Sagen und zeigen
Wenn ich dir etwas bedeuten oder ich dich auf etwas hinweisen will, zeige ich mit einem Zeigemittel wie dem Finger, der Geste von Augen und Kopfbewegung oder einem mehr oder weniger natürlichen, mehr oder weniger künstlichen Zeichen auf einen abgegrenzten Bereich der Wirklichkeit, der für dich und mich zumindest wahrnehmbar oder zumindest identifizierbar sein muss.
Wir schlendern die Straße entlang und ich rufe aus: „Schau mal, da hinten geht S.!“ Und ich zeige mit dem Finger in die Richtung, in der ich die Person namens S. glaube wahrgenommen zu haben. Du kannst der Zeigegeste folgen und deinerseits die Wahrnehmung der Person machen, auf die ich dich hingewiesen habe, und nun die Korrektheit meiner Wahrnehmung bestätigen oder falsifizieren, indem du sagst: „Nein, das ist nicht S., diese Frau sieht meiner Freundin S. auch gar nicht ähnlich. Ich habe sogar gestern eine Karte von S. aus ihrem Urlaubsort in Italien erhalten.“
Wenn ich mit der Nennung eines Namens und mittels einer Zeigegeste deine Aufmerksamkeit in eine Richtung lenke, setzen wir voraus, dass du weißt, dass es sich bei dem Gemeinten um eine Person handelt. Mittels der Zeigegeste kann ich dir nicht vermitteln, dass es sich um eine Person handelt. Oder anders gewendet: Mittels Zeigegesten allein kannst du nicht in Erfahrung bringen, um welche Kategorie von Gegenständen es sich handelt, auf die du deine Aufmerksamkeit lenken sollst. Denn wenn ich dir einen Gegenstand in einiger Entfernung mittels der Zeigegeste zeige, weißt du nicht, worum es sich handelt.
So weißt du, um welchen Gegenstand es sich handelt, wenn ich auf ihn zeige und sage „Schau mal, das ist doch Glinka!“ Denn dann weißt du, dass es sich nicht um eine Person, sondern um den Hund der Frau G. handelt, und also weißt du, um welche Art von Gegenstand es sich hier handelt.
Ich könnte am Marktstand noch so detailliert die Form und die feinen Farbnuancen der Frucht vor uns beschreiben. Aber nur mittels Anwendung sortaler Ausdrücke wie „Apfel“ oder „Birne“ kommen wir weiter, wenn ich dich auffordern will, doch ein Kilo dieser oder jener Frucht, auf die ich zeige, zu kaufen. Aufgrund reiner Beschreibungen und bloßer Gesten gelangen wir nicht zur Identifikation von Gegenständen.
Wir bemerken: Die Anwendung sprachlicher Zeichen wie Namen oder sortaler Ausdrücke ist in wesentlichen Fällen die Voraussetzung für die Anwendung nichtsprachlicher Zeichen.
Wenn du auf meine Frage, ob ich dich morgen besuchen soll, mit einem freundlichen Lächeln reagierst, weiß ich nicht, ob du damit meine Frage bejahst, und wenn du mit einem missmutigen Gesichtsausdruck reagierst, weiß ich nicht, ob du damit meine Frage verneinst. Ja, sogar, wenn du mit einem Kopfnicken oder Kopfschütteln reagierst, weiß ich dies nicht. Du könntest gezwungen lächeln, auch wenn du unwillens bist, mich morgen zu besuchen. Du könntest missmutig blicken, auch wenn du (trotz einiger Widerstände) willens bist, mich morgen zu besuchen. Ich wüsste es allererst mit Bestimmtheit, wenn wir verabredet hätten, dass dein freundliches Lächeln „Ja“ und dein missmutiger Gesichtsausdruck „Nein“ bedeutet. Und ich weiß dein Kopfnicken und Kopfschütteln allererst mit Bestimmtheit zu deuten, wenn ich um die Konvention weiß, dass in unserer Kulturgemeinschaft ein Kopfnicken „Ja“ und ein Kopfschütteln „Nein“ bedeutet (in anderen Kulturgemeinschaften kann es bekanntlich anders sein).
Wir bemerken, dass wir die elementaren logischen Bedeutungen der Position und Negation nicht aus der Erfahrung lernen können. Wie sähe denn ein Sachverhalt in der Wirklichkeit aus, von dem wir sagen, dass er nicht bestehe. Ich schaue aus dem Fenster und sage: „Gehen wir spazieren. Es regnet nicht.“ Ich kann den Sonnenschein sehen. Aber die Tatsache, dass die Sonne scheint, kann ich nicht sehen. Geschweige denn die Tatsache, dass es nicht regnet. Wie könnte ich dich mittels einer Zeigegeste auf die Tatsache aufmerksam, dass es nicht regnet?
Wir erkennen, dass wir auf Gegenstände zeigen können, und dies in den meisten Fällen nur, wenn wir wissen, um welche Art von Gegenständen es sich handelt. Wir können aber nicht auf Sachverhalte und Tatsachen zeigen. Sachverhalte, ob sie bestehen oder nicht bestehen, können wir nur sprachlich darstellen, indem wir sagen: Es ist der Fall, dass p. Also kann ich vielleicht auf deine Freundin S. zeigen, aber nicht auf die Tatsache, dass sie dort entlanggeht.
Wenn wir davon ausgehen, dass die Darstellung von Sachverhalten und Tatsachen eine Grundstruktur der Sprache darstellt, können wir daraus folgern, dass wir die Sprache nicht mittels der Zeigefunktion gelernt haben können. Was wir behauptend äußern, darauf können wir nicht unmittelbar zeigen.
Woher weiß der Hörer, dass der Sprecher mit der Äußerung „Es regnet“ ihn auf die Tatsache hinweist, dass es regnet? Vom Zeigen auf die Regentropfen führt kein Weg zum Hinweis auf die Tatsache, dass es regnet. Der Hörer muss wissen, dass mit einer solchen Zeigegeste der Hinweis auf die Tatsache, dass es regnet, gemeint ist. Die Bedeutung der Tatsache ist also kein Element der Wahrnehmung und Erfahrung, sondern gleichsam apriorisch. Die Bedeutung der Tatsache ist kein Element des Zeigens, sondern ein Element des Sagens.
Wir können auf die sprachliche Bedeutung der Tatsache nicht mittels sprachlicher Bedeutungen hinweisen. Wenn ich sage: „Mit dem Satz ,Es regnetʿ weise ich auf die Tatsache hin, dass es regnet“ habe ich natürlich nicht mehr gesagt als mit dem schlichten Satz: „Es regnet.“
Wir bemerken, dass das Verständnis der Bedeutung von Sachverhalten und Tatsachen gleichursprünglich mit dem Verstehen einer Sprache ist.
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