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Alte Frau am Fenster

03.12.2024

Im Schoß die Hände, Warzen, Schründe,
still sitzt sie, Sonne, späte, scheint.
Sie zählt sie auf, die letzten Gründe,
warum sie lächelt, wem sie weint.

„Nun bin ich wie die alte Truhe,
drin schläft der Schleier und das Kleid,
oft knarzt sie wie im Firnschnee Schuhe,
mach ich sie auf, weht Duft von weit.

Im Spiegel seh ich all die Falten,
die mir den frühen Schmelz zerknüllt,
doch will dem Aug noch nicht erkalten
der Tau, der manchen Schmerz gestillt.

Wie ausgemergelt sind die Brüste,
und machte keine Milch sie prall,
war tief ein Durst doch, der sie küßte,
und ungestillt ward ihr Vasall.

Jetzt sind verblaßt die dunklen Düfte,
zerwühlte Knospe bleibt geneigt,
steif ward der Schwung der jungen Hüfte,
der volle Mund hängt schief und schweigt.

Doch hab ich noch den Blick ins Freie,
des Laubwerks Flimmerlabyrinth,
und sagt die Wolke mir, ich schneie,
reck ich die Hand hin wie ein Kind.

Ich habe noch den Weg zum Grabe,
wo ich die Veilchen ihm gesetzt.
O daß ich noch die Wunde habe,
die Tauglanz des Erinnerns netzt.“

Nun dunkelt es im kahlen Zimmer,
die Kerze ist herabgebrannt.
Es spielt im grauen Haar ein Schimmer,
vom Geist der Nacht zu ihr gesandt.

 

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