Zeigen und Nennen
Zur Philosophie der Sprache
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Der Rauch deutet auf Feuer. Stehen wir vor dem Feuer, sehen wir nichts als das Feuer.
Die französischsprachigen Bücher im Regal deuten darauf hin, daß ihr Besitzer Französisch kann. Spricht er uns mit „Bonjour, Monsieur!“ an, ist dies kein Hinweis darauf, daß er der französischen Sprache mächtig ist, sondern ihre Verwendung.
Der junge Pianist könnte wohl zeigen wollen, daß er die Sonate schon so ausdrucksvoll interpretieren kann wie sein alter Lehrer und Meister, der im Publikum sitzt. Doch gerade indem er sie verwirklicht, scheitert seine Absicht. Ausdrucksvoll und schön wird er nur spielen, wenn er sich ganz dem Spiele hingibt.
Die Eisblumen am Fenster künden vom Wintereinbruch, der Schnee auf dem Dach ist einfach der Schnee oder ein Bestandteil der Jahreszeit, die wir Winter nennen.
Das Alphabet hat keine Bedeutung, die riesige alphabetisch angeordnete Liste der Wörterbucheinträge ergibt keinen Sinn. Die riesige alphabetisch geordnete Reihe der Namen des Telefonbuchs und des städtischen Einwohnerverzeichnisses hat keine Bedeutung.
Die Schönwetterwolken am Abendhimmel versprechen uns einen schönen Sommertag. Der wolkenlos strahlende Himmel am Morgen ist kein Anzeichen des schönen Sommertags, sondern ein wahrnehmbares Moment dessen, was wir einen schönen Sommertag nennen.
Das Versprechen, das Buch morgen dem Freund wie ausgemacht mitzubringen, zeigt, wenn es aufrichtig ist, die Verläßlichkeit und Freundestreue des Leihnehmers; wird das Versprechen eingelöst und steht das Buch wieder im Regal, hat es seinen exzeptionellen Status als Leihgabe eingebüßt und ist ein Buch unter anderen.
Der Ehering ist ein Zeichen für die eheliche Verbindung, doch der Beischlaf mit der Sekretärin ist kein Zeichen der Untreue, sondern ein Akt der Untreue.
Das Klopfen an der Tür ist das Anzeichen dafür, daß jemand eintreten möchte. Wer eintritt, macht die Ankündigung wahr.
Die Zahl auf dem Geldschein steht für den Wert des Gutes, das man dafür eintauschen kann. Das damit erworbene Gut ist einfach das Gut.
Der Sinn und die Funktion des Zeigens ist die Wahrnehmung des Gezeigten. Der Sinn des Zeigens des Gezeigten ist die an ihm mögliche Wahrnehmung oder die mit ihm ausführbare Handlung durch denjenigen, dem die stumme oder sprachliche Zeigegeste gilt.
Die Zeigegeste erfüllt sich und erlischt in der Wahrnehmung dessen, dem sie galt.
Ich zeige dir etwas. Du sagst: „Ach, das!“ Das gestische und sprachliche Zeigen ist die Urform der Verständigung.
Du sagst: „Hier entlang, bitte!“ Und ich folge der Aufforderung. Doch würde es ein anderer sagen, vielleicht nicht. Das Zeige- und Zeichenspiel läßt uns gewisse Freiheitsgrade, ja selbst die Möglichkeit, uns ihm zu verweigern.
Der Gebrauch der Zeigegeste und der demonstrativen und pronominalen Zeigewörter wie hier, dort, dieser, jener, jetzt, dann, ich und du überzieht und umspannt die gemeinsame Wahrnehmungssituation mit einem deiktischen Raster.
„Der Mensch dort!“. – Wir können sprachlich nur auf etwas zeigen, dessen Begriff („Mensch“) hinreichend individualisiert ist („der Mensch“).
Wir können den Allgemeinbegriff („Mensch“) als Menge von Gegenständen auffassen, aus dem wir mittels des Demonstrativums („dieser“) oder des Artikels („der“) das individuelle Element herausgreifen.
„Das ist Peter.“ – Allgemeinbegriffe können verneint werden („Das ist kein Mensch“), nicht aber Eigennamen („Das ist kein Peter.“)
Die Sprache ist der Lehrer der Logik.
Begriffe wie Allgemeinbegriffe und Namen sind bedeutungstragende Ausdrücke oder Symbole, deiktische Wörter wie Demonstrativa und Personalpronomina nicht.
Um etwas zu zeigen, genügt meist die einfache Zeigegeste nicht („Schau mal!“), unser Gegenüber muß anhand des Nennworts den relevanten Begriff erfassen („Schau mal, die Taube!“).
Zeigen und Nennen, Zeigfeld und Symbolfeld sind, wie Karl Bühler erwiesen hat, die beiden gleichursprünglichen Funktionen und Funktionsfelder der Sprache. Die eine Funktion kann weder auf die andere reduziert noch das eine Funktionsfeld aus dem anderen abgeleitet werden.
„Jetzt ist er weg.“ – Die Verwendung temporaler Indexwörter (jetzt, gleich, dann) ist eine Funktion der Beobachtung am ruhenden oder bewegten Objekt und ihrer intersubjektiven Mitteilung.
„Wie ich oben dargelegt habe“ – „Wie ich hernach noch näher beschreiben werde“, solche und manch ähnliche Wendungen in Schriftstücken belegen den sinnvollen Gebrauch lokalisierender und temporaler deiktischer Ausdrücke in wahrnehmungsfernen und anschauungslosen Räumen wie Berichten, Erzählungen, Erinnerungsprotokollen, in denen wir eine imaginäre Form der Deixis entwerfen und erfolgreich exerzieren.
Um fiktive Literatur zu verstehen, muß man allererst die verwendete imaginäre Deixis verstehen.
Wir benötigen kein Zeitgefühl, keine Zeitempfindung, keine Zeitvorstellung, um zu verstehen, wenn jemand ankündigt, er werde später kommen, jemand klagt, das sei ein langer Tag gewesen, jemand uns auffordert, uns zu sputen, langsamer zu gehen, schnell ins Nebenzimmer zu kommen.
Wenn wir einem langweiligen Vortrag gedanklich vorauseilen, kommen wir nicht außer Atem.
Wenn wir auf etwas zeigen, können wir uns nicht irren, wohl aber darin, wie wir es benennen, wenn es keine Fichte, sondern eine Tanne ist.
Die Anschauung ist das Quellgebiet des geistigen Lebens.
Es gibt nichts hinter den Dingen, kein Ding an sich, keine Wahrheit hinter dem, was wir anschauen und wahrnehmen. Der Wegweiser, der uns den Namen des nächsten Ortes ankündigt, ist gleichsam ein begrifflicher Platzhalter, der Ort, in den wir gelangen, seine Füllung.
Kraft der Einbettung in deiktische Kontexte sind Anschauungen niemals blind, Begriffe kraft ihrer virtuellen Einbettung in deiktische Kontexte niemals leer.
Die Zeigefunktion der Deixis löst uns den Schleier der Illusion, als wären Wahrnehmungen und Anschauungen subjektive Zustände und innere Erlebnisse.
Sehen wir, was uns der Wegweiser angekündigt hat, ist unsere durch ihn geweckte Erwartung erfüllt.
Erwartung und ihre Varianten wie Befürchtung und Hoffnung sind nicht wie das Gefühl der Ungeduld, der Bangigkeit oder Vorfreude rein subjektive Zustände, sondern intentionale Einstellungen, deren Intentionalität durch das Eintreten des Erwarteten, des Befürchteten oder Erhofften zugleich erfüllt und aufgelöst wird.
Wer auf die Ankunft des Freundes wartet, kann sich langweilen, an ihn denken oder nicht an ihn denken, kann aufgeregt oder gelassen sein – subjektive Befindlichkeiten dieser Art können kein Kriterium für die Einstellung abgeben, die wir Erwartung nennen.
Vielleicht können wir aufgrund der neurologischen Erfassung von Hirnzuständen auf ihr Pendant des subjektiven Erlebens der Langeweile, der Erregung oder Gelassenheit schließen, nicht aber auf die Einstellung der Erwartung, die sie grundieren.
Das Sprachleben im deiktischen Nahfeld und der geteilten Wahrnehmungssituation ist für den Sozialverband überlebenswichtig, denn hier entscheidet die gestische Lokalisierung der Nahrungsquelle und die Warnung vor dem Feind über Leben und Tod, hier müssen Befehle, Aufforderungen und Hinweise die lebensnotwendigen Verrichtungen koordinieren können.
Der soziale Sinn, der sich in den Hinweisen und Aufforderungen „Achtung!“, „Vorsicht!“, „Leise!“, „Schneller!“, „Geradeaus!“, „Links“, „Rechts“ und ähnlichen bekundet, wiegt schwerer als das ausdrucksvolle „O!“ und „Ach!“ des einsamen Subjekts.
Die Nennkraft der Namen erweist sich an ihrer Konkretion und Prägnanz, ihrer Unabhängigkeit kraft Bindung durch Konvention von aller subjektiven Meinung und aller mehr oder weniger losen Verbindung mit Vorstellungen, inneren Bildern, Assoziationen. Ob der zeigende Hinweis „Dort geht Peter!“ vom Freund mit der Erinnerung an das von ihm erhaltene Geschenk aufgenommen und verstanden wird oder vom mißliebigen Konkurrenten mit der Erinnerung an die Affäre mit seiner Frau, in beiden Fällen hängt die Bedeutung des Namens nicht an den von seinem Klang erweckten Assoziationen, sondern einzig an der Identität seines Trägers.
Mit dem Laut „Wasser“ mag der eine den erquickenden Trunk, der andere das erfrischende Bad assoziieren, die Bedeutung ist intersubjektiv-objektiv an die Bedingung geknüpft, daß wir nur, was H2O ist, Wasser nennen.
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