Die zerbrochene Äolsharfe
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Gründe, Vernunft, Argumente, Theorien: Fetische der Philosophen, die mit ihnen – vergebens – die fatalen Wahrheit verdecken und bannen wollen, daß wir grundlos leben und nur in Zweifelsfällen wägen, was wir tun und sagen.
Wir reden so dahin, ohne zu wissen, was wir sagen.
Auch wenn wir nicht gemäß dem rationalen Muster leben und handeln und reden, wie es die Philosophen von Sokrates bis Kant und Habermas gutheißen oder uns vorschreiben, folgt daraus nicht, daß wir Gefahr liefen, wie Musikautomaten angesehen zu werden oder Papageien einer eingebauten biologischen Partitur.
Die Philosophen lassen sich vom verführerischen Bild des Grunds und Fundamentes, auf dem ein Gebäude steht, gern zu theoretischen Annahmen letzter Begründungen inspirieren; doch das Firmament und Himmelszelt ruht nirgends auf, die Gestirne schweben gleichsam losgelöst und frei im Leeren.
Wir spielen, voller Unschuld, doch manchmal mit tödlichen Folgen, Schicksal miteinander.
Wenn die soziale Maske auf das biologische Muster paßt, verstehen wir einander wie Mann und Frau oder Kinder und Greise intuitiv.
Die perfideste Rache: den anderen in den Wahnsinn treiben.
Der perfekte Mord: den anderen in den Selbstmord treiben.
Ikonographie des Alltags: Das Kind läuft dem roten Ball nach, die Alte schiebt ihren Rollator vom Supermarkt, der Bettler hält die Schale hin.
Grundformen der Kommunikation: zwei, die Güter tauschen oder Worte; einer schenkt dem anderen ein Gut oder ein erfreuliches Wort; einer raubt dem anderen sein Gut oder die Möglichkeit, sich auszudrücken; einer raubt dem anderen sein Gut und zerstört es.
Tausch, Gabe, Raub und Zerstörung bilden die Bilanz der menschlichen Kommunikation.
Aller Ehren wert ist die Illusion der Unsterblichkeit der Seele, wenn sie sich aus der Hoffnung nährt, den vom Tod aus den Armen gerissenen Geliebten wiederzusehen.
Bedenklich, ja verächtlich ist diese Illusion, wenn sie aus dem Ressentiment des gekränkten, zukurzgekommenen und übervorteilten Lebens aufkeimt, um seine jenseitige Rache an dem stärkeren, reicheren oder verbrecherischen Leben zu ermöglichen.
Die dumpfe Hefe der Religionen gärt vom Ressentiment der Rache und Vergeltung.
Was sollen dem alten Weib, das mit zitternder Hand in der Gnadenkapelle eine Kerze entzündet, die dogmatischen Lehren eines Athanasius oder Augustinus?
Wasserspiele, Trompe-l’œil, Irrlichter, farbige Schatten, perspektivische Täuschungen, rätselhafte Echos, kurz: köstliche Spiele zwischen Sein und Schein locken in den Garten der Kunst.
Rokoko, bezaubernde Tändeleien, durchschimmernd wie Porzellan, Serenaden auf schwankenden Booten, in denen die Geige aus perlenden Schäumen der Flöte nixenhaft auf- und niedertaucht, im Sommerduft des Parks verhauchte Arien, Schäferspiele zwischen seufzenden Wassern und rosenüberwachsenen Pavillons, neckendes Spiel der Blicke hinter bunten Fächern, zitternd wie vom Trinken und Schillern ermüdete Falter, enge Mieder, künstlich inniger zu schluchzen, weite blumenbestickte Röcke, lüsterne Spiele des Winds.
Wie dumpfer Seele Schwere sich löst in wehenden Zweiges Schatten, dem zarte Fäden webenden Licht des Abends, dem leise in der Dämmerung des Grases glucksenden Wasser, in Sonnenflecken auf milchiger Birkenhaut.
Alter Baum, der für sich steht auf weitem Feld, knorrige Fäuste gegen die unbarmherzige Sonne reckend, gebeugt unter den nassen Flüchen des Winds, als rausche in seinen Zweigen noch das Lied des Hirten, der vor Zeiten sich schläfrig an seinen Stamm gelehnt hat.
Mag der Dichter die Äolsharfe der Sprache in den Wind des Zufalls halten, besser als sie für eine Partitur gezinkter Noten zu mißbrauchen.
Die sich groß dünken und als Frucht ihrer Bemühungen die Stücke der eigenhändig zerbrochenen Windharfe ins johlende Publikum halten.
In den Maaren steigen am Rande noch Bläschen aus der Tiefe der Vergangenheit dieser Vulkanseen; so die Erinnerungen aus der Seele des Dichters.
Aus der Vergangenheit steigt bisweilen ein Name auf, völlig abgelöst vom Bild und der Stimme seines Trägers, wie im Dunst über grauem Wasser ein voller Mond; mag es uns dermaleinst mit dem eigenen Namen ebenso ergehen.
Glück war, aus dem Wirbeln und Stäuben des Schnees mit glühenden Händen und Ohren sich als Kind in die Stube der Großmutter zu flüchten und die kalten Füße in den zahnlosen Rachen des gußeisernen Herds zu stecken.
Glück auch, nach dem strengen Aufstieg aus dem Moseltal sich in der Höhe zwischen kitzelnde Gräser zu legen und wie in Trance zu den ziehenden Schneebergen der Wolken zu blinzeln, während einzelne große Schweißperlen über die Wange in den Mundwinkel rannen – ihr Salz zu schmecken und an das Meer zu denken.
Glück, sich in die Frische und sich erneuernde Macht des Wassers zu neigen, sich von seinem murmelnden Schweigen überrinnen zu lassen, sein immer altes, immer neues Lied aus dem Ächzen von Röhricht und Binsen herauszuhören.
Ja, Glück der Ungewißheit in diesem jähen Wehen der Zweige und Flattern der Blätter, wenn schneller graue Wolke aufziehen, erste Tropfen wie winzige Warnschüsse auf fettem Kohl und dürrem Reisig platzen, wird man noch rechtzeitig trocken heimkehren, und die Lust wandelt einen wie eine süße Ohnmacht an, reglos auf der Wiese liegen zu bleiben, sich von Blitzen grüßen zu lassen, sich segnen zu lassen von warmen Sommerschauern.
Bange Seligkeit des einsamen Kindes auf dem Rücken des Pferds, das sich immer schneller dreht, und die da winken an der Seite des Karussells, sind es noch die Eltern, die Freunde noch, und die kleine Hand, die sich ängstlich an die harten Roßhaare geklammert, gibt sich frei und schwankt auf und ab im Wind wie eine vom Gitter gerissene Ranke.
Glück sogar, ist der Tod ein guter Tänzer, der dich in einem letzten rauschenden Walzer dreht und herumwirbelt, und seitlich an den immer weiter zurückweichenden Wänden winken die Freunde, die Geliebten, selbst einige finstere Gesichter sind darunter, die sich nun ein wenig aufhellen.
Gewiß ist die Monarchie die würdigste Regierungsform, wenn bis in den Dämmerwinkel der Köhler, Diebe und leichten Mädchen goldene Schimmer der kaiserlichen Embleme dringen und die schönen Parkanlagen um die Hofburg selbst das feinnervigste Sensorium der Musiker und Dichter mit dem Plätschern ihrer Brunnen, dem duftigen Schaum ihrer Fontänen und den Wohlgerüchen ihrer exotischer Blüten zu Werken inspirieren, deren süße Geheimnisse bestricken und deren Teint durchsichtig schimmert wie die zarte Haut der jungen Kaiserin.
Banges Glück, wenn der Einsame unterm schrägen Dach schlummerlos liegt und aus ebenso einsamer Höhe der Nacht blaue Kühle durch das kleine offene Fenster strömt, unvermutet indes wie über das Ufer schlagende Wellen ferne Glocken den Morgen verkünden, den Anbruch des Tages, zu dem sie einladen wie weich dahinziehende Wasser den mutigen Kahn.
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