Späte Falter
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Das Verbrechen ist der Ursprung der Tugend.
Die Güte des Wolfs ist eine lammfromme Lüge.
Der Besiegte besingt die Großmut des Siegers.
Die unaustilgbare sündhafte Natur des Menschen ist der Ursprung des sozialen Zwangs.
Der Schmarotzer ist der Schatten des biederen Mannes.
Die fröhlich lärmende Jugend tritt über das sauertöpfische und lärmempfindliche Alter hinweg.
Die Phrase ist der Parasit des faulen Denkens.
Jener, der die Welt neu ordnen wollte, kam nicht einmal bis Moskau; jener, der nur seinen Ruhm zu mehren bestrebt war, bis Indien.
Würde man im Sinne einer romantischen Pädagogik alle Quellen des Lasters trockenlegen und alle Glutherde des Verbrechens austreten, wäre nicht die Tugend der strahlende Sieger, sondern Stumpfsinn und Erstarrung.
Der Terror der Tugend weist auf ihre inzestuöse Beziehung zum Verbrechen.
Überdruß am Menschen, Ekel an der Menschheit – letzte Regungen eines vornehmen Geistes.
Wenn man die Flasche mit dem Zauberwein schüttelt, trübt sie sich von vielerlei Schwebstoffen; lange muß man warten, bevor sich der Unrat setzt und wieder Goldglanz im Licht erscheint.
Mit dem plätschernden und betäubenden Gerede ist es wie mit dem Regen; wenn er plötzlich aufhört und das sanfte Pochen an der Scheibe verstummt, fühlen wir uns einsam.
Fas: die Adern, ius: die Venen.
Der Tod inspiriert die Künste und die Laster.
Den Unterschied zum Tier markiert nicht die menschliche Intelligenz, sondern die Fähigkeit zum Verbrechen und die Anlage zum Wahnsinn.
Die den ewigen Frieden ins Werk setzen wollen, stigmatisieren die Ungläubigen und Skeptiker zu Feinden der Menschheit, die es in einem eschatologischen Endkampf zu beseitigen gilt.
Von den alten Prägungen des gemeißelten Worts bleiben uns die Schatten in den schrägen Strahlen der Abenddämmerung.
Als wäre es vom lähmenden Gift des Nessos verseucht, zieht heute das schimmernde Gewand der klassischen Bildung keiner mehr an.
Die goldenen Tropfen der Verse versickern im Karst der Langeweile.
Wenn wir, um unseren Begleiter auf ihn aufmerksam machen wollen, auf den alten Bekannten hinweisen, der auf der anderen Straßenseite entlanggeht, zeigen wir weder auf seine Seele noch auf seinen Körper.
Wir können unseren alten Bekannten Peter nur anhand seiner physischen Präsenz identifizieren; aber wir sagen nicht, dort gehe der Körper von Peter vorbei.
Ist der Traum, den wir erzählen, in demselben Sinne unabhängig von dem, was wir sagen, wie unser gestriger Spaziergang im Park, den wir erwähnen?
Das Neue Reich Stefan Georges wurde durch das Dritte nicht desavouiert, sondern verdrängt.
Kondor der Theorie, Maulwurf der Empirie.
Depotenzierung durch Verniedlichung – der antike Eros mit dem fatalen Pfeil, barocke Putten mit lieblichen Wangen und Engelsflügeln.
Das glänzende Sekret des Jargons, auf dem die Eintagsfliegen kleben.
Die friedlich tun, sind meist nur zu schwach, um zurückzuschlagen.
Die auf wackligen Füßen stehen, klammern sich an die Schultern von Riesen, preisen sie als Vorbilder und ihr Verhalten als Verehrung. Doch in ihren Augen flackert der Groll, ihre Wangen färbt die Glut der Beschämung.
Das innige Schluchzen der Nachtigall, skandiert vom dumpfen Schlag des Holzfällers.
Die Glocken im Turm der Erinnerung tönen inniger als die wirklichen.
Das verrauschte Schubert-Quintett, damals aus dem alten Röhrenradio, ergriff stärker als die klangreine Aufführung, später im prachtvollen Saal.
Der Greis, der im herbstlichen Park, die Blicke gesenkt, auf der Bank saß, gewahrte einen Schatten, der sacht vorüberglitt. War es die Wolke der Erinnerung, war es der Flügel des Glücks?
Die Schule des Denkens befindet sich nicht hinter der Pforte des philosophischen Seminars.
Die Rose leuchtet betörender, verheißungsvoller als unter der Glut der Mittagssonne aus den Schatten der Dämmerung.
Dem Einsamen, dem sich der Glanz ihm aufgeschlagener Augen versagte, beschwört ihn noch im Schimmer seiner Tränen.
Was bleibt den Enterbten, als den trügerischen Schimmer der Illusion dem trostlosen Grau der Wahrheit vorzuziehen?
Die Königskerzen leuchten schmerzlicher im fahlen Dunst.
Die Weiden wehen abschiedlicher über dem von Schwänen verlassenen Teich.
Verse, die ihrer Knospen müde Lider in der Stille der Dämmerung langsam verschließen.
Veilchenblauer Klang, der über den dunklen Moosen der Abenddämmerung allmählich verstummt.
Die Worte waren verbraucht, doch wir hatten noch Atem, Glut aus der Asche zu hauchen.
Blicke, eins ins andere tauchend, ohne den Grund zu erreichen.
Einsamkeiten, die sich wie späte Falter umgaukeln.
Letzter Abendstrahl, herniederseufzend durch das Dickicht der Schmerzen.
Gewickelt in das kühle Laken des Monds den Rufen des Kuckucks aus den Wäldern der fernen Heimat lauschen.
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