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Aus den geheimen Aufzeichnungen des Hieronymus Bosch IV

16.02.2016

Übertragen aus dem lateinischen Original

Manchmal verschwimmt das Bild des Geschlechtsaktes in das Bild einer kannibalistischen Orgie.

Die Bosheit entspringt dem Wissen von der Hinfälligkeit der Körper und der Verletzbarkeit der Seele.

Das Unmaß ist das Maß der Welt.

Ich habe die Seele gemalt, wie sie den Körper verwandelt, wie sie den Leib überwächst.

Unter der Hand sprießen dem Menschen Schnurrhaare, wedelt er mit einem Echsenschweif, hüllt er sich in den Panzer der Kröte, blickt eine Fratze aus seinem Hintern.

Sie stellen die Pusteln und Pestbeulen der Bosheit aus wie einen kostbaren Schmuck.

Sie erkennen an der Unschuld und Schönheit des Heilands ihre eigene Verkommenheit und Häßlichkeit. Ihr Drang, ihn zu verhöhnen, zu quälen und zu töten, entspringt dem Haß auf sich selbst.

Den Erlöser zu erkennen und zu bekennen verlangt ihnen das Unmögliche ab: die Eitelkeit des eigenen Seins und die Nichtigkeit des eigenen Fleisches zu erkennen und zu bekennen.

Ihre höchste Form der Begeisterung: Ekstase vor einem Ballen Stroh.

Sie glauben sich gehoben und dünken sich erhaben: Ein fliegender Fisch trägt sie, ein flatternder Auswuchs ihres Geschlechts, ihre zur Libelle verwandelte Ruhmsucht.

Neben dem Seher von Patmos hockt die Versuchung in Gestalt eines krötenhaften bebrillten Gelehrten. Denn die Versuchung des Sehers ist die Eitelkeit, sich als gelehrt und weise vor der Welt aufzublähen, anstatt demütig den Dienst zu vollbringen, das Gesehene und Gehörte festzuhalten.

Du könntest meinen, die Gleichnisse über die verkehrte Welt seien einfach aufzulösen, wie wenn man das Spiegelbild seinerseits spiegelt, um darin die rechte Seite deines Kopfes auf der rechten Hälfte des Spiegels zu sehen. Doch wenn die Leiber der Tiere und Menschen und darüber hinaus die zerbrochenen oder verzerrten Gestalten der natürlichen und künstlichen Dinge, der Früchte und Zweige, der Hörner und Krallen, der Haare und Schuppen, der Panzer und Muscheln, der Krüge und Eierschalen, der Trichter und Messer, der Eimer und Leitern sich in einem obszönen und gewalttätigen Bacchanal miteinander vermischen, ineinander verhaken und verkanten, kannst du keinen entzerrenden Spiegel oder Blick auf diese verkehrte Welt richten, um die ursprünglich gemeinte und gewollte Ordnung wiederzufinden. Es gibt nur das eine Gesicht, das Gesicht des Einen und das Gesicht jener, die seine heiligen Züge ikonenhaft erwidern, das als Erinnerung an den göttlichen Willen in den Dunst der niederen Sphären hinabstrahlt.

Das Ungeheuerliche ist das Alltägliche. Und selbst wenn der stigmatisierte Erlöser auf den Wolken wiederkommt, sie bemerken es nicht, sondern sind blind für das Wunder und treiben es wie eh und je, da sie pfeifen und singen, schlingen und saufen, heucheln und meucheln, betrügen und belügen.

Musik und Gesang, welche die Engel ersannen zur Ehre Gottes, gerät unter ihren Händen zum Höllenlärm. Und die Pfeifen und Saiten durchbohren und zerschneiden ihre Körper und die Mißklänge martern die Seele. Was sie da singen, lesen sie ab von den Pusteln und Furunkeln auf dem Hintern ihrer Weiber, vom Aussatz auf der Stirn ihrer Kinder.

Den zerbrochenen Krug magst du wieder zusammensetzen und leimen, du hast seine ursprüngliche Form vor Augen. Aber von den zersplitterten Teilen der Seele, die rings zerstreut liegen wie abgenagte Gebeine in den Schründen und Klüften der Erde, in den Brunnen und Spundlöchern der Träume, im Gewirre der Zeichen auf den bemoosten Steinen und dem Perlmutt der Muscheln, in den Labyrinthen der Schriften von Sehern und Dichtern, hat keiner die ursprüngliche Gestalt geschaut, wie sie aus dem Atem Gottes emporstieg.

Die Abergläubischen meinen, Hexen hätten ihnen die Suppe versalzen oder ein Teufel ein Bein gestellt. Gläubige wissen, daß diese Erde unter dieser schwarzen Sonne nicht die wahre Speise hervorbringt und diese Körper vom Feuersturm der Hölle in die falsche Richtung getrieben werden.

Der Name Gottes enthält alle Namen wie die Sprache, in der er die Schöpfung hervorrief, alle Sprachen enthält. Doch warum können wir nicht aus unserer Sprache, indem wir sie in die purgatorische Esse der Buße und Erneuerung legen, die göttliche formen? Es ist wie mit den Fratzen und Masken der Menschen, die Spiegel ihrer bösen Wünsche sind: Reißen wir sie ab, erblicken wir die Fratzen und Masken einer tieferen Schicht.

Als schiene das Licht der Erlösung am Ende der Zeiten wie durch ein Rohr, ein Guckloch der Ewigkeit. Ein schlechtes Bild! Viel eher geschieht nichts Merkliches, oder es ist, als schlüge der Wind aus dem geöffneten Fenster ein Blatt im Buch um, als gingest du weiter deines Wegs, der weiche Schatten eines Flügels scheint dich zu heben und das Wissen und die Sorge um das Ziel sind dir entrückt.

Liegt denn die Imago Dei wie das goldene Vlies oder die goldene Maske Agamemnons im Schutt der Geschichte, und darüber ward ausgegossen der Schlamm und Unrat des Menschengeschlechts und darüber zogen Diebesbanden und Mordbuben, jonglierten die Artisten und Gaukler, tändelten die Huren und verrichteten die Schakale und Hunde ihre Notdurft?

Die Ahnung der ewigen Gegenwart ist uns nicht mehr erreichbar mit den Farben der Palette, mit dem Aufreißen der Linie des Horizonts, mit dem Schneelicht der Gipfel. Ich sah den Horizont eingedrückt und verstellt von Segeln und Rauch, die Gipfel Feuer spucken und auf den Bergen die Todeslinien des Schafotts in einen von Schreien und Röcheln verhängten Himmel sich recken.

Nach mir kommt die große Ruhe der Hand eines Meisters, der das gesättigte Sein und den gestillten Augenblick in dem ruhigen Dastehen eines schlichten irdenen Kruges erfaßt.

Nach mir kommt die große Ruhe im Auge eines Meisters, der im Gewirr der Halme, Gräser und Blätter, der im Gedränge der Wolken und im Gefältel des Wassers die unsichtbare Ewigkeit des erfüllten Daseins erfaßt.

Nach mir kommt die große Ruhe der Hand eines Meisters, der die Imago Die im ruhigen Dasein eines Stuhls, eines groben Holzbetts, eines Paars bäurischer Schuhe erfaßt.

Nach mir kommt die große Ruhe im Auge eines Meisters, der die göttliche Einheit von Leid und Erlösung in seinem Selbstbild erfaßt.

Nach mir kommt die große Ruhe der Hand eines Meisters, der die Tiefe und den Abgrund des dunklen Teichs im still gewiegten Dasein der Teichrose erfaßt.

Nach mir kommt die große Ruhe im Auge eines Meisters, der die Leinwand verläßt und mit dem Hauch seines Atems in der Morgenfrühe malt.

Nach mir kommt die große Ruhe der Hand eines Meisters, der den Pinsel ins Gras wirft und die Sujets aufgibt für die Signatur unter das Leben.

Nach mir kommt die große Ruhe im Auge eines Meisters, der von Gott und Teufel und mir nichts mehr weiß und die letzte Signatur unter der leer gebliebenen Leinwand verwischt.

Nach mir kommt die große Ruhe der Hand eines Meisters.

Nach mir kommt die große Ruhe im Auge eines Meisters.

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