Die Grenzen der Welt und die Gelassenheit
Unterwegs zu einer transzendentalen Semantik VII
oder: Warum Roboter kein Schicksal haben
Wenn du in der Welt wie der unsrigen lebst, dann als jemand, der Gedanken über die Inhalte dieser Welt hat, zu der Tatsachen gehören wie die, daß es jetzt regnet oder die Sonne scheint, oder auch die Tatsache, daß du dich gut oder schlecht fühlst. Tatsachen dieser Art sind jene wahren Gedankeninhalte oder wie wir auch gehoben zu reden pflegen intentionalen Gehalte unserer Gedanken, die wir in eben solchen Sätzen ausdrücken wie dem Satz: „Es regnet jetzt“ oder „Mir geht es gut“.
In unserer Welt zu leben heißt, verkörpert zu sein, der Art, daß du auf meinen Zuruf: „Schau doch mal!“ dich umdrehst oder deinen Kopf umwendest, wobei der Inhalt des Satzes: „Ich habe mich umgedreht“ identisch ist mit dem Inhalt des Satzes: „Ich habe meinen Kopf umgewandt“.
Wenn wir dem Roboter den Befehl senden, seine Position so zu modifizieren, daß seine Vorderseite uns zugewandt ist, kann er nicht sagen: „Ich habe mich umgewandt“ oder: „Ich habe meinen Kopf umgewandt“, und wenn er es sagen könnte, könnte er es nicht meinen, auch wenn er ein raffinierter Androide wäre, der so aussähe wie du oder ich, mit einem Kopf, wie ihn du oder ich haben.
Ein Roboter ist nicht Bewohner unserer Welt des Meinens, weil er „mein“ und „dein“ nicht unterscheiden kann. „Mein“ und „dein“ unterscheiden zu können aber ist nur ein anderer Ausdruck dafür, sprechen zu können, und sprechen zu können ist nur ein anderer Ausdruck dafür, sich selbst zuschreiben zu können, was man denkt oder fühlt oder erlebt. Denn könnte ich mir den Inhalt des Gedankens, daß es jetzt regnet, nicht als meinen Gedankeninhalt zuschreiben, könnte ich nicht sagen: „Es regnet jetzt“. Könnte der Roboter aufgrund eines Sprachprogramms den Satz äußern: „Es regnet jetzt“, wüßten wir, daß er nicht meint, was der Satz bedeutet.
Wenn ich sage, daß es regnet, und dann um zu bestätigen, daß dies mein Gedanke ist, hinzufügte: „Ich meine, daß es jetzt regnet“, habe ich natürlich nichts von Bedeutung hinzugefügt, was nicht schon im ursprünglichen Gedanken und Satz enthalten war.
Immer wenn wir feststellen, daß wir einen Gedanken mittels eines Satzes äußern, zu dessen Bestätigung wir nur wieder denselben Satz äußern können, wissen wir, daß wir die Grenze unserer Welt erreicht haben, die transzendentale Grenze dessen, was wir denken und sagen können.
Die Grenze äußert sich auch darin, daß du nur von einem bestimmten Leben als deinem Leben sprechen kannst, wie ich nur von diesem Leben als meinem Leben sprechen kann, du nur von dieser bestimmten Hand als von deiner Hand, ich nur von dieser Hand als meiner Hand.
Wir können dies auch so ausdrücken, daß wir sagen: Nur du kannst dich an das erinnern, was du erlebt hast. Ich kann mich höchstens daran erinnern, daß du mir von deinem Erlebnis erzählt hast. In unserer Welt leben wir so, daß wir uns an das Erlebte, Gesagte und Gedachte erinnern können. Das aber ist nur ein anderer Ausdruck dafür, daß wir in einer Welt leben, in der wir älter werden oder kurz altern. Roboter altern nicht, ihre mechanischen oder Programmteile werden im Laufe der Zeit abgenutzt und mehr und mehr unbrauchbar, sie selbst aber altern nicht, wie wir altern, nicht nur weil unsere Organismen altern, sondern unsere Erinnerungen zunehmen, sich ablagern und wir sie neu beleuchten, gewichten und ordnen. Wir arbeiten uns alternd an unseren Erinnerungen ab, indem wir sie immer wieder neu erzählen und wieder anders erzählen. Roboter altern nicht, weil sie sich nicht in dem Sinne an das Erlebte erinnern, wie wir es tun.
Wir nennen die Tatsache, ein jemeiniges Leben zu führen und führen zu müssen, auch die Tatsache, ein Schicksal zu haben und genau dieses Schicksal zu haben. Wir können das Schicksal, mein Leben und dein Leben zu führen, das Schicksal, du oder ich zu sein, nicht abschütteln und vergessen machen, wir können es uns gegenseitig nicht abnehmen. Denn ich kann nicht dein Leben führen, du kannst nicht mein Leben führen, ich kann nicht du, du kannst nicht ich sein.
Dieses Nichtkönnen bezeichnet keine physische Schranke, sondern ein logisch-semantisches Nichtkönnen.
Natürlich kannst du am Schicksal deines Freundes teilnehmen, ihn ermuntern, wenn er vor großen Herausforderungen steht, ihn trösten, wenn er in Not ist oder ihm ein Unglück zustieß. Aber die Bedingung der Möglichkeit, am Schicksal eines Mitmenschen teilnehmen zu können, ist wiederum die Tatsache, daß wir die transzendentale Grenze bewohnen, auf der dein Freund sein Leben und du dein Leben lebst.
Roboter haben in diesem Sinne kein Schicksal. Roboter können aus demselben Grunde auch nicht am Schicksal ihrer „Mitgeschöpfe“ Anteil nehmen.
Weil wir unser Leben führen müssen, können wir nicht das Leben eines anderen führen. Wer unglücklich ist in seiner Welt und unzufrieden mit seinem Schicksal, er selbst zu sein, kann nicht seinem Schicksal entfliehen und hoffen glücklich zu werden, indem er das Leben eines anderen zu leben gedenkt.
Wir können sagen: „Hätte ich dies und das getan oder dies und das unterlassen, wäre es heute besser um mich bestellt.“ Aber wir können nicht sagen: „Wäre ich ein anderer, wäre es besser um mich bestellt.“
Wir können nur innerhalb der Grenzen unserer Welt gut oder besser oder weniger schlecht leben, wenn wir das Schicksal, der zu sein, der wir sind, gelassen hinnehmen.
Die gelassene Hinnahme der Grenzen unserer Welt verleitet nicht zu Passivität oder Resignation, sondern ermöglicht allererst die tatkräftige und positiv gestimmte Gestaltung des eigenen Daseins. Denn gerade die Kräfte desjenigen, der die Grenzen seiner Welt nicht hinnehmen will, werden in einem leeren und absurden Gestus der Empörung oder Verweigerung gebunden und aufgebraucht.
Wer erklären will, warum die Grenzen unserer Welt so sind, wie sie sind, gleicht jenem Hiob, der sich von falschen Freunden zu einer Erklärung seiner Leiden verführen ließe, als wären sie Strafen für eine mehr oder weniger verborgene Schuld, und nun sich abquälte damit, in seiner Vergangenheit nach Fehlern und Vergehen zu suchen.
Hiob erreichte das menschliche Maß angesichts der Rede, die ihm das unvordenkliche Maß der Schöpfung vor Augen rückt, ein Maß, das unser Können übersteigt.
Philosophen, die erklären, die Grenzen unserer Welt seien kontingent und zufällig, wollen sich und uns weismachen, daß es andere Welten gebe oder geben könnte, in denen diese Grenzen aufgehoben sind oder wären. Aber die wahren Grenzen unserer Welt sind nicht die Grenzen, von denen uns die Naturwissenschaften und ihre Theorien über die Naturgesetze Auskunft geben, es sind vielmehr die logisch-semantischen Grenzen, die uns vom je eigenen Leben reden lassen, die uns nur reden lassen, wenn du von deinem Leben erzählst und ich von meinem Leben, wenn du von deinen Erinnerungen berichtest und ich von den meinen. Außerdem vergessen jene Philosophen dabei, daß wir als die, die hier unser Leben fristen, in diesen grenzenlosen oder anders begrenzten Welten nicht vorkommen können.
Solche Philosophen nehmen an Robotern ein Maß der Existenz, das unserem Maß des Lebens nicht angemessen ist. Freilich existieren Roboter in einer Welt, in der es die Grenzen unserer Welt nicht gibt. Doch diese Form der „Entgrenzung“ büßen sie gleichsam damit, kein Schicksal zu haben und am Schicksal anderer nicht Anteil nehmen zu können, damit, sich nicht erinnern und von ihren Erinnerungen berichten zu können, damit, nicht altern zu können.
Wer annimmt und hinnimmt, was ihm auf seinem Lebensweg begegnet, dem Weg, der in ausgezeichneter Weise sein Weg ist, weil er der einzige Weg ist, den er und nur er geht, ist zugleich in der Lage, etwas geben oder wiedergeben zu können, was nur er geben und wiedergeben kann, weil er es ist, der es gibt. Auch wenn es so schlicht und einfältig daherkommt wie ein Lächeln oder ein Danksagen oder ein Zuruf.
Lassen wir uns den Rat des weisen Dichters sagen:
take
what
comes
give
what
can
nimm an
was
wirklich
gib
was
möglich
(Robert Lax)
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