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Der wackelnde Kopf

11.03.2017

Im Café sitzt die Oma
mit dem batistumkräuselten Sommerhütchen
und schlürft die flüssige Schokolade,
daß ihrs auf die blütenduftige Spitzenbluse kleckert,
und blitzt mit ihren verschmitzten Spatzenäuglein
scheel durchs opulente Schaufenster
auf Hinz und Kunzin,
ob sie ordentlich herausgeputzt
oder ihrem reinlichen Geschmack zuwider wandeln,
wie dunkle Elendsschurken um die Gunst der Sonne buhlen
oder enggeschnallte Minirockpüppchen
ihre falschen Nägel und Wimpern,
ihre spitzen Brüste schamlos in die Blicke
schmachtender Eckensteher schieben,
oder ob da eine Genossin ihrer Altersleiden
mit dem Krückstock sich durchs Wunderland
des schnöden Scheins zum Grab hin schleppt.

Sie wackelt unentwegt
mit dem beschlagenen Silberzierrat
ihres eingeschrumpften Greisenkopfes,
in dem die gellend-grellen Bilder des Tages
aus den verbeulten Blechkannen ihrer Träume
mit ranziger Milch übergossen werden,
als wenn sie sagen wollte:

„Noch sitz ich da,
noch zittert mir das Leben,
noch bin ich da,
noch wackelt mir der Kopf,
doch bald, ach wohl bald,
da fällt – pardauz – er ab!“

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