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Klärungen

26.02.2021

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Was wir „ich“ nennen, ist keine Sache, keine Entität, keine Substanz, die, wenn ich sage „Ich meine“, die Instanz abgäbe, die sich diese Meinung gebildet hat, als wäre ich das sprachliche Medium, das sie ausplaudert.

In dieser unsinnigen Verdopplung von kleinem „ich“ und großem „Ich“, äußerem Ich, das sagt und ausführt, was das innere Ich sich vorgestellt und gedacht hat, zeigt sich das unlösbare Dilemma der sogenannten Philosophie des Bewußtseins.

Die nicht vorhandene Entität namens Ich ist keine Einbildung oder Illusion, die als solche entlarvt werden könnte, wie das Spiegelbild, das verschwindet, wenn wir das Spiegelglas zerschlagen.

Was Mach in der reflektierenden Scheibe entdeckte, war nicht sein Ich-Bewußtsein, sein Selbst, das ihm unvermutet aus den Augen zublinzelte, sondern der alte Adam, dessen Aussehen er, hinter seinen Bücherbergen vergraben, beinahe vergessen hatte.

Was wir mit „ich“ meinen, zeigt sich beispielsweise in der Einsicht, daß rechts von mir links von dir ist.

„Ich“ kann kein Gedanke sein. Was hätte er zum Inhalt? Und wäre das Subjekt des Gedankens nicht wieder jener, der von sich sagte: „Ich“?

„Ich“ ist nichts, was ich weiß; wäre es so, könnte ich es plötzlich nicht mehr wissen.

Wenn ich etwas glaube und annehme, setze ich voraus und impliziere, daß dies auch andere glauben und annehmen können.

Ich ist kein Gedanke; woran denn?

Wäre ich der Inhalt eines Gedankens, woher wüßte ich, daß es MEIN Gedanke ist?

Zu sagen: „Ich bin es, der sieht, hört, fühlt“ oder „Ich bin derselbe, der von sich sagt, er sei es, der sieht, hört, fühlt“ ist nur ein philosophisch verquaster und sinnloser Ausdruck für die schlichte Äußerung: „Ich sehe, höre, fühle.“

Ich ist kein Gedanke, schon gar nicht der Gedanke, derselbe zu sein, der den Gedanken hat. Als dasselbe bezeichnen wir nur Gegenstände wie „der Nachbarshund“ und „der Hund, der nachts immer bellt“, wenn wir uns bei ihrer Identifizierung auch irren können. Wir können uns aber nicht darin irren, uns die Gedanken zuzuschreiben, die wir nun einmal haben.

Ich, das Selbst, das Bewußtsein sind keine Formen oder Gegenstände des WISSENS. Wären sie es, könnte ich mich darin irren, Schmerzen in MEINER Hand zu fühlen.

Die Annahme, das Ich, das Selbst, das Bewußtsein, und wie immer all diese Chimären und Gespenster der „inneren Erfahrung“ heißen mögen, seien Formen oder Gegenstände des Wissens, ist der Grundirrtum des kartesischen Systems und seiner Adepten im deutschen Idealismus von Kant über Fichte bis Hegel.

„Ich weiß, daß ich es weiß“ ist keine Klärung der Aussage: „Ich weiß es.“

Nur wenn ich annehme, das Selbst sei eine Form und ein Gegenstand des Wissens, benötige ich ein Kriterium für die zweifelsfreie Zuschreibung des Gedankens „Dies ist meine Hand“ an den Sprecher. Aber mit der Zuschreibung von Gedanken an den, der sie sich zuschreibt, geraten wir in einen unendlichen Regreß, denn wir bedürfen wiederum eines Kriteriums für die Korrektheit unserer Zuschreibung zweiter Stufe.

„Ich“ zu sagen und zu meinen ist, mit Gilbert Ryle zu sprechen, kein Kennen, sondern ein Können, kein Wissen, sondern eine Fähigkeit.

Das kleine Mädchen mit dem Namen Hilde hat gelernt, „Hilde Suppe“ zu sagen; es verweist damit auf seine leibhaftige Person, nicht auf sein Bewußtsein oder sein Selbst, und ihr dringendes Anliegen, etwas zu essen zu bekommen.

Sprechen ist eine Fertigkeit wie Töpfern, Fahrradfahren und Zeichnen.

Habe ich Fahrradfahren gelernt, sage ich mir nicht im Kopf etwelche Regeln und Maximen auf, die es einzuhalten gälte, wenn ich in die Pedale trete, um auf den Fahrradweg zu gelangen, wenn ich an der roten Ampel halte oder ein Handzeichen gebe, um meine Absicht zu bekunden, rechts abzubiegen.

Habe ich sprechen gelernt, sage ich mir nicht im Kopf alle möglichen grammatischen Regeln vor, die es anzuwenden gälte, wenn ich dem Kollegen eine Frage stelle, die Freundin zum Geburtstag beglückwünsche oder eine möglichst sachliche, doch höfliche Mail an den Arbeitgeber formuliere.

Ich spreche überlegt, ohne lange Überlegungen im Kopf anzustellen, bevor ich auf die Frage des Passanten nach dem Weg antworte.

Meine Zunge ist nicht der Dolmetscher eines „mentalesischen“ Idioms, das angeblich mein Gehirn produziert.

Aristoteles hat als erster die Regeln des korrekten logischen Schließens aufgestellt; doch wenn ich von der Wahrnehmung des Rauchs auf das Vorhandensein eines Feuers schließe, habe ich nicht zuvor die Schlußregel im Kopf aufgesagt: Wenn q, dann p; q, also p.

Eine Schlußregel anzuwenden, kann sinnvoll oder unangebracht sein; die Entscheidung, daß es sinnvoll oder unangebracht ist, die Regel hier und jetzt anzuwenden, kann nicht wiederum durch die Berücksichtigung einer Meta-Regel, die mir die Anwendung der ersten Regel ermöglicht, als sinnvoll oder unangebracht erwiesen werden.

Wäre Denken das Anwenden von Regeln, käme ich nie zu einem Gedanken.

Wäre Sprechen die Anwendung grammatischer Regeln, brächte ich kein Wort hervor.

Die antike Rhetorik hat die Ausdrucksformen und Stileigenschaften verschiedener Redetypen in Handbüchern zusammengestellt und mit Vorschriften und Anweisungen nebst sinnigen Exempeln ausgestattet, deren Beachtung einen Redner auf die Bahn einer erfolgreichen Karriere als Anwalt und Politiker geleiten sollte. Doch nur der Anfänger vertraut der rhetorischen Mnemotechnik und schlägt gleichsam im Kopf im Handbuch nach, welche Begrüßungsformeln und Willkommensgesten ihm in der Senatsversammlung dienlich sein könnten. Der alte Fuchs und gewandte Redner spricht spontan, wählt ohne Federlesens aus der Fülle der angebrachten Exempel das treffende aus, mäßigt und steigert die stimmliche Intonation, wie es sein Gegenstand und die gespannte oder erlahmende Aufmerksamkeit seiner Zuhörer erfordert, ohne im Kopf im Handbuch der Rhetorik nachschlagen zu müssen.

Der Zeichner, der Maler verfügt über die Fähigkeit, zu zeichnen und zu malen. Er hat sich im Studium und in der Lehre bei einem Meister die unterschiedlichsten Techniken angeeignet, kennt die Wirkung der Perspektive, weiß um die suggestiven Reize von komplementären und kontrastierenden Farbwerten und das betörende Spiel von Licht und Schatten. Er mag als gelehrter Kopf eine Menge Wissen aus der Kunstgeschichte und der Farbenlehre angehäuft haben. Aber was er tut, wenn er sich des Zeichenstifts oder der Palette bedient, ist keine Anwendung des Wissens über die Kunst des Zeichnens und Malens nach lehrbuchartigen Vorschriften und Regeln, sondern ein spontaner schöpferischer Akt der zeichnerischen Darstellung und des malerischen Ausdrucks.

Beruhten Zeichnen und Malen auf der methodischen Anwendung erlernter Regeln, wimmelte es nur so von genialen Künstlern vom Schlage eines Dürer und Monet, eines Rembrandt und van Gogh. Dumme Leute behaupten das ja, das eine wie das andere.

Manche Leute haben ganze Wörterbücher, Grammatiken und Stillehren verschluckt, bringen aber keinen einzigen wohlgeformten, geschweige denn glänzend formulierten Satz zustande.

Auch wer das Organon des Aristoteles auswendig gelernt hätte, wäre vor den logischen Fallstricken der Alltagsprache nicht gefeit.

Fehlschluß von der Sichtbarkeit der Wirkungen unserer Fähigkeiten (willkürliche Bewegungen, artikulierte Laute, materielle Symbolisierungen) auf die Unsichtbarkeit ihrer verborgenen Ursache („der Geist“, „das Ich“, „das Bewußtsein“).

Fehlschluß von der den Sinnen verborgenen Heimstatt unserer Fähigkeiten auf die Unsichtbarkeit und Monadenhaftigkeit des Geistes.

Es bedarf sprachlogischen Fingerspitzengefühls, um die winzigen Verknotungen und fadenscheinigen Stellen im Webtuch der Alltagssprache zu ertasten.

Wäre das Komponieren einer Sonate die Anwendung der Regeln der Sonatensatzform, es wimmelte rings von musikalischen Genies vom Schlage eines Mozart und Schubert. Dumme Leute behaupten das ja, das eine wie das andere.

Die Übertragungen der Tragödien des Sophokles durch Hölderlin sind, gemessen an den strengen Kriterien und eisernen grammatischen Regeln des Philologen, an vielen Stellen verfehlt, bizarr, mißlungen, als dichterische Leistung aber vollkommen und unnachahmlich.

Klugheit, Gedankenschärfe, Intelligenz lassen sich nicht durch Bildung erwerben.

Stopfe den Blöden voll mit der Logik des Aristoteles, den Stumpfen mit den feingeschliffenen Sätzen Lessings, den tropfenweich irisierenden Goethes, er verliert sich weiterhin in konfusen Schlüssen vom Faktischen auf das Notwendige, von der Koinzidenz auf das Gesetzmäßige, er gefällt sich weiterhin in nuancenlosem Kauderwelsch, in farblos-mattem Jargon.

Ein Rezept macht noch keinen Meisterkoch.

Wären Erfindungen methodische Anwendungen und Exemplifizierungen von Regeln, es gäbe kein Rad, kein Schiff und kein Flugzeug.

Der Schluß von den Prämissen „Wenn die Lage unübersichtlich ist, warten wir ab“ und „Die Lage ist unübersichtlich“ auf den Satz „Wir warten ab“ ist korrekt; aber in der Praxis versagt er, denn manche Lagen, und seien sie noch so unübersichtlich, verlangen ein sofortiges beherztes Eingreifen.

Die praktische Urteilskraft unterwirft sich keinem formalen System von Maximen und Regeln, sondern trifft ihre unvorhersehbaren Entscheidungen nach Maßgabe dessen, was wir die Lage der Dinge nennen.

Geschmack kann man bilden, verfeinern, veredeln, aber nur in der bunten Lebenswelt der Empirie, nicht in der grauen Bücherwelt der Philosophie.

Der Taktvolle lenkte geschickt vom Thema ab, als es peinlich wurde. Doch wandte er keine Maxime aus dem Lehrbuch über gute Manieren an, sondern überblickte geistesgegenwärtig die Situation, sah den Anflug von Verlegenheit auf dem Gesicht seines Gegenübers, spürte seine Angst vor einer Bloßstellung und handelte instinktiv.

Ausdrucksvoll singen oder musizieren heißt nicht bloß getreulich den Anweisungen der Partitur folgen; was hinzukommt, nennen wir zurecht, wenn auch aus Verlegenheit, bisweilen das „Je ne sais quoi“.

Nicht die Kenner, sondern die Könner, nicht die Gelehrten, sondern die Gestalter erschaffen, formen, inspirieren, was wir eine Kultur nennen.

Was die Klarheit der Darstellung trübt, sind die Schwebstoffe unlösbarer Fragen und opaker Begriffe. Manchmal setzen sie sich, wie bei der langen Lagerung des Weins, als Sediment und Bodensatz ab. Dann kann der klare und kostbare Rest in ein sauberes Gefäß umgefüllt werden.

Nicht die Aufklärung durch enzyklopädisches Wissen macht die Herzensbildung, sondern die Klärung des geistigen Weins, in den wir das ungesäuerte Brot schlichter Worte tunken.

 

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