Aufs Wasser geschrieben
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Dummheit läßt sich nicht belehren, bestenfalls unschädlich machen.
Mitleid ist ein zu diffuses, zu gemischtes Gefühl, als daß man daraus eine klare Weltanschauung destillieren könnte.
Der Entwurzelte kann nicht blühen, nicht Früchte treiben.
Nur das mit Blut und Geist getaufte Wort wird wiedergeboren.
Die von bunter Vielfalt schwadronieren, tragen die graue Einheitsuniform der öffentlichen Meinung.
Die Unfruchtbaren bieten Zukunftsphantasien zu Ramschpreisen feil.
Ob die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne kreist, ist für das Heil der Seele ohne Belang.
Der undurchdringliche Nebel des Geschwätzes. – Man muß aus der Niederung, wo er sich verbreitet, auf dem alten Pilgerpfad des Schweigens emporklimmen, um ins Lichte und Weite blicken zu können.
Fäden des Sinns, die sich verknäuelt haben, einfach abzuschneiden ist keine hellsichtige Form der Hermeneutik.
Leben und Tod, Sinn und Unsinn, Ja und Nein sind absolute Unterschiede; deshalb können wir beispielsweise unser Leben nicht von außen betrachten und dem Unsinn mittels sophistischer Dialektik kein Quentchen Sinn abtrotzen; deshalb sollten wir jenen, dem unser halbherziges Ja galt, unsere Unentschlossenheit nicht mittels Zweideutigkeiten und Hinterhalte büßen lassen.
Die Faulen und die Lauen fliehen vor der Entscheidung. Oder warten ab, bis der Zufall oder die Laune des Schicksals sie ihnen abnimmt.
Die Einebnung der Polarität der Geschlechter kastriert den Mann und sterilisiert die Frau.
Der Zion von Jerusalem, die Akropolis von Athen, die Sieben Hügel Roms – diese spirituellen und kulturellen Gipfel wurden, welche Paradoxie, von den verweichlicht-zarten Händen geistiger Perversion und sittlicher Niedertracht eingeebnet.
Ihre Knie sind versteift, sie können sich vor keinem Höheren mehr beugen.
Autorität gilt für Anmaßung, Schönheit für eine Form von Beleidigung, Genie für eine raffiniert kaschierte Neurose.
Wer den Knoten des Gedankens aufgelöst hat, zieht sich hinter die Anonymität der Alltagsrede zurück; oder schweigt.
Die Blüte des dichterischen Worts – soll sie etwa auf dem brackigen Abwasserkanal dahintreiben?
Der ungeheure Druck, der den dunklen Kohlenstoff in leuchtende Diamanten verwandelt hat.
Der Druck auf der Seele des Dichters.
„Die Studierenden schliefen in einem großen Saal.“ – „Im Orchestergraben fand man nach der Premiere einen toten Musizierenden.“ Die Genderkretins wissen buchstäblich nicht mehr, was sie sagen.
Der Kult ist entleert, die Kirche zu einem Jahrmarkt des sozialen Ablaßhandels verkommen.
Strenggläubige können sich nicht um einen runden Tisch versammeln, auf dem das Wort in Krümel von Geschwätz zerbrochen wird.
Wir sprechen von Sitte und Unsitte, gelungener und mißlungener Form (der Rede, der Dichtung, der Kunst), von edel und gemein, von Mann und Frau – und warum? Weil es unsere Ahnen schon so zu tun pflegten; das genügt als Begründung.
Sie sind müde, erschöpft, von Erinnerungen zerquält oder dumpf und erinnerungslos; sie wollen keine eigentümliche Sprache und Kultur mehr haben, sie wollen nicht länger ein Volk, eine Nation sein. – Herder bezeichnete Völker und Nationen als Gedanken Gottes.
Mens sana in corpore sano. – Mens sana in corpore aegro. – Mens aegra in corpore sano.
Wir kennen den hellen, scharfsinnigen, geistvollen, witzigen Kopf auf einem schwachen, kränkelnden, verkrüppelten Leib (Pascal, Kierkegaard, Lichtenberg). – Gehört nicht selbst Nietzsche, der Sokrates um seiner Häßlichkeit willen verachtete, aufgrund seiner ewigen Migräne, seiner Gynophobie, ja seiner schließlichen Umnachtung in diese heroische Linie?
Wir sprechen von grausamen, blutrünstigen, barbarischen Taten; und doch ist das moralische Urteil nicht immer evident: Das Kulturvolk der Römer brachte den feinsinnigen Dichter der Bucolica hervor und ergötzte sich an den blutigen Spielen der Gladiatoren, der abertausend Kreuzigungen nicht zu gedenken, geschweige denn derjenigen, die zum Inbild des christlichen Abendlandes bestimmt war.
Der Geist kann nicht als Gefäß oder Apparat vorgestellt werden, in dem die Wahrnehmungen, Eindrücke, Empfindungen aufgefangen und verarbeitet werden, die wir haben. Wer sind dann wir, die in diesem Gefäß nicht vorkommen?
Der Naturalist, der Nihilist, der Zyniker, der über den Engel des Herrn, der den Hirten erschien, oder den Engel Rilkes die Nase rümpft, versteht den Geist nicht, der jene Schriften beseelt.
Der Ernüchterte ändert seine Meinung nicht, sondern gibt sie auf.
Jemandem vertrauen, der eine bessere Welt verspricht, heißt dem eigenen Verstand zu mißtrauen.
Ich sagen, ohne zu wissen, wer man ist.
Drei Propheten, Nietzsche, Wagner, George, die einen neuen Glauben verkünden wollten; doch die Flamme rußte, der Gral fand keinen Altar, das Neue Reich ging im Dritten unter.
Die Dummheit der neuen Chiliasten, die den Weltuntergang beschwören, aber nicht wahrhaben wollen, daß ihr Sein und Tun und Schwadronieren ihn allererst ausmacht, ja verkörpert.
Welch ein kultureller Niedergang bekundet sich in dem Umstand, daß die Urfassung der „Zauberflöte“ auf Geheiß der Sittenpolizei nicht mehr aufgeführt wird, weil darin ein gewisser Neger namens Monostatos seine Liebessehnsucht nach einer Schönen besingt, die er schön nennt, weil sie weiß ist, wie sich selbst häßlich, weil er schwarz ist.
Das fatale Erbe der Geschichtsphilosophie, die den Kairos, den erfüllten Augenblick, der die historische Kontinuität sprengt, durch den Glauben an den moralischen und technischen Fortschritt ersetzt. – „Fortschritt“ von der Guillotine zur Gaskammer.
„Gott ist tot!“ – „Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt!“ – Ausdruck hysterischer Gedanken. Auch wenn er nicht die Bohne an Gott glaubt, erlaubt sich der gute Sportler kein Foul, nicht einmal, wenn es unbemerkt bliebe. Die treue Seele hält ihr Versprechen, auch wenn sie nicht glaubt, sie werde von höherer Warte aus beobachtet und ihre Missetat ins Sündenregister eingetragen.
Würden all unsere Wünsche auf magische Weise unmittelbar erfüllt, lebten die meisten nicht mehr.
Unerfüllbare Wünsche, wie daß die durch den Tod getrennten Liebenden im Schattenreich einander wiederfinden, sind die Quellen der höheren Dichtung; magische Objekte – der unversiegliche Kelch, die unverwelkliche Rose, der Kristall gewordene Schmerz – ihre semantischen Idole.
Mit dem Hammer kann man einen Schädel zertrümmern, nicht aber den subtilen Innervationen und Verästelungen des Gedankens nachfühlen.
Von jenem, der mit dem Hammer philosophierte, blieben nichts als weithin verstreute Scherben, die bisweilen im Dunkel zu schimmern beginnen.
Unverdorbene Kinder jubeln, wenn in Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“ die Hexe in den glühenden Ofen gestoßen und verbrannt wird und die beiden Gefangenen endlich frei und wieder vereint sind; moralin-verdorbene Zeitgeistpädagogen erheben Einspruch gegen diese unerträgliche Zumutung an Grausamkeit.
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