Semantischer Antinaturalismus I
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Die Musik Mozarts ist ein einleuchtenderes Argument für das Dasein und Wirken einer göttlichen Macht als der ontologische Gottesbeweis.
Wenn deine sprachlichen Verlautbarungen wie die Aussage „Dort kommt mein Freund Peter“ Funktionen oder Wirkungen der neuronalen Prozesse wären, die deine Sprechwerkzeuge so stimulieren, dass du den Satz äußerst, könntest du nicht wissen oder herausfinden, ob er wahr ist.
Denn um zu wissen oder herauszufinden, ob der Satz wahr ist, musst du auch wissen, was es heißt, dass er falsch sein könnte, nämlich in dem Fall, dass du dich geirrt hast und es sich nicht um deinen Freund Peter handelt. Doch nichts an neuronalen Prozessen oder ihren Wirkungen kann falsch sein.
Wenn du dich bei der Addition verrechnest, könntest du niemals einsehen, dass du einen Fehler gemacht hast, wenn deine Rechenleistung ähnlich wie die Rechenleistung eines Computers durch ein algorithmisches Verfahren durch einen neuronalen Vorgang determiniert wäre. Nichts an einem neuronalen Vorgang oder an der Rechnung eines Computers kann falsch oder das Gegenteil von wahr sein. Wenn der Computer laufend sinnlose Ergebnisse ausspuckt, gehen wir davon aus, dass er kaputt ist. Doch wenn du dich verrechnet hast und es einsiehst, funktionieren deine Denkvorgänge tadellos.
Betrachten wir unsere Äußerungen als Resultate neurophysiologischer Vorgänge in unserem Gehirn, dann weisen wir ihnen eine ähnliche Rolle zu wie bestimmten Verhaltensweisen, die wir als Resultate von Verhaltensdispositionen eines Lebewesens betrachten, auf gewisse Reize mit gewissen Verhaltensweisen zu reagieren.
Der Pawlowsche Hund hört oder sieht das ihm vertraute Signal und schon läuft ihm das Wasser im Munde zusammen. Denkt er, wenn er denken kann, was er, könnte er sprechen, in dem Satz äußern würde: „Ich glaube, jetzt gibtʼs was Leckeres für das Hundchen!“?
Könnte der Hund denken, müsste er, könnte er sprechen, sich auch sagen können: „Vielleicht werde ich an der Nase herumgeführt und es sieht nur so aus, als gäbe es ein Leckerli, aber diesmal gibt es womöglich gar nichts!“
Überzeugungen zu haben heißt, auch das Gegenteil dessen annehmen zu können, was sie bedeuten.
Doch weder Maschinen noch sprachunfähige Tiere sind in der Lage, Überzeugungen zu haben, denn hätten sie welche, wären sie nicht fähig, ihre Negation zu bilden.
Der Roboter kann uns nicht mit der frohen Botschaft überraschen, er sei kein Roboter.
Der Hund ist, wie wir sagen, durch wiederholte Wahrnehmung der Aufeinanderfolge eines akustischen oder optischen Signals und die Verabreichung von Futter darauf konditioniert, bei der Wahrnehmung des Signals als auslösenden Reizes in der Weise zu reagieren, als sei das signalisierte Futter bereits in Reichweite, sodass ihm das Wasser im Munde zusammenläuft. Können wir sagen, der Hund bilde aufgrund der Wahrnehmung des Signals die Erwartung oder Überzeugung, das Futter werde ihm gleich gereicht?
Wenn wir zu verabredeter Stunde auf das Kommen unseres Freundes Peter warten, können wir unsere Erwartung, er werde bald kommen, als Überzeugung in der Weise ausdrücken, dass wir sagen, Peter werde wohl oder werde vermutlich gleich erscheinen, falls er nicht durch zwingende Gründe davon abgehalten wird.
Könnte der Hund zur Überzeugung gelangen, das Futter werde ihm wohl gleich oder vermutlich gleich gereicht, falls dem Experimentator nichts dazwischenkommt?
Wenn wir ähnlich dem Pawlowschen Hund die Äußerung „Da kommt mein Freund Peter“ aufgrund des reizauslösenden Signals unserer Wahrnehmung von Peter zu machen disponiert wären, könnten wir sie nicht revidieren, wenn statt Peter sein Zwillingsbruder Paul auf der Bildfläche erschiene, denn an der durch den Wahrnehmungsreiz ausgelösten Verlautbarung kann per definitionem nichts falsch sein oder sie kann sich nicht als unwahr erweisen, sondern allenfalls als misslungen.
Ähnlich geht es dem Hund, wenn das heiß ersehnte Futter nach dem Klingelton nicht gereicht wird: Er muss nicht seine Annahme, gleich gebe es Futter, revidieren, sondern die Enttäuschung über sein Ausbleiben hinnehmen.
Wenn ich der Überzeugung bin, dass sich in meinem Kühlschrank noch ein Bier befindet, werde ich aufgrund eines plötzlichen Durstempfindens vielleicht das kühle Bier aus dem Kühlschrank holen. Die Überzeugung, dass der Kühlschrank enthält, wonach es mich gelüstet, ist die notwendige Voraussetzung dafür, dass ich tue, was ich tue.
Wäre mein Tun nichts als die Kette der Ereignisse von Reiz und Reaktion, die Verbindung zwischen dem auslösenden Signal der Durstempfindung und meiner Reaktion, aufzustehen und das Bier aus dem Kühlschrank zu holen, fiele meine Überzeugung, das Bier befinde sich im Kühlschrank, aus der Kette heraus. Doch wenn ich nicht davon überzeugt wäre oder wüsste, das Bier sei im Kühlschrank zu finden, fände ich es nicht. Meine Überzeugung ist demnach ein notwendiges Glied der Kette und ohne sie fiele sie als ganze auseinander.
Die Semantik kann nicht auf die Physik zurückgeführt werden. Das heißt, der Gedanke oder der Satz, durch den wir eine Überzeugung ausdrücken, die wahr oder falsch sein kann, ist kein Ereignis oder natürliches Vorkommnis.
Wären Gedanken oder Überzeugungen natürliche Ereignisse, könnten sie keinen Inhalt haben derart, dass sie wahr oder falsch sein müssen. Denn natürliche Ereignisse sind da oder nicht da, aber nichts an ihnen ist wahr oder falsch. Folglich können Gedanken oder Überzeugungen keine natürlichen Ereignisse wie die neuronalen Prozesse dessen sein, der sie sprachlich verlautbart, denn es gehört zu den intrinsischen Eigenschaften von Gedanken oder Überzeugungen, einen Inhalt zu haben, dessen sprachliche Verlautbarung oder dessen Äußerung in Form von Sätzen wahr oder falsch ist.
Ist der Naturalismus ein System von Überzeugungen, ausgehend von der basalen Überzeugung, dass alle Überzeugungen natürliche Ereignisse sind, kann er keinen Anspruch auf Wahrheit erheben.
Wenn der Hund die herannahenden Schritte seines Herrchens hört, läuft er freudig mit dem Schwanz wedelnd zur Tür und kläfft. Nehmen wir an, der Hund glaubt oder gelangt aufgrund der akustischen Wahrnehmung zu der Überzeugung, dass sein Herrchen zurückkehrt. Was immer er glauben oder nicht glauben mag, er wird jedenfalls aufgrund des bedingt reflexhaften Verhaltens auf das akustische Signal hin an die Tür laufen.
Wenn das, was der Hund aufgrund der Wahrnehmung des akustischen Signals glauben mag, für das, was er tut, keine kausale Relevanz hat, können wir ihm keine echte Überzeugung unterstellen. Hätte die Überzeugung des Hundes eine kausale Relevanz für sein Verhalten, wäre er in der Lage, Gründe geltend zu machen, die die kausale Relevanz seiner Überzeugung, dass sein Herrchen kommt, aufheben: Er könnte nicht zur Türe laufen, weil er beispielsweise einen Grund hätte, seinem Herrchen zu schmollen, und dieser Grund schwerer wöge, als freudig erregt zur Tür zu eilen, obwohl er davon überzeugt wäre, dass sein Herrchen kommt. Der Hund aber eilt so oder so zur Tür, wenn er hört, dass sein Herrchen kommt, denn sein Verhalten gehorcht keinen rationalen Gründen oder der vernünftigen Abwägung von Gründen.
Wenn der Hund, gleichgültig welche Überzeugungen wir ihm unterstellen, sich so verhält, wie es ihm seine bedingten Reflexe vorschreiben, können wir die Hypothese, ihm Überzeugungen zu unterstellen, einfach streichen, ohne an Erklärungskraft einzubüßen.
Hingegen wird jemand, dem sein Hausarzt eine Diät hinsichtlich des Verzehrs alkoholischer Getränke verordnet hat, vielleicht der Überzeugung, durch Verzicht auf das gewohnte Bier seine Gesundheit zu schützen, mehr Gewicht beimessen als dem Wunsch, sich ein kühles Bier aus dem Kühlschrank zu holen. In diesem Falle ist die Überzeugung von so entscheidender Relevanz für die Ausführung oder Unterlassung einer Handlung, dass wir diese nicht erklären können, ohne jene in Rechnung zu stellen.
Wir können den Inhalt der Überzeugung, ausgedrückt in der Aussage, es sei besser, auf die Erfüllung des Wunsches nach einem kühlen Bier zu verzichten, nicht als neuronales Ereignis des Funkens bestimmter Synapsen im Gehirn des Betreffenden betrachten, weil dieses natürliche Ereignis nicht die logisch-semantische Mannigfaltigkeit aufweist, die der Gedanke, es sei besser, Nicht-A als A zu tun, aufweisen muss, um ein Gedanke zu sein.
Die logisch-semantische Mannigfaltigkeit zeigt sich in den logischen Möglichkeiten der Verknüpfung von Sätzen, mit denen wir unsere Überzeugungen zum Ausdruck bringen: Aus der Überzeugung, der Gedanke an die Gesundheit falle mehr ins Gewicht als der Wunsch nach dem kühlen Bier, folgt die Überzeugung, es sei besser, auf das Bier zu verzichten oder es sei besser, Nicht-A als A zu tun. Doch ein natürliches Ereignis hat nicht die semantische Struktur von Annahmen, die in einem logischen Verhältnis der Folgerung oder Ausschließung stehen können.
Wenn jemand darauf verzichtet, Alkohol zu trinken, bevor er sich ans Steuer seines Wagens setzt, tut er dies, um Passanten und andere Verkehrsteilnehmer nicht aufgrund seiner herabgeminderten Fahrtüchtigkeit zu gefährden. Er tut demnach etwas nicht, nämlich beispielsweise Bier zu trinken, um den Eintritt eines zukünftigen Ereignisses, einen Unfall, zu vermeiden. Er tut nicht A, damit B nicht geschieht. Denn würde er A tun, könnte B geschehen.
Die implizite logische Verknüpfung der Überzeugungen können wir explizit machen in der logischen Verknüpfung des folgenden konditionalen Satzes: „Wenn ich keinen Alkohol vor Fahrtantritt trinke, vermindere ich die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls.“ Der Gedanke an die Möglichkeit eines zukünftigen Ereignisses bildet demnach den Grund der gegenwärtigen Handlung.
Der Unfall, den der verantwortliche Autofahrer vermeiden will, ist wie alle Ereignisse der Zukunft, die wir induktiv antizipieren, genauso wie alle Ereignisse der Vergangenheit, an die wir uns erinnern, nicht gegenwärtig und kann demgemäß keine kausale Relevanz für unsere gegenwärtigen Überlegungen und Überzeugungen haben.
Es ist daher nicht ersichtlich, auf welche Weise der rationale Grund dafür, etwas nicht zu tun, damit etwas anderes nicht geschieht, durch ein neuronales Geschehen repräsentiert werden und mit dem neuronalen Ereignis, das ihn verursachen müsste, gleichgesetzt werden kann.
Offensichtlich können Ereignisse der Vergangenheit oder Zukunft, von denen wir wahre oder wahrscheinliche oder falsche Überzeugungen, nämlich Erinnerungen oder Vermutungen, hegen, keine signalgebenden Auslöser oder auslösenden Reizquellen unseres Verhaltens sein, denn das Nichtexistente kann keine aktuellen Wirkungen ausüben.
Die Erinnerung daran, dass mein Freund Peter unsere Verabredung nicht eingehalten hat und vor einer Woche nicht in den Park gekommen, ist für mich ein Grund der Verärgerung, aber die negative Tatsache, dass er vor einer Woche nicht zu unserem Treffen gekommen ist, kann nicht die gegenwärtige Ursache meiner Verstimmung sein.
Die semantisch bedeutsame Unterscheidung zwischen handlungsmotivierenden Gründen und verhaltensauslösenden Ursachen oder Signalen kann auf neuronaler Ebene nicht dargestellt werden. Neuronale Ereignisse können nur Ursachen sein, aber keine Gründe.
Was wir „Ich“ nennen, kann kein Gegenstand der natürlichen Welt sein, sondern ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass wir von Gegenständen überhaupt, von Gegenständen der natürlichen Welt oder von der Welt sprechen können. Das Subjekt ist ein Grenzbegriff des Begriffes Welt und die Welt ein Grenzbegriff des Begriffes Subjekt.
Das Gesichtsfeld ist der visuelle Grenzbegriff des sehenden Subjekts. Im Gesichtsfeld taucht derjenige, der sieht, als Gegenstand nicht auf, doch ist die Rede vom Gesichtsfeld ohne den subjektiven Blickpunkt des Sehenden bar jeden Sinnes.
In der natürlichen Umwelt mögen wir alle möglichen Dinge wahrnehmen, doch wir treffen auf keinen Gegenstand, dem wir die Fähigkeit, von sich zu sprechen, als notwendige Eigenschaft seiner natürlichen Struktur zusprechen müssten.
Alles bliebe gleich, wenn dein Freund zum Abschied eures Treffens äußerte: „Herr N. N. geht jetzt nach Hause.“
Aber der Freund sagt „Ich gehe jetzt nach Hause“, doch das Subjekt, von dem er spricht, hat keinen natürlichen Ort in der Ontologie der Dinge oder der Tatsachen.
Von uns zu sprechen vermögen wir nur, weil uns die Sprache als umgrenztes Ganzes gegeben ist, wie dem Sehenden der Gesichtsraum als umgrenztes Ganzes gegeben ist. Als Ganzes heißt: im begrenzten Rahmen dessen, was wir sprachlich ausdrücken können.
Ist das Subjekt, das von sich spricht, kein Gegenstand der Welt, sondern gleichsam die Grenze, von der aus wir die Welt der Gegenstände als mögliche Gegenstände unserer sprachlichen Aussagen erfassen können, kann es kein neuronales Ereignis sein.
Die pseudowissenschaftlichen Versuche, das Subjekt im Netzwerk der neuronalen Strukturen des Gehirns ausfindig machen zu wollen, oder umgekehrt, seine Nichtexistenz durch das Fehlen entsprechender neuronaler Strukturen nachweisen zu wollen, sind semantisch widersinnig und daher zum Scheitern verurteilt.
Wir können keine natürliche Eigenschaft finden, die uns an der leiblichen Gegenwart unseres Freundes untrüglich auf seine Existenz als selbstbewusstes Subjekt hinweist. Auch wenn er statt zu sagen: „N. N. geht jetzt nach Hause“, sagt, wie er es zu tun pflegt: „Ich gehe jetzt nach Hause“, könnte das, was er mit „Ich“ meint, eine abkürzende Übersetzung des Ausdrucks N. N. sein, womit er beispielsweise seinen Namen oder eine Beschreibung seines Trägers angeben würde.
Daraus folgt nicht, dass wir dem skeptischen Zweifel nachgeben müssten, der die Existenz der Subjektivität des anderen in Frage stellt, sondern die Einsicht, dass sie keine natürliche Eigenschaft und kein Gegenstand der natürlichen Welt sein kann.
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