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Poetologisch I

23.05.2014

Das Wetter reden lassen ist schon Dichtung

Geruch von nassen Gräsern
oder schwitzendem Asphalt –
wo Kinder hüpfen über Pfützen
süßer Schmerzenslaute –
von einem Sonnenstrahl vergoldet
eine Kupfermünze,
als würden an der tiefen Sonne
Abschiedsküsse knospen:
erster Schnee.

Dichtung ist die Resonanz der Lüfte,
der Schwalben halbgeträumtes Sirren,
ist wie die Träne Niederschlag
des Innen-Wetters
von Seelen, pflanzenhaft,
die unter lauen Winden wehend
leise mit sich reden oder
Träume flüstern mit den regen Blättern.

Dichtung ist, was über Lippen kommt
wie morgens Tau, schüchtern glitzernd
an den dunklen Moosen,
an den Lilien hell.

Dichtung ist wie geblasene Samen
aus der Kapsel, heiß geplatzt,
und niemand weiß, wohin sie fliegen,
ob der und jener die Lichtung findet,
wo das Wort der Ferne keimt
und einmal, einmal nur
im Sommer ihrer Reife blüht.

Dichtung ist der Thermograph,
das Barometer, der Höhen- und
der Tiefenmesser,
eingeborene Organe des Meisters
feinster Wetterfühligkeiten,
auf Wasser geschrieben
photonenflüchtiger Reflex.

Ein leichter Luftdruckanstieg macht
die Lymphe feuchter Psyche schwellen.
Ein zarter Wechsel im Gemisch der Atmosphäre
lässt den Zeiger zittern,
ein Gewitter-Windzug dämpft
den Widerhall der Straße und das Quasseln
und das Rasseln und das Quietschen
in der Watte müder All-Verlorenheit.

Doch ist das durchgeschwitzte Kissen
kein Beweis für die Tiefe deiner Sehnsucht
nach dem Licht aus Eden.
Die Zahl der Punkte für das Ungesagte –
diese heißen Kieselsteinchen –
sind nicht wie stumme Schreie
ein Echtheitssiegel deines Schmerzes,
deiner Trauer.

Gelee von Quitten oder Pflaumen
mag die Scheibe Schwarzbrot überquellen –
der Vers verströmt den Sommerduft,
wenn er von eingemachtem Fühlen
nur dünn bestrichen ist.

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