Skip to content

Nie wieder Himmel

20.04.2013

In gelben Pantoffeln schlurft sie durch das Gewoge
von Leuten, Kinderwagen, Fahrrädern, das ferne Echo
des Knatterns und Ratterns, des Hupens und Klingelns,
des Schreiens, Klatschens, Hustens, Rülpsens –

Farben sieht sie nicht mehr, die Welt hat sich ihr
auf den wesenlos-grauen Kern ernüchtert.

Geschrumpft, verschrumpelt, lapprig, gebeugt,
in die Waagrechte verbuckelt,
ihr Gesicht wackelt einen Meter über dem Boden,
ein Lampion, unachtsam gehalten von einem müden Kind.

Sie liest mit leeren Blicken den Kehricht der Gehwege auf,
schraubt an der Kasse im REWE den Kopf mechanisch zur Seite.
Sie kauft nur aus den unteren Regalen, das muss reichen.

Die dürrästigen Arme mit Hautsäcken, blutleer schlotternd,
sind mit Gichtfingern an den Griffen des Gehwagens vertäut.

Wie heißt sie? Wo wohnt sie? Wer hat sie einmal geliebt?
Geh hin, frag sie – nein, tu es nicht,
es speichelt nur Unverständliches aus zahnlosem Mund.

Ein verkapseltes Kerbtier krabbelt sie durch dies Leben,
das vorn keine Fenster mehr hat oder Fenster,
von außen mit Läden verschlossen,
nur selten kündet ein Lichtspalt von unbetretbarer Welt.

Sie kann nur mehr auf der Seite liegend essen, fernsehen, schlafen,
sie kann nur auf der Seite liegend sterben.

Speichert sie spinnenkalt unter das wässrige Herz Gift
im Angesichte des knospenspringenden Lebens,
rosig schimmernder Haut, gespannt für Bisse der Wollust,
das aus trotzigen Brüsten sprüht,
sich kitzelt mit verstohlenen Blicken,
Gift, das sie nachts freisetzt in Pest-Träumen
von verätzten, verfaulten, brennenden Leibern?

Oder ist ihr die Gegenwart ganz ohne Rand,
ein an der erzitternden, dünnen Schale
des Bewusstseins widerhallender,
monotoner Ich-Ton, der langsam ausschwingt,
den kreiselnden Wellen gleich, die vom Einschlag
des Kiesels pulsend sich glätten, verebben?

Oder veratmet, verschmachtet ihr Dasein dünn
wie das Rinnsal ausgeschöpfter Quelle,
ohne warmen Bezug,
und jedwedes Gesicht verlöscht vor ihr,
Kerze, die leise noch knistert?

Oder wird ihr den Stachel des Namens, des einen,
an dem sich ihr Denken jahrlang entzündet,
endlich ziehen der Engel des Todes?

10.000 Fuß über der Berger Straße besamt
ein funkelnder Düsenjet den blautrunknen Himmel
mit milchigen Streifen.

Sie sieht es nicht, nie wieder
wird das Blau des Himmels sie sehen.

Kommentar hinterlassen

Note: XHTML is allowed. Your email address will never be published.

Subscribe to this comment feed via RSS

Top