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Der Garten der Kultur

23.07.2020

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Scheinbegriffe wie „Gegenstand“, „Objekt“, „Ding“, „Seiendes“ sind deshalb mit äußerster Vorsicht und semantischem Fingerspitzengefühl zu behandeln, weil sie vorgeben zu sein und zu können, was sie nicht sind und nicht vermögen: Begriffe, die etwas über die Welt der Tatsachen sagen; stattdessen sind sie ziemlich versteckte Hinweise, nämlich auf die Art, die Struktur und die grammatische Form derjenigen Sätze, in denen wir über Äpfel, Bäume, Gärten, Peter oder Pierre und Deutschland oder Frankreich sprechen.

Wenn wir von Äpfeln als von Gegenständen oder Dingen sprechen, meinen wir damit, daß sie in eine semantisch-grammatische Leerstelle eines Satzes passen, in dem andere Leerstellen oder Funktionen mit Ausdrücken wie „reif“ oder „unreif“, „süß“ oder „sauer“, „von diesem Jahr“ oder „vom Vorjahr“ ausgefüllt werden können. Der Satz aus dem metaphysischen Jargon „Es gibt Äpfel“ ist daher entweder sinnlos oder bedeutet, daß wir mit dem Ausdruck „Äpfel“ Sätze der genannten Art und Struktur bilden können.

Wenn wir von Menschen reden, meinen wir damit, daß wir Sätze wie „Peter ist Hansens Freund“ oder „Claudia ist mit Peter verheiratet“ bilden können. „Mensch“ ist die semantisch-grammatische Leerstelle oder Funktion eines Satzes, die durch einen Eigennamen ausgefüllt und erfüllt werden kann. Der Satz aus dem metaphysischen Jargon „Es gibt Menschen“ ist daher entweder sinnlos oder bedeutet, daß wir den Ausdruck durch Eigennamen und ihnen sinnvoll zukommende oder nicht zukommende Relationen ersetzen können, wenn wir zum Beispiel von Helga fälschlicherweise behaupten, sie sei mit Peter verheiratet.

Wenn wir scheinbar metaphysische Sätze über Gegenstände als kryptische Hinweise und Fingerzeige auf die logische Form und die semantisch-grammatische Struktur unserer Ausdrucksweise durchschauen, müssen wir uns im nächsten Schritt davor hüten, diese fürderhand einfache logische Form als elementare Basis und Fundament mißzuverstehen, worauf wir alle sprachlichen Ausdrücke für unsere komplexere Wahrnehmung und verwickeltere Erfahrung aufbauen könnten, indem wir etwa Sätze bilden wie: „Die Äpfel in der Schale schmecken sauer und der Baum, an dem sie wuchsen, gehört Peter.“ Denn daß die Äpfel ein Eigentum von Peter darstellen, weil der Garten, in dem der Apfelbaum steht, sein rechtmäßig erlangtes väterliches Erbe darstellt, ist nicht in demselben Sinne eine Erfahrungstatsache wie die Tatsache, daß sie sauer schmecken.

Eigentum ist wie alle sittlichen Begriffe (sittlich im Sinne Goethes) keine höherstufige Form von Begriffen, die wir verwenden, um unsere Sinneseindrücke wie süß und sauer zu bezeichnen; was wir vom Eigentum und anderen Formen sittlicher Existenz aussagen, kann aus Sätzen über unsere Sinneseindrücke und Wahrnehmungen nicht mittels Komplexion und Synthese aufgebaut und ermittelt werden.

Wir bemerken diesen Unterschied unmittelbar am semantischen Unterschied der von Peter geäußerten Sätze: „Der Apfel schmeckt mir sauer“ und „Der Garten gehört mir“; denn den ersten Satz könnte auch Hans, Pierre oder Claudia äußern, nicht aber den zweiten.

Wir kennzeichnen diesen Unterschied auch in der Weise, daß wir sagen, ob der Apfel süß oder sauer schmeckt, ist eine Frage der (sensorischen) Wahrnehmung, nicht aber, wessen Eigentum der Garten ist, in dem er reifte; denn dies ist eine Sache der durch rechtliche Spielregeln festgeschriebenen Konvention. Dies aber meint das Gegenteil von Beliebigkeit. Denn würde sich Hans plötzlich als Eigentümer des Gartens ausgeben, wäre eine solche Prätention eine strafrechtlich zu ahnende Form des Betrugs.

Daß wir in der sittlichen Welt leben, gehört zur Signatur unserer geschichtlichen Existenz, unserem Schicksal, aus dem Garten Eden, dessen Eigentümer nicht der Mensch, sondern Gott war, in eine aus Licht und Dunkel, Heil und Unheil gemischte Welt vertrieben zu sein.

Das Eigentum gehört in der sittlichen Welt wie alle Formen von Hierarchie, Ordnung und kultureller Hege zu den Maßstäben und Maßgaben des Katechon, des Aufhalters der gänzlichen Verwilderung und Verwüstung; denn wäre der Garten nicht Peters oder irgendeines Menschen Eigentum, würde er mangels Sorge und tätigen Bemühens um sein Wachsen und Gedeihen, wozu nicht nur das Pflanzen und Veredeln, sondern auch das Jäten des Unkrauts und das Beschneiden wuchernder Triebe gehören, bald ganz und gar verwildern.

Zur Pflege und Hut des Gartens wie zum Sinn des Gartens der Kultur überhaupt gehört auch die Verpflichtung, ihn mittels probater Mittel, von der Umzäunung und Bewachung bis zum Einsatz der Flinte, vor übelwollenden Eindringlichen, Knospenschändern, Fruchtbesudlern und Sinnzertrümmerern zu schützen. Wer das Loch im Zaun nicht mehr zu flicken willens ist, hat wie jener, der die Schwelle des Hauses, das bekanntlich unsere Sprache ist, nicht mehr hütet, sich und seine kulturelle Existenz bereits aufgegeben.

Vom Geschmack der Äpfel des Paradieses haben wir keinen Begriff, ebensowenig wie von der Sprache Adams. Wir könnten uns nicht vorstellen, Adam habe seiner Eva Liebesbriefe geschrieben oder Minnelieder gesungen.

Die Sprache der Dichtung und ihre Bilder, Wendungen, Metaphern spiegeln wie unsere Gärten und deren Blumen und Früchte das heimische Element, das territoriale Aroma, das Licht des heimatlichen Himmels.

Die Bilder der dichterische Sprache, die ihres heimatlichen Wurzelgrunds und der herben und süßen Aromen der Blumen und Früchte ihres heimischen Gartens entfremdet ward, sind blaß und schmecken fade, ihre Metaphern hinken mit schmerzlich verrenkten Versfüßen durch Wildwuchs und alle Konturen verwischenden Dunst.

Der überzüchtete Geschmack mag sich mit den Federn der Aras schmücken, auf das zarte Moos unserer Lieder sinkt der weiße Flaum der Taube herab.

Doch sogar im Hain von Kolonos singt die Nachtigall.

Die Serenade Mozarts ist durchtränkt vom süßen Abendhauch der neapolitanischen Bucht, die Gedichte Goethes sind Schalen, wo neben heimischen Beeren und Äpfeln Zitronen und Orangen glühen, umrankt von Lorbeer und Myrthe.

Der um sein Sterben weiß, umfaßt seine Existenz mit einem Worte: ich.

Der christliche Gott ist im eigentlichen, uns nahe gehenden Sinn Person, denn er ging durch den Tod in Christus.

Wenn der Garten Peters Eigentum ist, wissen wir, daß er die Wahrheit sagt, wenn er sagt: „Der Garten gehört mir.“ – Doch nur wenn Peter sagen kann: „Dies ist mein Garten“, kann er als Eigentümer gelten. Könnte er es nicht mehr sagen, würde ihm der Eigentumstitel aufgrund geistiger Umnachtung abgesprochen.

Von der Sprache Adams wissen wir nicht zu sagen, ob sie die uns unentbehrlichen Personalpronomina und vor allem das der ersten Person enthielt; falls wir uns überhaupt einen Begriff einer impersonellen Sprache machen können.

Unsere Sprache wird demnach nicht durch ein ontologisches Gerüst mittels Scheinbegriffen wie „Gegenstand“, „Objekt“ und „Ding“ oder „Etwas“ gestützt, sondern hängt und schwebt und zittert gleichsam an den unscheinbaren Fäden der Personalpronomina und allen voran dem der ersten Person in der bewegten Luft der geschichtlichen Existenz.

Unsere natürliche Sprache ist ein Spiegel, eine Funktion und ein symbolischer Ausdruck unseres bewußten Lebens – dies gilt auch und gerade, wenn dieser Spiegel vom Atem des Gedichts mit den Trübungen und Schatten des kaum Empfundenen und traumhaft fast Unbewußten angehaucht wird.

Wir finden uns nicht in der noch so dichten Beschreibung unseres Lebens wieder, wenn sie auch der akribische Bericht über jemanden unseres Namens wäre; es könnte immer die Erzählung vom Leben eines anderen sein, unseres Doppelgängers, wenn wir nicht als Akteur des eigenen Dramas auftreten, der von sich und im eigenen Namen spricht und Äußerungen seines Erinnerns, Bejahens und Verneinens an diesen oder jenen richtet, ja auch wenn er nur zu sich selber redet.

Die knorrigen Obstbäume und die alten Rosenstöcke haben nicht wir selbst gesetzt, begossen und umhegt, sondern die vor uns waren und von denen wir den Garten und seinen Reichtum geerbt haben. Dies Erbe anzutreten und den Auftrag der Hut, Pflege und Weitergabe der geistigen Überlieferung in Kunst und Dichtung mit der Demut der Beschenkten und dem Stolz der Schenkenden zu beherzigen, ist der Sinn unserer geschichtlichen Existenz.

 

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