Das zarte Gras der Stille
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Dummheit ist nicht heilbar; sie ist vegetativ wie das Nickerchen nach üppigem Mahl, wie das Schnarchen Homers.
Herrschaft des Demos impliziert die zyklische Ausbreitung von Massenwahn.
Vor den Argusaugen des Demokraten findet der aristokratische Hüter der Sprache immer weniger Schlupfwinkel, um die natürliche Extravaganz und unbotmäßige Grazie seiner Rede zu bergen.
Der natürliche Ausdruck der Freiheit des Demos ist sein Feixen, Jauchzen und Grölen – und der Ruf- oder Lynchmord an dem, der abseits steht und angewidert schweigt.
Die Rhetorik der Politik schöpft aus dem Wörterbuch des Teufels, das von Euphemismen nur so wimmelt.
Die geistig Impotenten haben die Kunst moralisiert und politisiert.
Je stupider, öder, unfruchtbarer der öffentlich alimentierte Kunstbetrieb, umso schriller, lauter, ekstatischer.
Die Waldmaus läßt sich von den Leckereien, Speck und Kuchen, nicht verlocken und bestechen, die ihr die Stadtmaus kredenzte, nicht weil, wie der Fabeldichter meint, die Nähe des Menschen sie erschreckte, sondern die frugale Nahrung ihrer Heimat ihr würziger und schmackhafter mundet und sie ihre Jungen lieber als in verrotteten Matratzen im moosigen Schlupfloch des Waldes birgt, auch wenn aus dem Dunkel bisweilen böse Augen blitzen.
Die weibliche Stimme, die nun an den Kathedern gehätschelt wird, ist eine frigide krächzende, sich heiser überschlagende Karikatur der männlichen.
Die Marktschreier des „Nie wieder“ kennen den ersten historiographischen Grundsatz nicht, daß die Bedingungen, Erlebnishorizonte und Erwartungen der vergangenen Gegenwart nicht diejenigen der aktuellen sind.
Der große Gesang entspringt einem reinen Quell, nicht der Kloake der Aktualität.
Die Unfruchtbaren suchen ihr steriles Heil, ihre Eunuchenlust in der Kritik.
Kindergärten, Schulen, Universitäten, Vereine, Kirchen und Unternehmen werden von den Leviten und Fanatikern einer alles vermischenden neuen Unreinheit ethisch gesäubert.
Milch ins Blut, Wasser in Wein, Wahn ins Wort heißt des Deutschen Reinheitsgebot.
Das Niederreißen der Ränge und Hierarchien, das Öffnen aller Grenzen und Beschränkungen befeuert den Neid, verschärft die Zwietracht und steigert die Verwirrung.
Man kann das Meer nicht mit einer Muschelschale ausschöpfen, die Erfahrung nicht mit dem Begriff, die Empfindung nicht mit dem Wort.
Sie wollen nichts über sich, und ihr Horizont ist leer.
Klarheit über das Gewesene verschafft nicht die Erinnerung, sondern das dingliche Zeugnis.
Der Zeitzeuge ist meist eine dubiose Figur, je weiter er sich vom Ausgangspunkt entfernt, umso mehr verschwimmt seine Erinnerung wie milchiges Glas und setzt einen Bodensatz an Legenden ab, die dem Zeitgeschmack schmeicheln.
Wenn wir gefragt, ob wir gestern im Park gewesen seien, ohne Zögern mit ja antworten (denn wir waren dort), müssen wir nicht umständlich im Gedächtnis nach der passenden Vorstellung suchen, als wäre es eine Lagerhalle, in der sich die Erinnerungen wie Bilder und verstaubte Folianten stapeln.
Die Erinnerung kann kein Bild des Erinnerten sein, wäre sie es, brauchten wir ein weiteres Bild, das die Echtheit des ersten bezeugte (und so weiter ad infinitum).
Wir müssen die Sprachregel spontan anwenden, wäre dem nicht so, müßten wir nach einer weiteren Regel Ausschau halten, an der wir überprüfen, ob wir die erste korrekt verwendet haben (und so weiter ad infinitum).
Das logische Salz verhindert, daß der Eintopf unserer Rede schal wird, wenn wir ihm neben einer Äußerung ihr glattes Gegenteil beimengen.
Den Satz vom auszuschließenden Widerspruch können wir nicht begründen, denn versuchten wir es, müßten wir uns wiederum auf ihn stützen.
Auch wenn ich den Rosenduft nicht rieche, nicht das Rauschen der Blätter höre, die das Gedicht beschwört, vermag es doch Sommers hellen Zauber in mir zu wecken.
Das feine, an die Resonanzen der Dämmerung gewöhnte Ohr vernimmt das Mitgesagte, das Verschwiegene, das Ungesagte.
Das geistreiche, vom Clair obscur verwöhnte Auge läßt sich vom Plakat (und allem Plakativen) nicht blenden.
Die sehende, an den Narben der Erfahrung erwachte Hand verweilt nicht ungern auf den weichen Wangen des Eros, doch auf den Runzeln der geliebten Stirne hält sie inne.
Die großen Worte, die da alle im trüben Schlamm der Floskeln und Parolen versickerten.
Die Sprache, die uns nährt, hat ihre Jahreszeiten des Fruchtens und der Dürre.
Wir haben für die Zeiten der Dürre einen Vorrat köstlicher Früchte in den dunklen Kammern der Überlieferung.
Der äußersten Gefahr enthebt uns bisweilen die Entrückung.
Kindfrau ist des Dichters Muse. – Ach nein, ein Bürger ist er nicht, er will sie weder ehelichen noch mit ihr ins Bett.
Wenn Geschwätz uns übermannt, fliehen wir zu den Gräsern und Blumen, wenn Wahn uns heimsucht, neigen wir uns dem Rauschen der Quellen und Ströme, wenn aber der Abgrund des Schweigens sich auftut in uns – sind ohne Halt wir verloren oder im Bodenlosen schwebend gerettet?
Entsagung, das zarte Gras der Stille.
Ein Nachbild, das verlöscht, ein Nachhall, der verklingt.
Die Freiheit weiß nichts mit sich anzufangen, die Vernunft gähnt und dreht sich auf die andere Seite, die Einfalt aber streift barfuß durchs Gras und plaudert mit den Schatten.
Die Einfalt nimmt mit graziöser Geste die Blume aus der Hand des Buckligen und achtet nicht der Spötter.
Die Einfalt küßt den moosigen Stein für sein Schweigen, das herabgefallene Blatt für sein Rauschen, das Hündchen für sein pochendes Herz, den gelb-grünen Sittich, weil er sich auf ihren Kopf und ihre Schulter setzte.
Die Einfalt küßt, die sie stach, die schöne Rose.
Sie meint Erlösung, wenn sie einen Hauch läßt zwischen Mund und Mund.
Amor staunt vor ihrer reinen Anmut und läßt den Bogen sinken.
Wo sie Abschied winkend stand, blüht eine Lilie zwischen Hoffen und Hoffen.
Nein, die Wunde schließt sich nicht, doch sie leuchtet bisweilen, eine Rose der Nacht.
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