Jemand sein
Unterwegs zu einer transzendentalen Semantik V
oder: Warum Roboter nicht denken können
Wenn der Gedanke das ist, was der sinnvolle Satz ausdrückt, ist die Bedingung dafür, einen Gedanken wie den Gedanken: „Ich sehe einen gelben runden Gegenstand am Nachthimmel und dieser Gegenstand ist der Mond“ haben zu können, den erwähnten Satz aussprechen zu können. Sprechen zu können wiederum setzt voraus, jemand oder man selbst zu sein.
Jede Sprache und also jeder Gedanke hat zur transzendentalen Voraussetzung, daß es jemanden gibt, der die Sprache spricht und den Gedanken denkt, und daß dieser Sprecher so ist, wie wir sind, nämlich, weiß, daß er spricht und was er spricht, wenn er spricht.
Es ist ein fatales Selbstmißverständnis anzunehmen, es könne eine Sprache geben ohne jemanden, der sie spricht, oder einen Gedanken ohne denjenigen, der ihn denkt.
Der Roboter, den wir mit einem Sprachprogramm gefüttert haben, spricht nicht, wenn ein gelber runder Gegenstand auf dunklem Hintergrund auf seinen visuellen Sensor projiziert und sein akustischer Apparat dazu stimuliert wird, den Satz laut werden zu lassen: „Ich sehe einen gelben runden Gegenstand am Nachthimmel und dieser Gegenstand ist der Mond“, ebensowenig wie der Traum, von dem man annimmt, er funktioniere wie eine Sprache ohne jemanden, der spricht, spricht.
Denken heißt so sprechen können, daß du in einem Satz etwas über etwas aussagst, von dem gilt, daß es entweder das ist, was du ihm zu sein oder zu haben zusprichst, oder das nicht ist.
Denken heißt, das Wahre sagen können und das Unwahre.
Was wir nicht denken können, können wir nicht sagen, und was wir nicht sagen können, können wir nicht denken.
Aber DIESE transzendentale Grenze, daß wir nichts weiter denken und sagen können, als was wir denken und sagen können, können wir denken.
Es ist dieses dieselbe Grenze, die du erreichst, wenn du erkennst, daß die Welt, in der du lebst, deine Welt ist, in demselben Sinne, wie du diese Hand als deine Hand erkennst.
Es ist dies dieselbe Grenze, die du erreichst, wenn du erkennst, daß die Welt, in der du lebst, deine Welt ist, insofern du als jemand existierst, der an sie denkt und von ihr spricht.
Wie eine Welt ohne denjenigen aussähe, der an sie denkt und über sie spricht, wissen wir nicht und können wir nicht wissen. Die Welt, die wir unter Abziehung der Existenz des Denkenden und Sprechenden, der Sprache und des Gedankens, beispielsweise in Bildern eines Satelliten von zahllosen Galaxien oder der kosmischen Hintergrundstrahlung, zu sehen glauben, ist nicht eine Welt, die nicht die Existenz der Sprache und des Gedankens zur Voraussetzung hätte. Wir können nicht davon absehen, daß wir die Objekte auf den Satellitenbildern sehen und etwas über sie sagen.
Die logisch-semantische Substanz unserer Welt ist jemand, der spricht und Gedanken in sinnvolle Aussagen kleidet.
Wir können nicht wissen, wie diese Instanz eines Jemand oder des Selbst in diese Welt hineinkommt, denn um dies wissen zu können, müßten wir eine Welt entwerfen ohne diese Instanz und gleichsam auf die Rückseite dieser unserer Welt treten, um zu erkennen, wie sich die Niemands-Welt in die Jemands-Welt verwandelt. Das aber ist unmöglich.
Jemand, der an diese Welt denkt und über diese Welt spricht, ist gleichsam früher oder immer schon älter als du oder ich, die wir später oder jetzt die Instanz verkörpern, jemand zu sein.
Jemand oder der transzendentale Grund der Welt ist nicht früher im Verhältnis zu unserer Gegenwart wie die Vorläufer in der Entwicklung der menschlichen Spezies, von der die Anthropologen handeln, früher sind als die zeitliche Stufe, auf der der Homo sapiens auftritt.
Wir nennen uns mit Namen und die Bedingung dafür, daß wir uns Namen geben, ist freilich die seltsame transzendentale Tatsache (die wie gesagt keine Tatsache der Art ist, daß Köln am Rhein liegt), daß wir jemand oder wir selbst sind. Aber die Instanz, von der wir sagen, daß sie der transzendentale Grund unserer Welt ist, nämlich jemand, der an sie denkt und über sie spricht, hat keinen Namen, ist namenlos.
Die alten Völker der Inder, Chinesen, Japaner und Griechen nannten das Namenlose das Göttliche, den Urgrund, die Weltseele, das Numinose, das Mystische.
Das Namenlose mit seltsamen Namen dieser Art zu benennen, heißt nicht sich in Antinomien und Paradoxa zu verstricken, sondern die Grenze unserer Welt fühlbar zu machen oder unsere Welt als ein Ganzes zu denken, dessen Grenze sich in unserem Gedanken an diese Welt zeigt.
Das Namenlose ist keine Eigenschaft einer Entität wie Vater zu sein die Eigenschaft eines Menschen ist, der ein Kind hat.
Auch das Bild vom Schöpfer, der die Welt aus dem Nichts mittels des Ins-Dasein-Rufens der Weltinhalte erschafft, ist ein Bild von diesem namenlosen Jemand.
Das Namenlose können wir nicht beschreiben, weil alle Beschreibungen Inhalte der sinnvollen Aussagen darstellen, die wir über Gegenstände dieser Welt machen. Das Namenlos aber ist kein Gegenstand dieser Welt.
Das Namenlose zeigt sich nicht in Aussagen, die wir über es machen, nicht in dem, was wir über es sagen, sondern darin, DASS wir überhaupt etwas sagen.
Daß wir den Stein Stein nennen und dem Affen im Zoo einen Kosenamen geben, zeigt, daß wir in einer prinzipiell anderen Welt existieren als dieser Stein und jener Affe, auch wenn wir beispielsweise an den emotionalen Erlebnissen des Tieres anteilnehmen.
Im Gegensatz zur landläufigen Annahme, das Glück der Tiere bestünde darin, daß sie ohne zeitlichen Erwartungshorizont in einem ausdehnungslosen Jetzt leben oder im Augenblick des Erlebens aufgehen, bemerken wir, daß nur jemand, der in einem zeitlichen Erwartungshorizont lebt, also sprachliche Lebewesen wie wir, auch fähig ist, seine Erwartungen einzuklammern und sich ganz auf den Augenblick der verfließenden Zeit zu konzentrieren.
Wenn wir unsere Erwartungen auf dies und das und unsere Ängste um dies und jenes oder unsere Hoffnungen auf dies und das einklammern und uns ganz dem Augenblick hingeben, erleben wir die gleichsam leere Fülle und gleichsam gleichmütige Heiterkeit des unergründlichen Daseins, das wir sind.
In dieser Hinsicht ist die gelassene Offenheit des Daseins für das Geschehen, was auch immer geschieht, oder das reine fraglose Erleben eine ethisch angemessene Haltung für jemanden, der in unserer Welt wohnt.
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