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Dumme Schlaumeier und weise Ignoranten

28.03.2015

Das Gegenteil von Klugheit und Weisheit ist nicht Dummheit und Ignoranz, sondern angemaßtes Wissen, Wissen da, wo es keines gibt oder geben kann: Eitelkeit und Arroganz.

Er schien so viel zu wissen und fühlte doch den Haufen von Scherben und Bruchstücken in sich wachsen, den kein guter Wille, kein Wunder wieder zusammenzufügen imstande sein würde.

Wenn es besonders dramatisch zugeht, wenn es um die Wurst geht, wenn das Heil ihrer Seele und vor allem das der anderen auf dem Spiel zu stehen scheint – dann werden ihre Stimmen schrill, dann sagen sie dir auf den Kopf zu, was für einen Dreck dieser am Stecken hat, was jener schon lange im Schilde geführt hat.

Für alles, was sie nicht einmal richtig beschreiben können, haben sie eine perfekte Theorie.

Dummheit scheitert daran, den prinzipiellen Unterschied zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen sehen, verstehen und im eigenen Urteil berücksichtigen zu können. Denn alles, was uns betrifft und zustößt, alles, was wir erleben und sind, einschließlich unserer Wenigkeit, ist etwas Einzelnes und Singuläres. Diese Blauschattierung siehst du jetzt unter diesen speziellen Lichtverhältnissen und Schatten für einen Augenblick auf den Blütenblättern dieser Iris. Aber du nennst deinen singulären Farbeindruck nun einmal „blau“ – was anderes hast du nicht als diesen ärmlichen oder eigentlich dummen Begriff. Und so mit allem. Die Dummen aber glauben alles zu verstehen, indem sie vom Hörensagen – ist der nicht depressiv, ist die nicht katholisch? – auf das, was ihnen vor Augen kommt, schließen, als müsse es so und nicht anders sein: Da hat sie halt Schlafmittel genommen, da ist bestimmt was mit dem jungen Aushilfspfarrer gelaufen.

Du verkörperst keine allgemeine Idee, auch nicht, wie viele dumme wissenschaftliche Schlaumeier annehmen, die biologische eines Lebewesens namens Homo sapiens. Du bist in erster Linie du, nicht ich, nicht sie. Zu glauben, ich wüsste etwas von dir aus dem Grund, weil ich weiß, wie es um den Homo sapiens im Allgemeinen bestellt ist, zum Beispiel, dass er nicht ewig lebt, sondern sterben wird, wenn seine Stunde gekommen ist, und also auch du sterben wirst, wenn deine Stunde gekommen ist, hieße die Schlaumeierei in metaphysische Dummheit steigern: Ich weiß ja damit nur, was ich von mir und allen anderen, ja allen Lebewesen überhaupt, weiß, also von dir, was dich betrifft, nichts.

Sie wähnen, das Projekt der Aufklärung sei irgendwo unterwegs wie ein Karren im Schlamm steckengeblieben und es gelte, mit vereinten Kräften das Ding wieder flott zu machen. Indes ist die Aufklärung an ihrer Erfüllung erstickt: Wir wissen alles, was wir wissen können, und es hilft uns nichts! Wir sind so aufgeklärt, dass uns schwindlig wird, wenn wir in den Spiegel sehen, so gestopfte voll mit der Information und jener, dass wir vor lauter Aufgeklärtheit nicht mehr geradeausschauen können. Schaffen wir uns Erleichterung, bauen wir das Wissen ab, legen wir die halb erstickten Reste unserer selbst frei, atmen wir wieder Freiheitslüfte, begnadigen wir uns mit der Gnade der Ignoranz!

Oftmals ist der Feind der Weisheit und der Verbündete der dümmsten Dummheit die Aufklärung mittels all der zusammengestoppelten und zusammengelesenen Informationen der Zeitungen und Medien, auf die Krethi und Plethi schwören und sich berufen und nicht aufhören können, zu schwören und sich zu berufen. Er stammt aus diesem unteren sozialen Milieu, hat jene dürftige Ausbildung genossen, war eine glänzende Erscheinung und ein Homme à femmes, ein Beau und Charmeur, er verkehrte in diesen erlesenen Kreisen, hat jene Tochter aus der Hautevolee geheiratet und wurde steinreich – also war er ein Hochstapler, ein Scharlatan, ein Emporkömmling. Dabei war er bloß ehrgeizig, fleißig, freundlich und zuvorkommend.

Der Feind der Dummheit ist nicht die vollmundig auftretende Wissenschaft, die ihr erklärt, warum sie dumm ist, sondern das Schweigen, das jenen umfängt, der das Gequatsche des Markts hinter sich lässt, auch das Gequatsche des Traummarkts in sich selbst. Er lauscht, wie der Schlafende leises Klopfen an seiner Tür unterschwellig vernimmt, auf die erschütternden, nur ihm geltenden Schläge des Gongs, die von seiner wesentlichen Einsamkeit künden.

Ein jeder ist das allgemeine Tier – so lebt er dahin und stirbt, so kann von ihm gesagt werden, geboren oder ungeboren, gehüpft wie gesprungen. Und ein jeder ist, von dem die Weisheit spricht, der einzige Träger seines Namens, der nur selbst das Versprechen hält oder bricht, der allein die Hoffnung hochhält oder sich fallenlässt, der allein vor dem Richter stehen wird.

Wir sichten deine immer schon verlorenen Spuren in Vollzügen eines nichtwissenden Wissens, einer weisen Ignoranz, als wäre die Linie des Horizonts leicht um deine Sichtweise verschoben, als wäre deine eigentümliche Unterschrift der Entwurf einer neuen Schrift, einer neuen Sprache.

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