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Die graue Sprache

30.03.2021

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

„Knabe“ scheint ebenso wie „Fräulein“ aus der Rede des trost- und blütenlosen Kontinentes Alltag auf eine jener Inseln geflohen zu sein, auf denen man, wie auf den von der Sonne und dem Lächeln unbekümmerter Herzen gesegneten des südlichen Ozeans, sich ritueller, also schöner Formen des Umganges befleißigt und um treffende, also würdige Formen des Ausdrucks bekümmert.

Denkst du bei „Knabe“ nicht gleich oder doch ein wenig später an die schönen Hände des Dichters Robert Walser, an seine von süßen Rätseln glänzenden Augen und die hellen Strohbüschel der Haare, die wie vom Mutwillen des Windes von einer unaustilglichen Störrigkeit zeugen? Dringt dir nicht wie aus abendlich dämmerndem Hausflur, wo gemächlich die sanften Wogen streifend das Ruder der eichenen Uhr auf- und niederschwingt, aus dem Wort „Fräulein“ ein Duft von Eau de Cologne in die Erinnerung, die auf schweren Teppichen leise, um kein empfindsames Herz aus dem leichten Schummer zu reißen, sich in die bäuerliche Wohnküche vorwagt, um vor dem Fenster mit den Geranien und Veilchen die alte Dame, eingewickelt in ein kariertes Tuch, zu entdecken?

Verkleinerungsformen wie Mädchen, Fräulein, Kindlein, aber auch Männlein und Bübchen haben den Hautgout des Wirklichkeitsfremden bekommen, insonderheit trägt das Fräulein das Stigma der Verachtung, da man der zum Mannweib emanzipierten Frau das Altrosa eines demütig-jungfräulichen Daseinsschleiers herabzureißen als große Geste der Ernüchterungs- und Befreiungsorgie erachtet hat.

Wenn wir sagen, daß sich Kätzchen balgen oder Katzen miauen, müssen wir nicht wissen, welche unter ihnen Kater, welche Katzen weiblichen Geschlechtes sind.

Wer glaubt, gemäß der Aussage „Jeder packte seine sieben Sachen zusammen und ging nach Hause“ kämen nur Männer ins traute Heim zurück, ist dümmer, als die deutsche Grammatik erlaubt.

Ist „der Rhein“ männlichen, „die Mosel“ weiblichen Geschlechts, weil der eine ein mächtiger Strom, die andere ein sich lieblich dahinschlängelnder Fluß ist? Doch wie steht es um „die Elbe“, „die Donau“, „die Weser“? Hier steigen die bunten Nebel uralter Mythen, wie bei „der Sonne“, „dem Mond“ oder „der Venus“, in die nahe wohnenden Labyrinthe der weitverzweigten grammatischen Formen.

Bei Nomina wie „Bruder“ und „Schwester“ oder „Vater“ und „Mutter“ ist die typisch germanische Wortbildung des Substantivs durch das Suffix -er am Wortstamm ja mit Händen zu greifen. Sie müßten freilich ideologisch verblendet oder bedeutungsblind sein, wenn ihnen bei „Schwester“ und „Mutter“ die grammatische Tatsache verborgen bleibt, daß diese Nominalbildung gerade nicht dazu dient, das natürliche Geschlecht zu bezeichnen.

Aber sie sind es, beides, ideologisch verblendet und bedeutungsblind.

Nominalbildungen wie „Verbraucher“, „Besitzer“, „Nutzer“, „Fahrer“, „Helfer“ oder „Sprecher“, aber auch solche wie „Kunde“, „Bote“, „Kollege“, desgleichen Pronominaladjektive wie „keiner“, „jeder“ und „mancher“ bezeichnen keinen Angehörigen eines natürlichen Geschlechts, sondern jeweils die Person, ob Mann oder Frau, die das Gemeinte ausführt oder darstellt; es heißt also korrekt: „Sie war unter den Helfern immer an vorderster Stelle“; „Sie ist ein gewandter Nachrichtensprecher/ein verschwiegener Bote/ein anspruchsvoller Kunde“; „Unter allen Kollegen steht sie mir am nächsten“; „Die Verbraucher, darunter auch die meisten Frauen, waren mit dem Produkt sehr zufrieden.“ Nur wenn das natürliche Geschlecht der Person unmittelbar relevant ist, heißt es etwa: „Sie war meine ehemalige Lehrerin.“ Aber es grenzt ans Lächerliche zu sagen: „Da tobten die Affen und Äffinnen“, „Viele Hessinnen und Hessen mögen Grüne Soße“ oder „Jeder und jede ging nach Hause.“

Früher schliefen sie mit dem Chef, dem Direktor, dem Professor und wurden Chefsekretärin, die rechte Hand des Unternehmers, oder ihr besonderer Service wurde mit einer Assistentenstelle honoriert. Heute ist es dank Quote noch bequemer, wenn auch ebenso heuchlerisch, verlogen und verächtlich. Allerdings hatte die alte Methode den schönen Nebeneffekt, daß sie nach dem Geschmack der speckigen oder eleganten Hurer und Ehebrecher zwar dumm sein durften, aber gewisse Merkmale erotischer Anziehung, ein hübsches Gesicht, einen üppigen Busen oder immerhin Glanz in den Augen, aufzuweisen hatten; der unschöne Nebeneffekt der heute geltenden Selektion zeigt sich darin, daß die per Quote Erwählten sowohl dumm als auch häßlich sein dürfen.

„Sie ist mit einem Finnen verheiratet“; „Er ist mit einer Finnin verheiratet“ – schön und gut. Aber wenn wir sagen „Die Finnen sprechen eine seltsame Sprache“, meinen wir nicht, daß der weibliche Teil dieses Volkes stumm ist.

Es ist dieselbe Mentalität desselben Volkes, das früher botmäßig und inbrünstig „Heil!“ schrie und heute die Muttersprache durch ein amtlich verordnetes Kauderwelsch schändet und notzüchtigt.

Pöbelgesinnung, ob in der „Literatur“ oder der „Wissenschaft“, setzt, was alle sagen, wie jeder daherredet, mit dem gleich, was wahr, schön und gut sein muß.

Wenn es so häufig geschieht, muß ein Goldkorn der Wahrheit dahinterstecken; wie bei der gleichzeitigen Zunahme der Störche im Moorland um den Ort Gockelhausen und der steigenden Geburtenrate der Gockelhäusler.

Von der Küche zum Katheder, vom Wiegenlied zum akademischen Geschwätz – der kurze Weg zu einem langen Niedergang.

Die Stupidität und Verbohrtheit, die sprachliche Verwahrlosung, die für die Verwendung des Pronominaladjektivs „jeder“ die Verkuppelung und Ergänzung durch „jede“ fordert, hätte in der nach den strengen Maßgaben eines Melanchthon geführten protestantischen Klosterschule, im Gymnasium der Jesuiten oder in der altpreußischen Lehranstalt den sofortigen Schulverweis nach sich gezogen.

Weg ohne Ziel: von der Preußischen Akademie mannhafter Gelehrsamkeit des 19. Jahrhunderts zur Akademie für Sprache und Dichtung einer hysterischen Damenriege unserer Tage.

Das wahrhaft tückische Virus, das sie befallen hat, führt zu seelischer Atemnot und geistiger Lähmung. Um uns zu schützen, müssen wir von seinen Trägern und Verbreitern gebührenden Abstand halten.

Die Verhunzung und Verhäßlichung der Muttersprache ist ein Symptom einer geistigen Erkrankung, die das Bild der Mutter wie Läuse den Rosenstock angefressen hat.

Die Gestalt der Gottesmutter ist der echte Widerspruch gegen die Annahme, wir seien dem evolutionären Selektionsspiel ausgesetzte biologische Maschinen, das Tun und Sagen ihres Sohnes der eigentliche Widerspruch gegen die Annahme, Geschichte sei die Sinngebung des Sinnlosen.

Der Rosenkranz schlang sich um die knöchernen Finger des alten Fräuleins, als es auf dem Sterbelager ruhte.

Es ist würdiger, sein Leben Maria zu weihen, als es in sinnlosem Treiben für die Emanzipation der Frau (oder gleich der ganzen Menschheit) aufzureiben.

Die Verhaltensmaßnahmen der Hygiene, an der sie die neue Gestalt des totalen Staates nach dem Muster jakobinischen Gesinnungsterrors erproben und als gar nicht sokratische Maieutiker einen Untoten ans Licht zerren, ist wie ihr Ahnherr, die moderne Labormedizin, Technik ohne Sittlichkeit; während die hygienischen Vorschriften der alten Juden der sittlichen Haltung des Menschen vor Gott dienten.

Das Volk der rituellen Reinigung vor dem Gott der höchsten Reinheit, denn sie sollten heilig sein wie er heilig ist, wurde von den Rassehygienikern der physischen und sittlichen Fäulnis bezichtigt, denn wer sich so oft und so penibel reinigen muß, so der perverse Gedanke, muß im Schmutze hausen. Die neuen Hygieniker des totalen Staates verdächtigen jene, die sich seinen rituellen Vorschriften verweigern oder sie in Frage stellen, sich im Schlamm des Widerspruchs und der Illoyalität zu suhlen. Die öffentlichen Zwangswaschungen haben schon begonnen.

Ironie der Geschichte: Die schmutzigen Juden von einst kehren heute, sic manet infamia mundi, als dreckige Nazis zurück.

Am Höhleneingang ihrer gefeierten Staatsform lauert die Furie der Pöbelinstinkte, gesäugt wird sie von einer grausamen Wölfin mit der giftigen Milch des Handelsgeistes und der globalen Industrie. Dichter, die das widrige Schauspiel besingen, werden mit Preisen überhäuft.

Das Genie ist wie ein Briefpartner, der einem schöne Briefe schreibt, ohne daß wir ihm bislang von Angesicht zu Angesicht begegnet sind; wir staunen, wenn er uns beim ersten Treffen entgegenkommt: Das Gesicht, der Gang, die Haltung, das Mienenspiel, sie mögen uns überraschen oder enttäuschen, doch stimmen sie nur in oberflächlichen Zügen mit dem Bild überein, das wir uns beim Lesen seiner Briefe davon gemacht haben.

Ins Wirkliche zu tauchen und das Wort nicht von selbstischen Tränen, sondern vom Tau der Abenddämmerung glänzen zu lassen, ist bisweilen wie der jähe Griff des Traumwandlers in das Loch, worin die Brut der Schlangen zischt.

Der Dämon der Stadt und die Furie kultureller Vernichtung recken ihr kahles und augenloses Haupt im Beton-, Glas- und Eisen-Brutalismus der Titanenburgen in den götterlosen Himmel, Bauten, in denen sich die Macht des Geldes und der Verwaltung des Ameisenstaates konzentriert. Im Berlin, Nürnberg und München Albert Speers, im Rom Mussolinis, im Moskau und Kiew Stalins, im Bukarest Ceaușescus zeigte sich der Dämon in seiner nackten, erdentbundenen Potenz; doch kehrt er in verwandelter Gestalt in die Metropolen zurück, wenn er sich durch das Niederreißen alter Bestände und Denkmäler Platz geschaffen hat.

Das Kauderwelsch, das die Sprache Goethes abgelöst hat, ist das von allen heimischen Idiolekten gereinigte Esperanto des Dämons der Weltstadt.

Goethes Sprache ist wie der im Regen und Dunst jäh aufgehende farbige Bogen anmutig, bildhaft, berückend; das Kauderwelsch des Dämons ist abstrakt, grau, unanschaulich, er duldet noch tote Metaphern, doch verstopft er alle Zuflüsse, aus denen etwas Geheimnisvolles zwischen den Zeilen aufquellen, aufatmen könnte. Was dem hausbackenen Verstand wie unvorhersehbar, eine von namenlosen Blüten schimmernde Aussicht durch eine wundersam sich auftuende Schneise anmutet, die Sprache Goethes, wird von der vom technischen Idiom gehäuteten Sprache gänzlich verdunkelt.

Die graue Sprache, Staub auf der Zunge derer, die da gesanglos wohnen. Kein Speichel, kein Wein löst die Gifte auf, an denen die Seele bei lebendigem Leibe versiecht.

Das grammatische Gewimmel der Geschlechter in der zu Tode gegenderten Sprache der öffentlichen Meinung ist nur ein vorübergehendes Symptom des geistigen Zerfalls; am Ende wird wie das natürliche auch das grammatische Geschlecht neutralisiert.

Wenn Menschen in der Retorte gezüchtet werden, wenn die künstlich Gekeimten und genetisch Optimierten ihr von keinem störenden oder überwältigenden Gefühl verunsichertes oder gesteigertes Roboterdasein absolvieren, fallen die Namen Vater und Mutter, Bruder und Schwester, die Begriffe Liebe, Treue, Passion, Opfer und Hingabe dem Zensurmesser der neuen Sittenwächter anheim.

Was verlorengeht auf dem Weg zum reibungslosen, tristen Leben im Futteral der Technik (der Tod wird nur ein jähes Verlöschen des Displays sein) und zum schalen Diskurs auf gleicher Augenhöhe mit Hinz und Kunz (wer größer ist, wird um einen Kopf kürzer gemacht), das sind der Duft der Anmut und die weiße Orchidee im Knopfloch des Mantels der Sprache, die wir nur einem Einzigen, einem Auserwählten schenken.

 

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