische Ausdruck „Heilige Nacht“ setzt allerdings die Realität der Nacht voraus, in welcher der Erlöser geboren wurde.

Man kann nicht alle Rede auf metaphorischen Sprachgebrauch, und sei er ins Vorbewußte verblaßt, zurückführen, wie Herder und Nietzsche wohl angenommen haben.

Von Horaz zu sagen, daß er ein Dichter des augusteischen Zeitalters war, heißt zu behaupten, jemand habe zur Zeit des Augustus die uns überlieferten vier Odenbücher verfaßt, und dieser Mann habe Horaz geheißen. Existenz ist an die Identität dessen gebunden, dem wir sie mittels Formen der Identifikation zusprechen.

Von Achill zu sagen, daß er im trojanischen Krieg Hektor getötet hat, heißt nicht zu behaupten, es habe einen trojanischen Krieg gegeben und in diesem habe ein Mann Hektor getötet und dieser Mann habe Achill geheißen. Denn für eine solche Identifikation können wir uns auf kein historisches Zeugnis stützen, sondern nur eine mythische Erzählung nacherzählen.

Der physische Durst wird durch Wasser gestillt; der metaphysische durch das Blut Christi. Weder unsere Alltagssprache noch die heilige Sprache hat Metaphern zur Basis. Denn gemäß der Lehre von den Sakramenten und dem Dogma der Transsubstantiation ist auch die Rede vom Blut Christi wörtlich zu nehmen.

Der Unterschied zwischen Mythos und christlichem Glauben läßt sich am Unterschied des metaphorischen und wörtlichen Sprachgebrauchs verdeutlichen: Die antiken Heroen wie Herakles und die Dioskuren werden ins Licht des Olympos oder zu den Sternen erhoben; doch verlieren Personen ihre Identität, wenn sich ihr Körper in andere Medien auflöst oder transformiert. Der Apostel Thomas berührt die Wunde Christi und bezeugt damit den wörtlichen Sinn der leiblichen Auferstehung.

Die Metzgereiverkäuferin reicht dem Kunden die gewünschte Ware; dieser physische Akt ist überlagert von einem rechtlich-sozialen derart, daß die ausgehändigte Ware gewissen vertraglich bindenden Qualitätskriterien zu entsprechen und der Käufer sie durch eine vertraglich festgelegte Gegenleistung, die bestimmte Summe Geldes, zu quittieren hat. Reklamiert der Käufer die Ware aufgrund der Tatsache, daß er statt Würstchen zu Hause Buletten aus der Tüte kramt, kann die Verkäuferin nicht wie Kinder, die ihre Rollenspiele in einem fiktiven Kaufladen treiben, auf eine metaphorische Ebene ausweichen und beispielsweise behaupten, sie spiele heute zum ersten Mal die Rolle der Verkäuferin und sei darin noch nicht geübt.

Nichtmetaphorisch drücken wir aus, was und wer wir sind oder sein sollen; die Mutter, die ihre Kinder sträflich vernachlässigte, hat nicht die Rolle der Mutter schlecht gespielt, sondern als Mutter versagt.

Der Bräutigam hat sein Jawort vor Zeugen gegeben; damit sind der Sprechakt des Eheversprechens und der Rechtsakt des Ehevertrags gültig. Er kann ihn am nächsten Tag nicht etwa mit der Behauptung zurücknehmen, er habe zwar ja gesagt, aber nein gemeint; mündliche vertragliche Vereinbarungen sind solche, bei denen wir die Kontrahenten beim Wort nehmen.

Wenn Augustus in seinem Tatenbericht, wie das Monumentum Ancyranum dokumentiert, von sich behauptet, er habe diese und jene Tat veranlaßt, etwa den Apollontempel auf dem Palatin errichten oder die Flügel des Janusbogens schließen lassen, können wir die Behauptungen beispielsweise aufgrund archäologischer Funde überprüfen. – Dichterische Aussagen, wie die Äußerungen des lyrischen Ich, haben einen anderen ontologischen Stellenwert und Rang; sie lassen sich nicht extern anhand von neutralen Zeugnissen in ihrem Sinngehalt verifizieren, sondern nur hinsichtlich der Stimmigkeit und Kohärenz mit der näheren und ferneren internen Textumgebung einordnen; sind diese Stimmigkeit und Kohärenz absichtsvoll unterbrochen, kann die Aussage eine gewisse Steigerung ins Hyberbolische oder Groteske erzeugen.

Wenn das Ich in der Ode des Horaz (Carmina 3, 4) von sich behauptet, es habe sich als Kind aus der Hut der Amme in die nahen Auwälder davongeschlichen, sei dort in bukolischer Umgebung eingeschlummert und von Tauben mit Lorbeerzweigen bedeckt worden, handelt es sich um den metaphorischen Sprachgebrauch eines imaginären Subjekts zum Ausdruck seiner imaginären Dichterweihe durch die Musen, auch wenn seine Suggestion so stark ist, daß wir der Versuchung, dieses Subjekt mit dem historischen Horaz unmittelbar zu identifizieren, kaum widerstehen können.

Die Bedeutung eines Namens ist nichts, was sich der Sprecher dabei denkt; sonst wäre die Äußerung „Horaz war ein Dichter des augusteischen Zeitalters“ falsch, wenn der Sprecher glaubt, Augustus habe im 1. Jahrhundert nach Christus residiert. – Vielmehr bleibt der Satz richtig, auch wenn er vom automatischen Schreibprogramm einer KI erzeugt und verlautbart wird, die sich weder bei seiner Erzeugung noch seiner Kundgabe etwas denkt.

Könnte eine KI den Unterschied zwischen metaphorischem und wörtlichen Sprachgebrauch systematisch erfassen und von Fall zu Fall sinnvoll zur Anwendung bringen?

Gemalte Rosen duften nicht; wir können sie nicht verschenken, nur das Gemälde, das sie darstellt.

Die Blumen des Gedichts können eine arkadische Landschaft evozieren, in der sich der Klang der Flöte des Hirtengottes mit dem Plätschern des Wildbaches mischt, eine mythische Landschaft, in der niemand je war und die dennoch die dichterische Phantasie des Abendlandes mit dem imaginären Duft ihrer Kräuter und dem ebenso imaginären Schein imaginärer Sonnenuntergänge genährt hat.

„Et in Arcadia ego“ ist die Aussage eines imaginären Ich über einen imaginären Ort und eine imaginäre Zeit.

„Ich ging im Walde so für mich hin“ ist auch eine Aussage über den imaginären Wald der dichterischen Sprache, durch den wir nicht wie im echten auf vorgezeichneten und durch Wegmarken gekennzeichneten Pfaden zu einem vorbedachten Ziel gehen, denn wie Goethe weiter sagt: „Und nichts zu suchen, das war mein Sinn.“

„Ach ja, ich vergaß, jetzt ist es bei euch schon Nacht“, sagt jemand, der von Berlin aus mit New York telefoniert. – „Bei dieser Arbeit müssen Sie Nachtschichten in Kauf nehmen.“ – „Der Nachtbus war verspätet.“ – „Die Polizei verfolgte den flüchtigen Täter mit Hilfe eines Nachtsichtgeräts.“ Wir gehen von der wörtlichen Bedeutung als Grundlage alltäglicher Verständigung aus. Dabei wird uns nicht abverlangt, für die verwendeten Begriffe Definitionen zur Hand zu haben; beispielsweise für Nacht: „die Zeit zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang“ oder „die Zeit vom Erscheinen des Abendsterns bis zum Erscheinen des Morgensterns“. Wir gebrauchen den Wortsinn der meisten Ausdrücke intuitiv.

In der Theogonie des Hesiod ist die Nacht eine Gottheit und wie ihre Geschwister Gaia, Tartaros, Eros und Erebos eine spontane Ausgeburt des Chaos. In Homers Ilias ist die Nacht die Mutter des Schlafs und des Todes. Bei Aischylos ist die Nacht die Mutter der Eumeniden, der Moiren und Erinnyen. – Wir finden demnach in mythisch-poetischen Texten den nichtwörtlichen Gebrauch des Ausdrucks Nacht, wenn sie als göttliches Wesen gedacht ist.

Die Personifikation natürlicher Mächte und basaler emotionaler und mentaler Phänomene sowie sittlicher Institutionen wie Erde und Himmel, Tag und Nacht, Fluß und Berg, Meer und Wind, Geburt und Tod, Schlaf und Traum, Freude und Angst, Lust und Scham, Ehe und Freundschaft, Sippe und Stamm, Nation und Staat ist die allegorische Grundlage der antiken Poesie. Dazu müssen wir die Sprache elementarer natürlicher Phänomene einschließlich derjenigen unserer Leiblichkeit ernst und statt sich in unverbindlicher Metaphorik verflüchtigen zu lassen, beim Wort nehmen.

Der gestische und mimische Ausdruck hält dafür Beispiele bereit; die Deixis des Fingers und der Hand will nicht auf den Finger und die Hand aufmerksam machen, sondern auf das Ding oder Geschehen, worauf sie weisen; der verächtliche Gesichtsausdruck weist das zudringliche Ansinnen des Gegenübers ab und ist somit semantisch gehaltvoll, etwa im Sinne der Äußerung: „Dazu bin ich mir zu schade!“

Wir können die „poetische Religion“ und damit Dichtung und Kunst der Antike nur begreifen, wenn wir die Idee der göttlichen Offenbarung weiter fassen, als im biblischen Rahmen vorgeschrieben. Einen Fingerzeig gibt uns die seltsame semantische Tatsache, daß gewisse heilsame oder schadenbringende Mächte von der mythischen Sprache als Kollektiva aufgefaßt werden: die Eumeniden und die Erinnyen, die Moiren und die Keren, die Parzen und die Nornen, die Manen und die Laren.

Wir verspüren ein Unbehagen, wenn wir die Rede vom Lebensfaden, seiner Zuteilung und seines Abschneidens durch die Parzen, nur als metaphorischen Ausdruck für Beginn, Verlauf und Ende der menschlichen Existenz auffassen.

Die Nacht (und all die anderen personifizierten Naturerscheinungen) als Wesen, ja als göttlich-dämonische Wesen zu sehen, aufzufassen, zu empfinden – dies gehört zur Propädeutik der Lehre von der antiken Dichtung und Kunst.

Wir finden in der abendländischen Dichtung zwei bedeutsame Stränge des metaphorischen und symbolischen Gebrauchs des Begriffes Nacht: der dem Mythos entstammende Bildbereich, der Phänomene feindlicher und bedrohlicher Natur wie Unheil, Tod und Verhängnis umfaßt, und den christlichen Sinnhorizont, der mit dem Ausdruck „Heilige Nacht“ für die Zeit der Geburt des Erlösers beschworen wird. Diese Formen der Nachtmetaphorik durchdringen die poetischen Lieder und Anrufe im Verlauf der Heiligen Meßfeier wie der Weihnachts- und der Osternacht und sodann über Luthers großes Übersetzungswerk die weltliche Dichtung bis zu Goethe und Mörike, verdichten sich in der Romantik wie bei Hölderlin, Eichendorff und Novalis („Hymnen an die Nacht“) und erlangen einen letzten Grad der Übersteigerung und Sublimierung im Symbolismus wie bei Mallarmé, George und Trakl.

„Du dunkle Nacht, du dunkles Herz.“ „Du bist in tiefer Mitternacht.“– Gewiß speist sich Trakls „Gesang zur Nacht“ aus der basalen Erfahrung, welche die Menschheit seit Urzeiten mit dem kosmischen Phänomen der Nacht, ihren Gefahren, unheimlichen Gewalten und Abgründen gemacht hat; wie vom Laub der Schatten im verwilderten Garten gespenstische Tropfen des Mondlichts rinnen; wie das Gesträuch im Wind dunkle Omina flüstert; wie auf schwarzen Wellen des Meeres geisterhafte Schäume aufblühen und jäh verschlungen werden; Blitze, die das Grabtuch des Himmels zerreißen; oder wie über dem monotonen Sand der Wüste abertausend funkelnde Nägel in den schwarzen Samt der Leere eingeschlagen zu sein scheinen.

„Das Dunkel löschte mich schweigend aus. Ich ward ein toter Schatten im Tag.“ – Trakl konzentriert die dichterische Beschwörung der Nacht auf die existentielle Erfahrung der Wesenlosigkeit und Verlorenheit menschlichen Daseins unter dem Mond. Alte Bilder mythischer und biblischer Herkunft werden zu diesem Zwecke evoziert; so erscheint die Nacht als verzauberter Garten oder wird als Schmerzensmutter angerufen. – Wir können nicht sagen, die barocke Fülle metaphorischer Bilder der Nacht schwebe hier wolkenhaft an uns vorbei und wir blieben empfindungslos für die brennenden Blutstropfen, die sie auf die Poren der Aufmerksamkeit herabregnet. Wir können nicht sagen, der metaphorische Sprachgebrauch dieser Dichtung bewahre uns davor, sie beim Wort zu nehmen.

„O Nacht, ich bin bereit.“ „O komm, du hohe Zeit.“ Gewiß, nur das gequälte Kaspar-Hauser-Leben eines Depressiven, eines süchtigen Psychopathen und sozial Unbehausten konnte sich ein dichterisches Ich fingieren, das wie dieses die Nacht besingt. Doch verfehlten wir die Deutung, würden wir sie auf das Zeugnis von Psychopathologien und sozialen Stigmatisierungen verengen und vereinseitigen.

Ob die Metaphorik des Monds, die sich von Sappho über Goethe und die Romantiker bis zu Baudelaire, Mallarmé, Verlaine und Trakl zieht, seiner Eroberung durch die technische Zivilisation und seinem Verblassen im Dunstkreis der Metropolen widerstehen wird, können wir nicht voraussagen; möglich, daß dies in der westlichen Hemisphäre bei der zunehmenden Eindämmung und Verschmutzung ihres Überlieferungsstromes durch das Einbringen von zeitgeistigem Müll und den Abwässern aus den Kloaken des Kulturbetriebs der Fall sein wird, in der östlichen könnte sie auf dem Hintergrund der buddhistisch geprägten chinesischen und japanischen Dichtung und Kunst ihre spirituelle Funktion vielleicht aufrechterhalten.

 

Siehe auch:
https://www.youtube.com/watch?v=ljccIdMT4lw

 

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