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Die Dinge erscheinen uns so, wie sie sind

29.07.2016

oder warum es kein Rätsel des Bewußtseins gibt

Es gibt eine interne Beziehung zwischen der Eigenschaft eines Dinges F und der Art und Weise, wie diese Eigenschaft in einem individuellen Bewußtsein die Eigenschaft Fʼ hervorruft, nämlich die Eigenschaft F wahrzunehmen.

Die Notwendigkeit oder der intrinsische Charakter dieser Relation zeigt sich in der Tatsache, daß ein individuelles Bewußtsein F nicht wahrnehmen würde, wenn das Ding mit der Eigenschaft F nicht die Eigenschaft Fʼ oder die Wahrnehmung von F in eben diesem individuellen Bewußtsein hervorrufen würde.

Wenn wir die Menge aller Dinge mit den Eigenschaften F1–n, die Eigenschaften Fʼ1–n in je einem individuellen Bewußtsein hervorzurufen, abgekürzt die Welt nennen, gewahren wir den ontologischen Sachverhalt, daß die Eigenschaft der Welt, unter den Aspekten ihrer ontologischen Mannigfaltigkeit zum Erscheinen zu kommen, auf einer internen Relation zwischen dieser unserer Welt und diesem unserem Bewußtsein beruht.

Anders gesagt: Im Lichte der internen Relation zwischen Welt und Bewußtsein enthüllt sich die berühmte Frage, wie in einer Welt ohne Bewußtsein ein Bewußtsein der Welt möglich sein könne, als eine typische philosophische Scheinfrage.

Die Frage ist nicht, inwiefern ein Ereignis in der Welt überhaupt ein Bewußtseinsphänomen hervorruft, sondern genau dieses Ereignis genau dieses Bewußtseinsphänomen hervorzurufen vermag. Die rote Rose sieht eben so aus, wie sie aussieht, weil du genau diese Rotschattierung und keine andere wahrnimmst. Dein bewußtes Seherlebnis ist auf das eigentümliche Rot der Blume fokussiert, weil die spezielle Farbe der intentionale Gehalt deines Seherlebnisses ist.

Hier unterscheiden wir den Vorgang des Sehens als etwas vom Vorgang des Sehens, daß

Du siehst die Kippfigur der Hasen-Ente jetzt als Ente; aber du siehst, daß diese Rose jetzt diese Rotschattierung hat.

Der Umstand, daß unsere Wahrnehmungen intentionalen Charakter haben, berechtigt uns dazu, unsere Wahrnehmungen in Aussagen zu verpacken, die den Typus von Glaubensaussagen oder Aussagen über unsere Überzeugungen nachbilden, die sinnvoll oder sinnlos, wahr oder falsch sein können.

Wir transformieren die simple Wahrnehmungsaussage (WA):

WA: Ich sehe dort jetzt eine Rose mit einer eigentümlichen Rotfärbung

in die Glaubensaussage (GA):

GA: Ich glaube zu sehen, daß sich dort eine Rose mit einer eigentümlichen Rotschattierung befindet.

Worin liegt der wesentliche Unterschied der beiden Aussagetypen? Die Glaubensaussage ist immer wahr – auch wenn es sich um eine Sinnestäuschung oder eine Halluzination handelt. Der Wahrnehmungssatz dagegen impliziert seine Wahrheits- und Erfüllungsbedingung im speziellen intentionalen Charakter des Wahrnehmungsverbs „sehen“, der nicht rein konventioneller oder rein konzeptueller Natur ist.

„sehen“ heißt nicht „etwas zu sehen glauben“, denn etwas zu sehen glauben kann der intentionale Gehalt einer wahren Überzeugung sein, auch wenn es sich um eine Sinnestäuschung oder eine Halluzination handelt.

Sätze über Überzeugungen sind rein konventioneller Natur: Die Bedeutung des Satzes „Dies ist eine Rose mit einer eigentümlichen Rotfärbung“ ist eine Funktion der Bedeutungen der in ihm gebrauchten sprachlichen Ausdrücke, und diese sind Konventionen, denn wir könnten auch auf eine Sprache treffen oder eine Sprache erfinden, in der „Rose“ etwas anders als die Blumensorte bedeutet, die wir damit meinen.

Dagegen sind intentionale Wahrnehmungsverben wie „sehen“, „hören“, „fühlen“, „tasten“, „schmecken“ und „riechen“ nur in einem eingeschränkten Sinn konventioneller Natur, nämlich insofern verschiedene Sprachen verschiedene Wörter für die entsprechenden Wahrnehmungsmodalitäten bereithalten.

Die Eigentümlichkeit der Verben, mit denen wir beschreiben, wie uns die Dinge erscheinen, besteht hingegen in dem Umstand, daß sie ihre Wahrheits- und Erfüllungsbedingungen gleichsam enthalten oder implizieren: Wenn ich behaupte, eine rote Rose zu sehen, und ich unterliege einer Sinnestäuschung, habe ich nicht die Unwahrheit gesagt, sondern etwas Sinnloses geäußert.

Die Behauptung, etwas zu sehen, wenn das, was ich zu sehen behaupte, nicht in meinem Gesichtsfeld liegt, heißt die Erfüllungsbedingung des Wahrnehmungsverbs zu ignorieren, heißt somit, etwas Sinnloses zu sagen.

Die Bedingung der Möglichkeit, unsere Wahrnehmungsverben sinnvoll zu verwenden, liegt einzig in dem Umstand, daß ihr intentionaler Gehalt zugleich das Objekt des Wahrnehmungsvorganges sein muß, das diesen Gehalt kausal bewirkt.

Die Analyse der Wahrnehmungssätze bestätigt den intrinsischen Zusammenhang von Wahrnehmung und Wahrheit, nämlich daß uns die Dinge im Normalfalle so erscheinen, wie sie sind.

In der Tat erfahren und erleben wir die Welt und das Leben einzig so, wie sie uns erscheinen. Aber wenn es die eigentümliche Eigenschaft der Rose ist, uns in eben dieser und keiner anderen Farbschattierung zu erscheinen, weil eben diese Färbung genau diesen Farbeindruck in uns erweckt, tun wir gut daran, unseren Augen und den Sinnen überhaupt im Normal- und Regelfalle zu trauen.

Wie aber kommt es, daß Philosophen nicht eben minderen Ranges oder geringer Prominenz das subjektive Dasein unseres bewußten Erlebens und Lebens unter skeptischen Generalverdacht gestellt und Subjektivität und Bewußtsein sowie die Tatsache, daß uns die Welt nur in ihren Erscheinungen zugänglich ist, als Schatten betrachtet haben, der auf die reine Objektivität falle und sie verdunkele, eine Objektivität, wie sie vorgeblich an den Daten und Fakten der Physik und der anderen von den subjektiven Daseinsbedingungen absehenden Naturwissenschaften bis hin zu Evolutionstheorie und Neurobiologie ungetrübt durch das Irrlichtern des sich an seinen Erscheinungen genügenden Bewußtseins zu ergreifen und zu sichern sei?

Am Ende ist es nichts weiter als mangelnde Analyse der logisch-semantischen Strukturen von Aussagen über Wahrnehmungserlebnisse im Unterschied zu Aussagen über Glaubensüberzeugungen, die den jahrhundertelangen Rattenschwanz einer unproduktiven Bewußtseins- und Wahrnehmungsskepsis hinter sich hergezogen hat.

Das Bewußtsein wäre in der Tat ein Rätsel, wenn sich der Sinn der Welt, um einmal metaphysisch zu reden, einzig im leeren Ansich bewußtloser Ereignisse zeigen und erfüllen würde, wie es eine begrifflich konfuse Philosophie annimmt, die das Pferd von hinten aufzäumt und nicht von den primären Gegebenheiten der Wahrnehmung und ihrer speziellen Semantik ausgeht, sondern von der sogenannten von aller Subjektivität purgierten vorgeblich rein objektiven Realität von Molekülen, Atomen, Genen und Nervenzellen.

Wenn es aber keinen sinnvollen Begriff der Welt geben kann, der die Tatsache außer Acht läßt, daß er nur in den perzeptiven und begrifflichen Welterschließungen eines auf Wahrnehmung geeichten bewußten Daseins explizierbar sein kann, löst sich das sogenannte Rätsel des Bewußtseins in Luft auf – denn eine Welt, wie wir sie einzig verstehen können, eine Welt, wie sie uns im Medium unserer Wahrnehmungserlebnisse einzig zugänglich ist, kann als leeres Ansich bewußtloser Ereignisse nicht einmal vorgestellt und gedacht werden.

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