Das Wasserzeichen blieb
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Auf einem immer unruhiger werdenden Strom in einem kleinen Boot treiben, in banger Erwartung des nahenden Wasserfalls.
Im Boot der Sprache, ruderlos.
Oder nimm den Strom für die Sprache: Manche, die lange darin schwammen, steigen ans Ufer, um dort für eine Weile auszuruhen. – Andere kehren, gleich Eremiten, nicht wieder zurück.
Manche, die, in Panik geraten, überhastete Schwimmbewegungen machen, gehen unter.
Strom, nach dessen Quelle wir nicht fragen, in dessen Gegenrichtung wir nicht schwimmen können.
Dichten gleicht eher dem Tauchen als dem Kunstschwimmen.
Der Strom der Sprache mündet ins Schweigen.
Oder: der Strom das Schweigen, die Sprache das schwankende Boot.
Der Traum, der Traum des Gedichts, gleicht der Wolke, die sich im Wasser spiegelt.
Die Antwort ist ein Spiegelbild der Frage.
Der sinnlose Satz gleicht einem blinden Spiegel.
Die ausführende Handlung ist keine Folge der Aufforderung, sondern ein Zeichen dafür, daß sie verstanden wurde.
Du verstehst, was ich von dir verlange, aber dein Verständnis bezeugt kein mentales Bild, das dir vorschweben mag, sondern das, was du tust.
Die Reflexion oder die Illusion, ein Gedanke und der ihn ausdrückende Satz könnten sich selbst enthalten, ist die Chimäre der idealistischen Philosophie.
„Wer?“ und „Was?“, „Wo?“ und „Wann?“ sind elementare Fragen; aber ihre Beantwortung mittels deiktischer Ausdrücke wie „dieser“ und „jenes“, „dort“ und „dann“ schwebte im Leeren, wäre sie nicht in einem Koordinatensystem verankert, dessen Nullpunkt wir mittels des deiktischen Indikators „ich“ angeben.
Wir können die Orts- und Zeitangaben mittels festgelegter Koordinaten objektivieren, nicht aber den Nullpunkt.
Jede raumzeitliche Lokalisierung hat nur Bedeutung in dem per definitionem festgelegten Rahmen eines Meßverfahrens. Wir können den zeitlichen Anfang des Universums auf diese Weise spezifizieren, aber ohne unserer Messung ein definites Meßverfahren zuzuordnen hat der ermittelte Wert keine Bedeutung.
Der Herbst, von dem das Gedicht Hölderlins, Verlaines oder Trakls spricht, die Jahreszeiten, die im japanischen Haiku nicht fehlen dürfen, verlangen nach keiner objektiven Datierung im Jahreskalender.
Die Jahreszeiten des Gedichts haben keine Daten im Kalender einer meßbaren Realität, sie sind Jahreszeiten der Seele in den Annalen einer mythischen Welt.
Wortfüllsel und Sprachhülsen im Gedicht sind die Watte, womit der hilflose Schreiber die undichten grammatisch-gedanklichen Gelenkstellen verstopft.
Schmachtfetzen, über lyrischen Leichnamen wehend.
Wo kein Inkarnat mehr schimmert, sollen fetthaltige Metaphern und schlüpfrige Vergleiche herhalten.
Bleiche Knochen, aus dem Morast der Sprache gescharrt, denen der Lampion eines Jahrmarktmonds einen gauklerischen Schimmer verleiht.
Wie lange kann ein Koloß aus Metall, Plastik und Silikon auf den dünnen gläsernen Beinchen einer irre klirrenden Sprache Richtung Zukunft staken?
Freilich, einem Autor, der sich nur von Fettbrühen ernährt, rinnt das Schmalz von den Zeilen; doch einem, der den Asketen im Dienste der Welterlösung mimt, klappert des Verses dürres Totengerippe.
In der Ariadne auf Naxos paaren sich Opera buffa und Opera seria, die leichtlebige Zerbinetta ist die Doppelgängerin der tragisch liebenden Ariadne, Bacchus aber zugleich Hermes, der Todesbote, ein Todesbote indes, der Ariadne zu den Jenseitsblumen der Jenseitsauen geleitet.
Im dichterisch-musikalischen Laboratorium, wo die Liebenden gleich chemischen Substanzen mittels des Katalysators eines ineinander fließenden Wechselgesangs zu unvorhergesehenen Metamorphosen angeregt werden.
Die sublime Sprache des Gedichts ist eine Form der indirekten Mitteilung; die Evokation der Tageszeiten löst der bang aufseufzenden und von schweren Traumgesichten heimgesuchten Seele die Zunge und läßt ihre Erwartung sich am Tau des Morgens erquicken, den hohen Strahl die Knospe ihrer Lust öffnen und die Angst des Vergehens weich im Laub der Dämmerung verzittern.
Wenn man all den Auswuchs journalistischer Phrasen und zeitgeistiger Begriffe jätete – was bliebe? Die Sprache Goethes, Lichtenbergs, Wittgensteins? Oder ein Aschenhäuflein des Ungesagten?
Wittgenstein floh vor dem metaphysischen Geschwafel der Akademien und dem geistreichen Weibergeschwätz der Salons in den teuflischen Lärm der Schützengräben des Ersten Weltkriegs und die stillen Wälder Norwegens. Vor den ideologisch-perversen Glossolalien der Hochschulkatheder und dem pornographischem Geschnatter der digitalen Medien rettet uns heute nur der Exodus in die monastische Wüste des Schweigens.
Als würden die Schriftzeichen auf den vergilbten Briefen der Liebe sich wie unter einem Geisterhauch auflösen, als bliebe nur, gespenstisch schimmernd, das Wasserzeichen.
Was denn blieb von dem Knaben, der du warst, einsam am Strom, und hast Kieselsteine darüber hüpfen lassen, was von dem silbernen Ton der Stimme, die in das Te deum zur Apsis emporstieg, was von der irdenen Bronze der Hand, da sie sich Nüsse gesammelt, geschält?
Hat die Erinnerung ihr Bild bewahrt, gleich der Ikone in der Nische des Treppenaufgangs, wo ihr die Kerze geflackert? Die Ikone ward schwarz von Ruß, die Kerze erlosch.
Die Deixis des Gedichts weist auf einen imaginären Ort, in eine mythische Zeit.
Das Leid ist ewig, ewig die Klage, und der Duft der erloschenen Rose schwebt noch über dem Abgrund der Stille.
Die Stille sinkt, wie nach den Blitzen feiner Regen, und was wir nicht gesagt, als Wipfel dunkel rauschten, ertönt mit heller Tropfen Widerhall von regungslosen Blättern.
Und fällt auch Schnee auf Schnee, löscht Bild das Bild, bleibt in der Dämmerung ein matter Abglanz uns, die einsam Arm in Arm ins Schweigen weiterwandern.
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