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Philosophieren XLV

27.09.2013

Die Erlebnisinhalte – bei allem Unterschied in Vielfalt, Intensität und Qualität – machen den radikalen Unterschied zwischen deinem Leben und meinem Leben nicht aus, sondern allein die Tatsache, dass du selbst jene Inhalte erlebt hast beziehungsweise dass ich selbst sie erlebt habe.

Wir können die Inhalte unseres Erlebens einander mitteilen, aber die singuläre Art und Weise des Erlebens, wie beispielsweise dir der Kaffee geschmeckt hat, kann ich nicht mit dir teilen. Du kannst mir die Art und Weise, die spezifische Farbe oder das spezifische Gewicht, deines Erlebens nicht einflößen, sodass es Teil meines Erlebens würde, wie das Stück Kuchen schließlich und endlich Teil meines Blutkreislaufs wird.

Ich kann anhand deines Schmerz- oder Lustgebarens ermessen, dass du Schmerz oder Lust empfindest. Und ich kann dir nur in Rand- und Ausnahmefällen unterstellen, dass du mit dem einen oder anderen Gebaren nur vortäuschst, Schmerz oder Lust zu empfinden. Allerdings bin ich prinzipiell nicht in der Lage, deinen Schmerz, deine Lust zu empfinden.

Aus deinem körperlichen Gebaren, deinen Gesten und Bewegungen, deinem Mienenspiel sowie am Sinn deiner Äußerungen und am Sinn und Zweck deiner Handlungen sowie aus den mannigfachen Verflechtungen unserer sozialen Interaktionen erfasse ich unmittelbar die Tatsache deines Beseeltseins. Ich habe mich nicht nach langwierigen Überlegungen zu der Überzeugung durchgerungen, dass du keine intelligente Maschine und kein menschenähnlicher Roboter bist, der menschenähnliche Gesten, Bewegungen und verbale Äußerungen nachahmt, ohne die sie begleitenden Bewusstseinszustände, Gedanken, Empfindungen und Gefühle zu haben – sondern ich bin mit dir in einer gemeinsamen Lebensgestalt gleichsam verschmolzen und würde nie und nimmer auf die Idee verfallen, es könne anders sein.

Du hast grosso modo die gleichen Organe zum Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken und Riechen wie ich. Warum sollte also das, was du siehst, hörst, fühlst, schmeckst und riechst, in seiner sensorischen Anmutung und Qualität prinzipiell anders beschaffen sein als das, was ich sehe, höre, fühle, schmecke und rieche? Ist es auch nicht prinzipiell anders, wird es doch graduell mannigfach variieren.

So empfindest du mit deinem empfindlichen Geschmackssinn den Kaffee bereits als etwas bitter, wenn ich ihn mit meinem gröberen Organ noch genüsslich herunterschütte. Du magst beim fernen Geräusch der Kreissäge Heimweh nach den Kindheitstagen empfinden (damals warst du gern beim Schreiner in der Werkstatt), während ich dieses Geräusch nur lästig finde. Solcherart sind unsere sinnlichen Wahrnehmungen und Empfindungen übersponnen von zarten Fäden der Erinnerung und der Phantasie. Das macht eben die Nuancierung und Raffinierung unserer Empfindungen, Wahrnehmungen und Gefühle aus, die insofern zwar nicht vergleichbar, aber auch nicht jenseits aller Berührungspunkte sind. Ja, wir versichern uns dieser Berührungen in all den Fällen, in denen wir unsere Erfahrungen austauschen und etwas gemeinsam erleben. Ich verstehe ja, was du meinst, wenn du sagst, der Kaffee schmecke ein wenig bitter, und wir sind uns einer Meinung, wenn wir unseren gemeinsamen Aufenthalt in der herbstlichen Pracht des Bethmannparks schön, erfreulich, erheiternd oder inspirierend finden.

Wir können demnach nicht umhin anzunehmen, die Seele sei in jedem von uns gänzlich verkörpert – gleichsam über die ganze Oberfläche und Haut unserer Körper verteilt – und der Körper sei gänzlich beseelt.

Ein Roboter könnte so tun, als habe er Schmerzen – er imitiert aufgrund des eingegebenen Programms und der eingespeisten Daten das menschliche Schmerzverhalten –, ohne echte Schmerzen zu empfinden. Ein menschenähnlicher Roboter, bei dem du die fremde Herkunft nur erführest, wenn du die Drähte und Schaltkreise unter seiner Schädeldecke entdecktest, dieser Roboter könnte auf deine Frage nach seiner gegenwärtigen Lektüre intelligent und sinnvoll antworten und beispielsweise stolz verkünden, er lese gerade regelmäßig abends vor dem Einschlafen mit hohem Genuss und tiefer Bestätigung seiner eigenen Ansichten die „Philosophischen Untersuchungen“ von Ludwig Wittgenstein. Natürlich hat unser Roboter weder die Fähigkeit, mit Verständnis und voller Konzentration zu lesen, noch die Fähigkeit, mit Sinn und Verstand sich mit dir über seine Lektüreeindrücke auszutauschen. Das programmierte Benehmen und die täuschend echten Äußerungen des Roboters, der den Turing-Test spielend bestünde, hat keinen seelisch-semantischen Hintergrund, der allein ihn hierzulande und hienieden zu einem echten Mitglied der menschlichen Gemeinschaft machen würde.

Wie könntest du einem Roboter, den wir mit all unserem Weltwissen, allen logischen Kalkülen, den grammatischen Regeln und Vokabularien aller Sprachen gefüttert hätten, ein Schnippchen schlagen? – Nun, frage ihn einmal, ob mein Hund, wenn ich ihn für einige Tage bei meinen Nachbarn untergebracht hätte, in der Hoffnung auf mich wartete, mich bald wohlbehalten wiederzusehen. Weil eine intelligente Maschine zwar über all die Algorithmen und all die neuronalen Netzwerke verfügt, die nötig und hinreichend sind, um komplexe Berechnungen schnell und erfolgreich durchzuführen, ihr aber die uns Menschen auszeichnende und daher uns unverzichtbare seelisch-semantische Dimension des Ich-Erlebens abgeht, wird unser Roboter dir prompt antworten: „Natürlich wird dein Hund hoffen, dich bald wohlbehalten wiederzusehen.“

Gewiss mag dein Hund eine Vielfalt intelligenten Verhaltens aufweisen und einen großen Reichtum emotionaler Reaktionen zeigen – aber Erwartungen wie die, dich in ein paar Tagen wiederzusehen, oder Absichten wie die, ab nächsten Monat das von dir ihm zugeworfene Stöckchen nicht mehr gehorsam zu apportieren, kann er nicht hegen und ausbilden.

Roboter, Universalgenies kalkulatorischer Intelligenz, aber seelisch-semantische Kretins, können nichts von der seelisch-semantischen Grenze wissen, die zwischen der Welt der Menschen und der Welt der Hunde – trotz allen kommunikativen Spielraums konditionierter Verhaltensreaktionen der letzteren – einen unüberwindlichen Abgrund markiert, der uns daran hindert, in echte sprachlich fundierte Kommunikation einzutreten. Die encodierten Algorithmen oder neuronalen Konnektionen von Robotern sind gleichsam als Universalsprache und Generalschlüssel für alle möglichen Weltmodelle ausgelegt. Daher geraten sie an der seelisch-semantischen Grenze zwischen der Welt der Menschen und der Welt der Hunde ins Stolpern.

Könntest du einem Roboter noch auf andere Weise im Imitationsspiel des Turing-Tests ein Schnippchen schlagen? – Nun, frage ihn einmal, ob er so freundlich sein mag, DEINE Schmerzen zu fühlen. Weil einem Roboter gleichsam nichts Fremdseelisches fremd ist und er die seelisch-semantische Grenze zwischen dir und ihm, deinen echten Schmerzen und seinen simulierten Pseudo-Schmerzen nicht erfassen kann, wird er dir prompt „in aller Unschuld“ antworten: „Gerne erweise ich dir mein echtes Mitgefühl und nehme dir deine Schmerzen vollständig ab, indem ich sie an deiner Statt empfinde.“ – Und schon hast du ihn!

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